Derya Türk-NachbaurSPD - 75 Jahre Europarat
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem: Liebe junge Menschen heute auf den Tribünen! 75 Jahre Europarat? Ja, schön. Was soll das denn überhaupt sein: Europarat, EU, Europäischer Rat, Rat der EU? Wir haben gerade festgestellt, dass es selbst Kolleginnen und Kollegen gibt, die den Europarat mit der EU verwechseln. Noch einmal zur Klarheit: Wir reden heute über den Europarat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wer soll denn da irgendwie noch durchsteigen? Und vor allem, liebe Zuschauende: Was hat das denn mit Ihnen zu tun?
Sie haben heute schon eine ganze Menge Wichtiges und Richtiges über den Europarat gehört, über das älteste originär politische Parlament in Europa. Aber ich möchte anhand einiger konkreter Beispiele die großartigen Errungenschaften dieser Organisation veranschaulichen.
Wissen Sie eigentlich woher die Redewendung „jemandem etwas einbläuen“ kommt? Sie kommt aus einer Zeit, wo Prügelstrafen an Schulen noch gang und gäbe waren. Lange war es in vielen europäischen Staaten gestattet, Kinder aus erzieherischen Gründen grün und blau zu schlagen, also ihnen etwas einzubläuen. Die Prügelstrafe wurde in Deutschland außer in Bayern 1973 abgeschafft. Die Bayern wollten noch zehn Jahre länger züchtigen und haben sich erst im Jahr 1983 zur Abschaffung durchgerungen.
(Johannes Schraps [SPD]: Immerhin haben sie es auch gemacht!)
Im Europarat hatte man sich 1961 in der sehr umfassenden Sozialcharta neben vielen anderen Dingen darauf geeinigt, dass Kinder ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben und dass die Mitgliedstaaten angehalten sind, diese Gewaltfreiheit in ihrer Gesetzgebung umzusetzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das heißt, wenn Millionen Kinder heute eine gewaltfreie Bildungseinrichtung besuchen können, dann ist das zu einem beachtlichen Teil auch dem Europarat zu verdanken.
Auch ist es noch nicht so lange her, dass in einigen europäischen Staaten die Todesstrafe verhängt werden durfte. In Belgien zum Beispiel war das bis 1996 der Fall. In der tiefen Überzeugung, dass die Todesstrafe in demokratischen Gesellschaften keinen Bestand haben darf, hat der Europarat eine führende Rolle im globalen Bestreben zur Abschaffung der Todesstrafe eingenommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Seit 1997 hat innerhalb der Grenzen der Mitgliedstaaten des Europarats keine Hinrichtung mehr stattgefunden.
Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Europarates – wir haben es heute vielfach gehört; aber das sage ich immer wieder sehr gerne – ist die Istanbul-Konvention, die 2011 verabschiedet wurde. Diese Konvention ist das erste rechtlich bindende Instrument zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Europa. Sie setzt sehr hohe Standards und fordert die Mitgliedstaaten auf, umfassende Maßnahmen zum Schutz der Opfer und zur Verfolgung der Täter zu ergreifen. Für uns Frauen ist das mehr als wertvoll.
Ich könnte Ihnen stundenlang etwas zu den Errungenschaften des Europarats sagen: über die Erfindung der Europaflagge, über die großartige Jugendarbeit innerhalb der Mitgliedstaaten, über Jugendbeteiligung in Gesetzgebungsprozessen, über Kulturaustausch, über Wahlbeobachtungsmissionen, über Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit, über Minderheitenrechte, über die Budapest-Konvention zur Bekämpfung von Cyberkriminalität, über Gesundheit, über Bildung, über Korruptionsbekämpfung, für die sich mein Kollege Frank Schwabe mit großem und vorbildlichem Einsatz engagiert, über die No Hate Alliance, deren geistige Mutter meine liebe Kollegin Gabriela Heinrich ist, oder zu den vielen exemplarischen Urteilen des EGMR wie zuletzt der erfolgreichen Klimaschutzklage der KlimaSeniorinnen in der Schweiz. Das alles und noch viel mehr, das ist der Europarat.
Möglich ist das, weil sich meine Kolleginnen und Kollegen in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, der auch ich angehören darf, mit großem Engagement für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen. Vielen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen!
Stundenlang darf ich nicht reden, sondern nur vier Minuten. Hier blinkt es schon.
Das heißt, Ihre Redezeit ist abgelaufen, nur noch mal zur Erläuterung.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Daher, liebe Frau Präsidentin, schließe ich mit einem Satz von Winston Churchill, den er im Jahr 1946 sprach: „Wir müssen eine Art Vereinte Nationen von Europa aufbauen.“ Ich würde sagen: Das war eine verdammt gute Idee! In diesem Sinne: Happy Birthday, Europarat!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Als Nächster hat das Wort für die Gruppe BSW Andrej Hunko.
(Beifall beim BSW)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7611095 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 169 |
Tagesordnungspunkt | 75 Jahre Europarat |