Andrea LindholzCDU/CSU - 75 Jahre Grundgesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Sinn des Staates ist es, die schaffenden Kräfte des Volkes zu wecken, zusammenzuführen, zu pflegen und zu schützen. Das ganze Volk soll zu Verantwortungsbewußtsein und zu Selbständigkeit erzogen werden. … Wir wollen Erziehung, aber nicht zu der Bereitwilligkeit, sich kontrollieren und führen zu lassen, sondern zu dem Willen und der Fähigkeit, sich als freier Mensch verantwortungsbewußt in das Ganze einzuordnen.“
Das sagte Konrad Adenauer 1946. Und drei Jahre später, am 23. Mai 1949, verkündete er als Präsident des Parlamentarischen Rates das Grundgesetz. Es feiert in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag.
Unser Grundgesetz ist mehr als nur ein Grundgesetz. Es war als provisorische Verfassung gedacht, und es ist mit dem Beitritt der DDR 1990 zu unserer gesamtdeutschen Verfassung geworden. Es ist die rechtliche Grundlage, auf der wir leben, arbeiten, wählen gehen, Familien gründen, demonstrieren und für Meinungen streiten. Unser Grundgesetz hat sich als tragfähiges und strapazierbares Fundament unserer Gesellschaft bewährt. Es ist unsere gemeinsame deutsche Erfolgsgeschichte.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung steht unter Druck. Ich nenne Ihnen hier vier Beispiele. Es ist erschreckend, dass wir Vertreter einer Partei im Bundestag haben – Vertreter der AfD –, die als rechtsextremistischer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Das ist gerichtlich bestätigt. Und diese Vertreter bewahren weder das Grundgesetz noch den Rechtsstaat.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Ach, Frau Lindholz, erzählen Sie doch nicht so einen Quatsch!)
Es ist erschütternd, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Politiker und Wahlhelfer beim Aufhängen von Wahlplakaten niedergeschlagen werden. Es ist inakzeptabel, wenn sich Menschen auf der Straße antisemitisch äußern. Und es ist alarmierend, dass ein Teil der hier lebenden Bevölkerung die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht als die ihren akzeptieren und zum Beispiel ein Kalifat in Deutschland fordern.
(Nicole Höchst [AfD]: Ach!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem müssen wir uns als Parlament und Gesellschaft entgegenstellen. Dem müssen wir auch mit allen rechtsstaatlichen Möglichkeiten begegnen; denn unsere Grundordnung und unsere Institutionen waren in den vergangenen 75 Jahren verbindendes Element. Sie haben die Gesellschaft zusammengehalten. Und in Zeiten einer zunehmenden Polarisierung und Fragmentierung unserer Gesellschaft können unsere Verfassung und ein überzeugter Patriotismus starke Identifikation, aber auch Identifikationswirkungen entfalten – zum Wohl unserer Gesellschaft. Diese Potenziale könnten wir gemeinsam viel stärker nutzen; denn schon der berühmte Verfassungsrechtler Böckenförde sagte: „Der freiheitlich säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, fordern wir unter anderem, dass die Sichtbarkeit nationaler Symbole im öffentlichen Raum erhöht wird, dass sich hier lebende Ausländer viel stärker mit dem deutschen Staat und den gelebten Werten identifizieren, dass die politische Bildung gestärkt wird und dass der Tag des Grundgesetzes am 23. Mai jährlich nationaler Gedenktag ist und nicht nur ein Jubiläum.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Linda Teuteberg [FDP])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin von der Widerstandsfähigkeit unserer Verfassung überzeugt. Aber wir müssen sorgsam mit diesem hohen Gut umgehen. Wir müssen für unsere Demokratie streiten, und wir müssen unsere Werte verteidigen. Das kann nur die gesamte Gesellschaft.
Wir sollten heute auch zurückblicken und den Müttern und Vätern des Grundgesetzes gratulieren und danken für ihre Leistung und für ihre Weitsicht. 75 Jahre nach der Verkündung unseres Grundgesetzes sind Konrad Adenauers Worte aktueller denn je: Wir müssen, so sagte er sinngemäß, diejenigen wecken, die für die Demokratie, die für unsere auf Recht und Freiheit ruhende Schicksalsgemeinschaft streiten, und dazu ermutigen, sich als freie Menschen verantwortungsbewusst in das Ganze einzuordnen.
Immer noch sind 77 Prozent der Deutschen der Auffassung, das Grundgesetz ist eine gute oder auch eine sehr gute Verfassung. Lassen Sie uns also gemeinsam als Demokraten dafür Sorge tragen, dass dieser Anteil auch in den nächsten Jahrzehnten nicht abnimmt, sondern vielmehr noch zunimmt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie zunächst einmal. – Wir fahren fort in der Debatte, und das Wort erhält Sonja Eichwede für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7611109 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 169 |
Tagesordnungspunkt | 75 Jahre Grundgesetz |