Sonja EichwedeSPD - 75 Jahre Grundgesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
(Stephan Brandner [AfD]: Der deutschen demokratischen Altfraktionen!)
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir feiern Geburtstag. Wir feiern den 75. Geburtstag des Grundgesetzes. Herzlichen Glückwunsch, Grundgesetz!
(Stephan Brandner [AfD]: Man soll nicht vor dem Geburtstag gratulieren! Der ist erst am 23. Mai! – Gegenrufe von der SPD)
Das Grundgesetz ist nämlich wirklich etwas ganz Besonderes. Das Grundgesetz ist nicht nur etwas Besonderes, weil es unsere Verfassung ist, sondern auch, weil es sich im Vergleich zu den Verfassungen vieler anderer Länder nicht auf den Staat, das Land im Sinne von Grund und Boden oder das Staatsvolk als Kollektiv konzentriert oder dieses in den Mittelpunkt stellt. Das Grundgesetz stellt den Menschen in den Mittelpunkt; es denkt vom Menschen her.
(Zuruf der Abg. Nicole Höchst [AfD])
Deswegen heißt es in Artikel 1 Absatz 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist die Lehre und die Botschaft der Mütter und Väter des Grundgesetzes aus den schrecklichen Menschheitsverbrechen, den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und des Dritten Reiches. Es ist diese historische Erfahrung und der Blick in die Zukunft, mit dem das Grundgesetz das Leben von uns allen seit 75 Jahren bis heute ganz entscheidend prägt.
Es heißt dort weiter: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Wir haben einen Rechtsstaat. Und unser Rechtsstaat erschöpft sich natürlich nicht in den rein formalen Aspekten, sondern unsere Gesetze müssen den materiellen Gerechtigkeitskriterien des Grundgesetzes entsprechen.
(Stephan Brandner [AfD]: Was ja immer weniger klappt! Was war denn mit dem Haushalt?)
Gerade das ist unglaublich wichtig für das Zusammenleben. Und es zeigt ja gerade, dass das Grundgesetz lebt, dass das Grundgesetz heute in ganz vielen Punkten anders gelesen wird, als es vor 75 Jahren gelesen wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung sehr früh klargestellt, dass es in seinen Entscheidungen eben gerade nicht am Wortlaut der Verfassung festhalten muss, sondern auch dafür zuständig ist, nach Sinn und Zweck und nach den Werten, die hinter den Regeln stehen, das Grundgesetz auszulegen.
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Die Grundwerte, wie die Menschenwürde, die Meinungsfreiheit, die Kunstfreiheit, die Religionsfreiheit, all die großen Schutz- und Abwehrrechte, die wir als Bürger auch gegenüber dem Staat haben,
(Zuruf der Abg. Nicole Höchst [AfD])
verkörpern nicht nur die Abwehrrechte der Bürger selber, sondern auch die objektive Werteordnung, in der wir leben, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Nicole Höchst [AfD]: Wer hat Ihnen denn die Rede geschrieben?)
So berücksichtigt das Grundgesetz das Leben als Ganzes. Und es ist doch gerade so wichtig, dass wir das auch an bestimmten Beispielen sehen können. Zum Beispiel war die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert maßgeblich daran beteiligt, den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das Grundgesetz hineinzubringen. Dieser Satz prägt bis heute das Leben in unserer Gesellschaft und lebt fort und wird immer wichtiger; denn wir arbeiten weiter daran, dass wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft für alle Menschen leben. Ich bin unglaublich froh, das gerade hier in dieser Debatte zu betonen; denn in der damaligen Zeit hätte ich wahrscheinlich nicht die Möglichkeit gehabt, als junge Frau hier im Bundestag zu stehen und die Bevölkerung zu vertreten. So großartig ist unser lebendiges Grundgesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ein weiteres Beispiel für ein lebendiges Grundgesetz – auch im Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zum Beispiel zur Frage der Kinderrechte, oder jüngst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Recht auf schulische Bildung. Hier müssen wir, auch um gerade die Kinderrechte noch sichtbarer zu machen, uns im Hause einen Ruck geben und das auch – gerade im Sinne unserer Demokratie und im Sinne unseres Grundgesetzes – in das Grundgesetz aufnehmen.
(Nicole Höchst [AfD]: Warum ignorieren Sie dann das Lebensrecht?)
Denn wenn wir über die Zukunft unseres Landes sprechen, wenn wir darüber sprechen, dass wir Demokratie fördern wollen, dass wir Menschen mitnehmen wollen, dass die Menschen zur Wahl gehen sollen, um das Land politisch und demokratisch mitzugestalten, müssen wir auch gerade die Kinder, die die Zukunft unseres Landes sind, im Blick haben. Deswegen müssen wir dies ins Grundgesetz aufnehmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Um das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht noch resilienter zu machen, ist es sehr wichtig, dass wir darüber diskutieren, wie wir das Bundesverfassungsgericht stärken und resilienter machen können. Dafür bin ich sehr dankbar. Ein demokratischer Rechtsstaat zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er sich auch verteidigen kann. Daher müssen wir das Verfassungsgericht auch weiter im Blick haben.
Es ist natürlich ganz entscheidend für das Zusammenleben in unserem Land, dass wir das Grundgesetz leben. Es ist unsere Aufgabe als Demokraten, gemeinsam vor Ort – bei uns in Brandenburg, in Ostdeutschland, in Westdeutschland – mit den Menschen zu reden, ihnen zu zeigen, dass die Verfassung von ihnen her denkt, sie im Blick hat. Wir müssen in der Fläche Demokratie leben. Es muss nicht von oben die Meinung aufoktroyiert werden, was für ein tolles Grundgesetz wir haben und in was für einem guten Staat wir leben. Den müssen wir selbstverständlich gemeinsam weiter verteidigen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Nicole Höchst [AfD]: Was für eine Mondscheindemokratin!)
Der nächste Redner ist Tobias Matthias Peterka für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7611111 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 169 |
Tagesordnungspunkt | 75 Jahre Grundgesetz |