Dunja KreiserSPD - 75 Jahre Grundgesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 23. Mai ist ein bedeutender Moment in unserer Geschichte. Nächste Woche feiern wir das 75-jährige Jubiläum unseres Grundgesetzes mit einer toughen Party und vielen Partytagen.
Die Geburtsstunde des Grundgesetzes ist aber von einer tiefen Tragik geprägt, da es auf den Trümmern eines dunklen Kapitels unserer Vergangenheit entstand. Doch zugleich ist es eine Geschichte des Erfolgs; denn es steht für 75 Jahre Freiheit, Frieden, Vereinigung und Demokratie in unserem Land. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben es geschafft, ein Werk zu schaffen, das über sieben Jahrzehnte Demokratie ermöglicht hat. Doch wir dürfen niemals vergessen, dass die Sicherung unserer Grundrechte keine Selbstverständlichkeit ist. Als Gesellschaft müssen wir wachsam bleiben gegenüber denen, die unsere freiheitliche, demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung bedrohen, und denen, die sie sichern, nämlich Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, Menschen aus der Kommunalpolitik, Sportlerinnen und Sportler, unsere Einsatzkräfte, Kulturschaffende. Ein Kniefall ist da, glaube ich, nicht ausreichend.
Sehr geehrte Damen und Herren, unser Grundgesetz regelt das demokratische Miteinander, sichert Bürgerinnen und Bürgern Grundrechte und geht auf gesellschaftliche Entwicklungen ein. Es formuliert gemeinsame Werte wie Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Diese Werte mit Inhalten, mit Leben zu füllen – durch demokratische Wahlen, durch unabhängige Gerichte und Behörden –, bleibt unsere Aufgabe. Das Grundgesetz allein reicht nicht als Bezugspunkt einer gemeinsamen Identität aus. Nein, es bleibt unsere Aufgabe, alle Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen, dass die Wahrung und der Schutz unserer Werte oberste Priorität haben.
Am Montag hat eine öffentliche Anhörung stattgefunden; Kollege Amthor, Sie haben es gerade gesagt. Dort wurden unterschiedliche Standpunkte und Anregungen geäußert, aber auch wichtige Erkenntnisse gewonnen. Zunächst einmal möchte ich den Antrag loben – aber nicht inhaltlich –; denn er gibt uns zumindest die Gelegenheit, uns mit den Ursprüngen des Patriotismus und mit der Sozialdemokratie zu beschäftigen. Denn historisch gesehen handelt es sich beim Patriotismus um ein Thema, bei dem sich im 19. Jahrhundert demokratische Bewegungen und die Monarchie gegenüberstanden. Traditionell stehen die Farben Schwarz-Rot-Gold für die Flagge und für die demokratischen Kräfte, die sich 1848 für Demokratie eingesetzt haben. Zu deren Erben gehört die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die SPD.
(Stephan Brandner [AfD]: Was? Wo haben Sie das denn gelesen? Das nennt man, glaube ich, Geschichtsklitterung!)
Genug historische Aufklärung für die Damen und Herren von der Union, würde ich gerne sagen; denn zu dem Antrag wurde noch gar nicht viel gesagt. Die einzelnen Forderungen, die dort genannt sind, möchte ich hier einmal vorbringen.
Wenn ich mir den Antrag anschaue, dann frage ich mich, sehr geehrte Damen und Herren der Union: Laufen Sie eigentlich mit Scheuklappen durch die Liegenschaften? Warum sehen Sie zum Beispiel nicht die historischen Ausstellungen und die Portraits bedeutender Parlamentarierinnen und Parlamentarier hier in diesem Haus?
Auch bei Ihrer Forderung in Bezug auf Ostdeutschland ist es doch seltsam, dass Sie einfach nicht erkennen, dass wir bereits einen Ostbeauftragten haben,
(Stephan Brandner [AfD]: Peinlich genug! Die Ostdeutschen brauchen keine Sonderbetreuung!)
und zwar den Kollegen Staatsminister Carsten Schneider. Der Bezug auf Ostdeutschland ist ein wichtiger, also den Frauen und Männern die Wertschätzung zu geben, die sie verdienen: mit einer gerechten Entlohnung, die Rente haben wir angepasst, und wir investieren in die Industrieansiedlung – für junge Menschen, für unsere Zukunft, für ihre Zukunft. Diesen Antrag brauchen wir dazu allerdings nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Amthor?
Bitte.
Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich erspare uns jetzt die Diskussion über die Einzelheiten, aber ich will – das ist vielleicht für alle Kolleginnen und Kollegen und die Öffentlichkeit interessant – bei einer Sache noch mal kurz zur Aufklärung beitragen.
Sie haben ja gesagt, die Union würde mit Scheuklappen durch die Liegenschaften des Deutschen Bundestages laufen, wenn sie feststellt, dass es im Reichstagsgebäude usw. nicht, wie wir das in unserem Antrag beschreiben, die entsprechende Kunst gibt, da es doch so viele tolle Kunstausstellungen gebe. Ja, das ist richtig. Aber ich weise Sie auch darauf hin – das haben wir in unserem Antrag deutlich gemacht –, dass der Architekt des Reichstagsgebäudes, Sir Norman Foster, sich ausbedungen hat, dass hier auf den Fluren des Reichstagsgebäudes – da können Sie sich ja gerne mal umsehen – keine Kunst aus der deutschen Geschichte hängt. Sie finden hier kein Bild der Reichstagseröffnung von 1871. Sie finden hier keine Bilder der deutschen Kultur, und Sie finden hier auch nicht die Dinge, die die deutsche Geschichte ausmachen.
(Stephan Brandner [AfD]: Das finden Sie alles in unserem Fraktionssaal! Kommen Sie mal vorbei!)
Deswegen finde ich schon wichtig, das zu erwähnen.
Wenn Sie uns jetzt vorhalten, wir würden mit Scheuklappen durch das Parlament laufen, muss ich sagen: Nein, Sie sollten die Augen aufmachen für die rechtlichen Regelungen, die hier bestehen. Ich finde, es stünde dem Deutschen Bundestag und dem Reichstagsgebäude selbst gut zu Gesicht, wenn die deutsche Geschichte nicht nur in Nebenliegenschaften, sondern auch im Reichstagsgebäude selbst viel präsenter wäre.
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! – Stephan Brandner [AfD]: Im Fraktionssaal der AfD, Herr Amthor!)
Das wollte ich an dieser Stelle noch einmal klarstellen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)
Sehr geehrter Herr Amthor, das ist auch sehr ehrenwert, aber mit Ihrer Zwischenfrage erreichen Sie vor allem viele Zwischenrufe von Herrn Brandner,
(Stephan Brandner [AfD]: Aha! Brandner zwei! Der kleine Brandner von der CDU!)
der natürlich ganz klar bestätigt, dass in seinen Fraktionsräumen seiner Meinung nach besondere geschichtliche Denkmäler hängen.
Ich weiß nicht, ob Sie manchmal schauen, was dieses Haus veranstaltet: nämlich Ausstellungen, und zwar laufend. Ausstellungen zur Demokratie, Ausstellungen zu unserer Verfassung. Gerade findet eine Ausstellung im Paul-Löbe-Haus statt, die zeigt, wie unsere Verfassung gefährdet werden könnte, wie sie in Vergangenheit gefährdet war und wahrscheinlich auch zukünftig noch ist.
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Ausstellungen allein sind es gar nicht!)
Von daher denke ich schon, dass dieses Haus durchaus einen Fokus darauf hat, aber vielleicht einen anderen patriotischen als Sie. Das ist eben der Unterschied: Wir arbeiten – darauf komme ich auch gleich noch mal zu sprechen – nicht von oben herab, sondern von unten hinauf. Denn wir wollen die Gesellschaft mitnehmen. Das ist unser entscheidendes Kriterium.
(Beifall bei der SPD – Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Das klappt leider nicht!)
Sehr geehrte Damen und Herren, patriotisch zu sein, heißt nicht, sich allein auf nationale Symbole zu fokussieren und dabei zu vergessen, dass wir eine Bevölkerung haben, die vielfältig und heterogen ist. Alle Menschen in diesem Land sollten sich mit unserer Verfassung identifizieren. In diesem Zusammenhang freut es mich sehr, dass wir das Staatsangehörigkeitsrecht vor Kurzem modernisiert haben und die doppelte Staatsbürgerschaft endlich eingeführt haben. Damit ermöglichen wir den Menschen das Wählen und schaffen Rechte.
(Stephan Brandner [AfD]: So ein Unsinn!)
Sehr geehrte Damen und Herren, patriotisch zu sein, heißt nach meinem Verständnis – und diese Erkenntnis ging auch aus der öffentlichen Anhörung hervor –, dass wir eine lebendige Verfassungskultur schaffen müssen, und zwar bottom-up und nicht top-down; das hatte ich eben schon gesagt. Das ist das Wichtige, was wir für die Stärkung unseres Zusammenhalts brauchen. Auch die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist wichtig, zum Beispiel haben die Gebiete des ehemaligen Kohletagebaus über 40 Milliarden Euro zur Strukturförderung bekommen.
Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Präsidentin, mein letzter Satz: Lassen Sie uns das Grundgesetz nicht nur feiern, sondern auch aktiv verteidigen, 365 Tage im Jahr, und mit Leben füllen.
(Stephan Brandner [AfD]: Meine Rede, Frau Kreiser! Da kommen wir uns jetzt näher!)
Es ist unsere Verantwortung, die Errungenschaften unserer Demokratie zu bewahren und für kommende Generationen zu sichern.
(Stephan Brandner [AfD]: Das war ein langer Satz!)
Wir lehnen Ihren Antrag ab. Aber ich bitte Sie, alle Demokratinnen und Demokraten hier im Haus und auf der Straße diejenigen aus der Demokratiebewegung: „Seid ein Mensch!“, wie es unser guter Sportjournalist Marcel Reif gesagt hat.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Das Wort erhält für die Gruppe Die Linke Clara Bünger.
(Beifall bei der Linken)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7611116 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 169 |
Tagesordnungspunkt | 75 Jahre Grundgesetz |