16.05.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 169 / Zusatzpunkt 4

Tina RudolphSPD - WHO-Pandemievertrag

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich glaube, ich muss ein bisschen anders anfangen, nämlich indem ich das Konzept von Objektpermanenz erkläre. Denn der erste Gedanke, der mir kam, als ich die Märchen der AfD in diesem Antrag gelesen habe, war, das mit Kindergartenniveau gleichzusetzen. Und dann dachte ich: Nein, das ist nicht fair; denn schon neun Monate alte Säuglinge fangen an zu lernen, dass Dinge trotzdem da sind, auch wenn man vor ihnen die Augen verschließt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU] – Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Deswegen bleibt die Gefahr einer erneuten Pandemie weiter existent, auch wenn man die Coronapandemie und Zusammenhänge damit leugnet. Genauso bleibt der Klimawandel ein anhaltendes Problem, auch wenn man versucht, ihn zu leugnen,

Johannes Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! – Thomas Ehrhorn [AfD]: Wenn Sie von Physik nichts verstehen, ist das nicht unser Problem!)

und einfach nur hinnimmt, dass es Jahr für Jahr wärmer wird.

(Dr. Michael Kaufmann [AfD]: Die Umfragen der SPD sind zu Recht halbiert!)

Die Häufigkeit bestimmter Erkrankungen wird zunehmen, und deswegen ist es wahrscheinlich, dass eine nächste Pandemie kommen wird. Die muss nicht identisch sein mit der Coronapandemie; es gibt genug andere Gesundheitsgefahren. Die Affenpocken und Ebola sind nur einige Beispiele aus den letzten Jahren.

(Beatrix von Storch [AfD]: Da haben wir den Pandemievertrag ganz offensichtlich nicht für gebraucht!)

Es wird dann darum gehen, dass sie gefährlich sein können. Es wird darum gehen, ihr Gefahrenpotenzial schnell abzuschätzen, Evidenz so gut wie möglich zu nutzen und zu kalkulieren, welche Maßnahmen helfen können, um möglichst schnell zu schauen: Welche Gegenmittel helfen? Welche auch nicht? Sich Desinfektionsmittel zu spritzen, war zum Beispiel keine gute Idee.

Es wird darum gehen, wie wir es schaffen, dass alle Menschen möglichst schnell Zugang zu den nötigen Gesundheitsleistungen und zu den nötigen Impfstoffen, Medikamenten und Schutzausrüstungen haben. Und es wird darum gehen, Maßnahmen abzuwägen, für die es Evidenz gibt oder für die es eben keine Evidenz gibt.

All das müssen wir besser schaffen.

(Beifall des Abg. Johannes Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auf all das können und müssen wir beim nächsten Mal besser vorbereitet sein. Wenn wir das nicht tun, wenn wir die Menschen beim nächsten Mal nicht besser schützen, dann werden wir aus meiner Perspektive unserem Auftrag und unserer Verantwortung hier nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU] und Nicole Westig [FDP])

Und ja, die Bilder mögen schon ein bisschen verblasst sein: dass Menschen gestorben sind, und zwar nicht nur in Indien, sondern reihenweise auch in Italien,

(Beatrix von Storch [AfD]: In Bergamo! Jetzt kommt wieder Bergamo!)

im Feldlazarett im New Yorker Central Park, wie lange es gedauert hat, bis Gesundheitsfachkräfte Zugang zu guter Schutzausrüstung und zu Impfstoffen hatten und dass das vielerorts viel zu lange gedauert hat und teilweise bis zum Ende nicht der Fall war. Hier können und müssen wir besser werden.

Ein globaler Pandemievertrag und die Überarbeitung der internationalen Gesundheitsvorschriften sind deshalb elementar. Die globalen Herausforderungen müssen wir global angehen, und wir müssen ihnen solidarisch begegnen.

Die AfD macht hier einige Fehler. Und ich sage: Sie machen diese Fehler bewusst, um die Bevölkerung zu täuschen. Sie gefährden uns alle damit bewusst. Ein Fehler: Sie schüren Phantomängste, und das sowohl in Bezug auf das Verfahren, wie das Pandemieabkommen entsteht, als auch zu dessen Inhalten und Tragweite.

Zum Verfahren. Das ist der Punkt, wo hier bewusst Stimmung gemacht wird, nach dem Motto: Wenn ich den Menschen nur oft genug einrede, dass das Verfahren nicht transparent ist und dass hier möglicherweise Grundrechte eingeschränkt werden, dann wird sich der Gedanke schon irgendwie verfestigen. Dann werden die Menschen schon sagen: Na ja, da könnte ein bisschen was dran sein.

(Zuruf des Abg. Kay-Uwe Ziegler [AfD])

Dann ist es vielleicht besser, nichts zu machen, als gemeinsam zu handeln, als gemeinsam besser vorbereitet zu sein. Dann kommen mal schnell 500 000 Unterschriften von Menschen zusammen, die uns bitten, dem nicht zuzustimmen,

(Beatrix von Storch [AfD]: Ups!)

ohne dass entsprechende Textpassagen vorgelegt werden, die das tatsächlich belegen. Sie spielen mit den Ängsten der Menschen,

(Johannes Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!

und Sie erwecken den Anschein, dass ein entsprechendes Verfahren nicht transparent wäre, obwohl Sie wissen, dass es das ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Johannes Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Sie erwecken den Anschein, als würde die WHO über Nacht Kompetenzen und Durchsetzungsmöglichkeiten bekommen, obwohl das nicht stimmt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Pandemieabkommen – ich sage es gerne noch mal, auch wenn meine Kolleginnen und Kollegen den Prozess schon erklärt haben; vielleicht schaffen wir es ja auch, wenn wir das einfach oft genug wiederholen, dass sich das verfestigt – wird seit zwei Jahren von den 194 Mitgliedstaaten ausgehandelt. Da sitzen keine Lobbyisten, keine anderen Personen mit am Tisch,

(Lachen bei der AfD – Thomas Ehrhorn [AfD]: In welcher Welt lebt die Frau?)

die das irgendwie beeinflussen würden. Es sind die Staaten, die dieses Abkommen entwickeln.

Sollte es von der WHO verabschiedet werden – wir hoffen ja noch, dass das der Fall ist, aber es ist sehr wahrscheinlich, das wurde schon ausgeführt, dass es nicht zum Abschluss kommt; wir hoffen, dass die Verhandlungen weitergehen werden –, dann wird es trotzdem so sein,

(Zuruf des Abg. Kay-Uwe Ziegler [AfD])

dass immer noch eine Ratifizierung durch die Nationalstaaten vorgenommen werden muss.

(Johannes Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Und dass das passiert, dass jeder nationale Staat noch einmal darüber entscheidet, ist eine Sicherung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Es kommt noch ein weiteres Wenn. Wenn die Staaten das ratifizieren, dann hat es trotzdem inhaltlich nichts mit dem zu tun, was Sie hier an Falschinformationen verbreiten und von dem Sie behaupten, dass es dann in einem solchen Pandemieabkommen oder in den internationalen Gesundheitsvorschriften stehen würde.

Das Bild, das Sie hier zeichnen, ist wieder das Gleiche: Sie schüren bewusst die Angst davor, dass es einen Kontrollverlust geben könnte, dass einzelne Menschen einer Willkür unterworfen werden, dass irgendjemand sich ausdenkt, dass Zwangsimpfungen vorgenommen werden, dass Ausgangssperren verhängt werden. Das alles ist nicht der Fall.

Ein Blick in die internationalen Gesundheitsvorschriften und auch in das Pandemieabkommen zeigt das ganz deutlich:

(Zurufe von der AfD)

Die WHO hat weder die Befugnisse noch die Möglichkeiten – sie wird sie auch nicht bekommen –, durch einen Pandemievertrag oder die internationalen Gesundheitsvorschriften solche Dinge zu tun.

Die Aufgabe der WHO ist es – aus guten Gründen –, Normen zu setzen,

(Beatrix von Storch [AfD]: Normen zu setzen?)

Empfehlungen auszusprechen, die die Nationalstaaten dann umsetzen können oder nicht. Es gibt keine Instanz, die sich durchsetzt, wenn ein Staat sich nicht dementsprechend verhält.

(Beatrix von Storch [AfD]: Genau das soll geändert werden, wie Sie wissen!)

Genau das ist das eigentliche Problem, weswegen wir zu größerer Verbindlichkeit kommen müssen. Kollegen haben schon einige Beispiele aufgeführt. Die Beispiele aus der Vergangenheit zeigen übrigens genau das Gegenteil von dem, wovor Sie hier Ängste schüren. Da war es nämlich so, dass Deutschland teilweise Einreisebeschränkungen verhängt hatte, obwohl es eben nicht die Evidenz dafür gab

(Beatrix von Storch [AfD]: Ups!)

und obwohl die Empfehlung der WHO war, dies nicht zu tun.

Genau das zeigt ja, dass wir uns auf Evidenz stützen sollen und dass es gut ist, wenn die Staaten zu einem Abkommen gelangen, das regelt, dass stärker zusammengearbeitet wird, dass Wissen geteilt wird, dass Impfstoffe und Gesundheitsprodukte möglichst besser entwickelt und hoffentlich allen Menschen zugänglich gemacht werden können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Beatrix von Storch [AfD]: Allen Menschen auf der ganzen Welt?)

Dass wir auch weiterhin über die Coronapandemie reden müssen, ist uns sehr bewusst. Ich bin deswegen froh, dass unser Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich zum Beispiel den Vorschlag gemacht hat, dass die hervorragende Arbeit des Bürgerrates zum Thema Ernährung auch in diesem Zusammenhang weitergeführt wird und wir auch hier einen Bürger/-innenrat einsetzen.

(Martin Sichert [AfD]: Wir sind keine Räterepublik! Wir sind eine Demokratie!)

Ich glaube, das ist der richtige Vorgang. Das ist die richtige Strategie, um Antworten zu liefern und hier auch eine gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich schaffe jetzt leider eine ganze Menge von dem, was ich noch sagen wollte, nicht. Deswegen sage ich zum Abschluss, dass ich es sehr unredlich finde, dass Sie bewusst und unberechtigt Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung schüren, dass Sie bewusst Falschinformationen verbreiten

(Beatrix von Storch [AfD]: Wir klären bewusst auf!)

und hoffen, dass sie irgendwann verfangen und Leute so unzufrieden machen, dass sie Ihrer Politik blind hinterherlaufen, obwohl Sie viele Fragen aufwerfen und keine Lösungen bieten.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Damit nehmen Sie bewusst in Kauf, dass Menschen so aufgebracht sind, dass sie auch tätlich werden. Sie nehmen bewusst in Kauf, dass unsere Gesellschaft in diesen Zustand kommt.

(Zurufe von der AfD)

Übernehmen Sie dafür endlich die Verantwortung!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Jetzt hat Dr. Christina Baum das Wort für die AfD.

(Beifall bei der AfD – Karsten Hilse [AfD]: Endlich mal eine Medizinerin! – Gegenruf des Abg. Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Eine Zahnärztin!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7611155
Wahlperiode 20
Sitzung 169
Tagesordnungspunkt WHO-Pandemievertrag
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta