16.05.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 169 / Zusatzpunkt 7

Rita Schwarzelühr-Sutter - Aktuelle Stunde: Gewalt gegen Ehrenamt, Politik und Einsatzkräfte

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich Premier Fico aus der Slowakei, der von diesem schrecklichen Attentat betroffen ist, gute Besserung wünsche.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ja, unsere Demokratie ist bedroht. Lage und Zahlen sind besorgniserregend. Über 6 000 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträgerinnen und Mandatsträger wurden 2023 registriert. Die zunehmende Gewalt trifft ja nicht nur uns Politikerinnen und Politiker, sondern immer häufiger auch Polizistinnen und Polizisten, Feuerwehrleute, Rettungskräfte, Sanitäter. Die werden angepöbelt, bespuckt, bei ihrer Arbeit behindert oder sogar tätlich angegriffen, und das nicht nur irgendwo an Brennpunkten, sondern verteilt über das ganze Land.

Auch der Sport ist betroffen. Im letzten Jahr wurden Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter in mehr als 2 500 Amateurfußballspielen angegriffen, Leute, die sich freiwillig ehrenamtlich zur Verfügung stellen. Betroffen sind Menschen, die sich für unser Land, für unsere Gesellschaft, unsere Demokratie einsetzen. Sie werden beschimpft, und sie werden auch mit körperlicher Gewalt bedroht.

Ein trauriger Höhepunkt dieser Gewalt war die Attacke auf den Europaabgeordneten Matthias Ecke. Am 3. Mai wurde er so brutal zusammengeschlagen, dass er sogar ins Krankenhaus eingeliefert und auch operiert werden musste. Auch ihm wünsche ich an dieser Stelle gute Genesung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Natürlich macht das was mit den Menschen. Es ist nicht nur die Person, die angegriffen wird, sondern jede Person hat eine Familie, und auch mit denen macht das was. Deshalb ist es so wichtig, dass wir an ihrer Seite stehen. Diese Eskalation von Bedrohungen und Gewalt kann keine Demokratin, keinen Demokraten kaltlassen. Wir werden uns dem gemeinsam mit aller Kraft entgegenstellen.

Seit einigen Jahren erleben wir eine Verrohung im Umgang mit Menschen, die sich für die Demokratie und für unser Gemeinwesen einsetzen. Was wir, ich sage jetzt mal, schon ältere Semester, nicht anständig finden und von dem wir denken, das gehört sich nicht, ist aber auch tatsächlich ein absolutes No-Go. Es ist ein No-Go, wenn es um Gewalt geht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Attacken wurden immer massiver. Als Politikerin oder Politiker gewöhnt man sich vielleicht an so manche miese E-Mail, die man bekommt. Ich kann mich gut an eine erinnern, in der es hieß: Zieh dich warm an! Die Zimmer sind kalt in Buchenwald. – Man gewöhnt sich vielleicht daran, aber man darf sich nicht daran gewöhnen. Vor allem bleibt es nicht nur beim Wort, sondern wir wissen, es werden auch Taten daraus.

Wenn es heißt, als Politiker muss man das vielleicht aushalten, widerspreche ich dem ganz entschieden. Wir haben hitzige Debatten. Wir müssen um das beste Argument, um die beste Lösung streiten. Aber Geschäft ist Geschäft, und Schnaps ist Schnaps. Hart in der Sache sein, aber hinterher miteinander normal umgehen können, miteinander ein Bier trinken können: Das macht es doch aus. Aber eine Verächtlichmachung, wie sie teilweise auch hier im Parlament stattfindet – das wurde schon angesprochen –, wo wir Gäste haben, wo wir viele Schülerinnen und Schüler haben, wo wir Vorbilder sind, darf tatsächlich nicht passieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ganz klar will ich auch sagen: Gewalt ist nie legitim, weder verbal noch körperlich, egal von wem sie ausgeht oder wen sie trifft. Es gibt keine Rechtfertigung für Gewalt.

Besonders erschüttern mich auch die Attacken auf die Rettungs- und Einsatzkräfte sowie auf ehrenamtlich Engagierte. Die stehen nicht für eine politische Partei oder eine bestimmte politische Richtung. Wenn jemand mich oder die Partei ablehnt – ich will das mal so sagen, Herr Throm –, wenn jemand mit der Politik einer Regierung nicht zufrieden ist, dann gehört es in einer Demokratie dazu, dass man was anderes wählen kann. Aber das ist keine Legitimation für Gewalt.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Das habe ich ja gesagt!)

Unsere Demokratie macht aus, dass man eine freie Wahl hat, und das ist tatsächlich wichtig.

Feuerwehr oder Polizei, Lehrerinnen und Lehrer, Ehrenamtliche in Vereinen und Initiativen anzufeinden und zu attackieren, ist ein No-Go, und das gehört auch nicht zu meiner Vorstellungswelt. Wir brauchen eine angstfreie, gewaltfreie Kommunikation, Ehrenamtsarbeit ohne Vorbehalt. Wir brauchen ein zivilgesellschaftliches Engagement für alle. Wir wissen doch: Dieses zivilgesellschaftliche Engagement, die Kommunalpolitik, das ist das Fundament unserer Demokratie. Und deshalb fordert jede Attacke auf Ehrenamtliche auch uns alle sehr direkt heraus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Demokratie lebt vom Mitmachen, vom Mitmischen und vom Mitdiskutieren. Damit das möglich ist, braucht es Menschen, die das auch wollen, die sich das auch zutrauen, die nicht eingeschüchtert werden und es den anderen überlassen, die einfach lauter und gewalttätiger sind. Dafür müssen wir alle miteinander etwas tun. Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten. Und deshalb muss politisches Engagement überall im Land ohne Angst möglich sein.

Es war richtig, dass die Innenminister aus Bund und Ländern nach den Ereignissen vom 3. Mai zusammengekommen sind und auch über mögliche Schutzmaßnahmen geredet und geklärt haben, was wir jetzt prüfen; denn wir brauchen ein klares Stoppsignal. Wir brauchen Strafen, die auf dem Fuß folgen, damit die Täter sehr schnell spüren, wo es langgeht.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Ja, genau! Das geht aber alles! Deswegen habe ich den Beispielsfall geschildert! Das geht alles!)

– Ja, es geht alles, und das tun wir auch. – Die Gesellschaft verachtet Taten dieser Art und ahndet sie mit voller Härte des Rechtsstaats. Das heißt, wir brauchen schnelle Verfahren und spürbare, abschreckende Strafen.

Als Bundesinnenministerium sind wir den zuständigen Kolleginnen und Kollegen in den Ländern – ich will das ausdrücklich hier sagen – für ihren Einsatz sehr dankbar. Sie fahren die Schutzkonzepte der Polizei hoch, verstärken Streifen, richten feste Ansprechstellen ein. Ich will gerade den Polizistinnen und Polizisten ganz herzlich danken.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ministerin Faeser hat zugesagt, dass der Bund die Länder mit der Bundespolizei an anderen Stellen weiter entlastet, etwa bei großem Demonstrationsgeschehen, aber natürlich auch bei Fußballspielen und anderen Lagen. Aber uns ist natürlich klar: Polizeipräsenz allein kann das Problem nicht lösen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die im täglichen Leben anfängt. Schon in der Kita und in der Schule müssen Kinder lernen, wie man mit Konflikten umgeht. Von Beginn an müssen die Grundwerte unserer Demokratie vermittelt werden. Es braucht ein respektvolles Miteinander.

Wir unternehmen hier auf allen Ebenen schon viel mit politischer Bildung, mit der Ausbildung von Konfliktlotsen, und wir dürfen und werden nicht nachlassen. Auch deshalb hat die Bundesministerin im letzten Jahr eine Kampagne gestartet, die die Wertschätzung für Polizei und Rettungskräfte erhöhen soll. Und wir werben gleichzeitig nochmals für Strafverschärfung bei Angriffen auf Einsatzkräfte – ich betone: auf Einsatzkräfte –; denn sie verdienen unser aller Respekt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die allermeisten, die sich in unserem Land politisch engagieren, sind auf der lokalen Ebene unterwegs. Und gerade kommunal Aktive bekommen das veränderte gesellschaftliche Leben ganz nah am eigenen Leib zu spüren. Sie brauchen unseren Schutz, und sie brauchen unsere Unterstützung. Wir müssen auch signalisieren: Sie sind nicht allein. Wir stehen hinter ihnen.

Eines unserer Angebote ist die bundesweite Ansprechstelle für kommunale Amts- und Mandatsträger, die wir gerade aufbauen. Wir wollen außerdem das Melderecht ändern, damit Privatadressen von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern besser geschützt sind. Auch hier wird die Ministerin in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich glaube, es ist für viele, wenn sie sich für die Kommunalpolitik engagieren und sich zur Wahl stellen, ganz wichtig, dass sie dann auch geschützt sind. – Ich sehe schon, es blinkt. Ich versuche, noch etwas schneller zu reden.

Lassen Sie mich noch einen Satz sagen.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Wenn es blinkt, ist Schluss!)

– Nein, es ist noch nicht ganz Schluss, Herr Throm. – Wer demokratische Politikerinnen und Politiker zu Freiwild erklärt, trägt mindestens eine Mitverantwortung für Gewalt. Der Staat steht aber auch an der Seite der Rettungs- und Einsatzkräfte, der vielen ehrenamtlich Engagierten. Der Staat schützt alle, die sich in unserer Demokratie politisch engagieren. Unsere Demokratie ist wehrhaft. Dafür steht unser Grundgesetz seit 75 Jahren. Ich glaube, das Wichtigste, was unser Grundgesetz an erster Stelle platziert hat, ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das Wort hat der Kollege Ralph Edelhäußer für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7611182
Wahlperiode 20
Sitzung 169
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Gewalt gegen Ehrenamt, Politik und Einsatzkräfte
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