06.06.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 172 / Zusatzpunkt 1

Lars KlingbeilSPD - Regierungserklärung zur aktuellen Sicherheitslage

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinter uns liegt eine Woche, die uns alle mitgenommen hat, die uns erschüttert hat, die zeigt, wie turbulent die Zeiten sind, in denen wir leben.

(Beatrix von Storch [AfD]: „Turbulente Zeiten“?)

Und ich will sagen: Es war richtig, dass der Bundeskanzler heute eine Regierungserklärung abgegeben hat zu dem, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, vor allem zu dem brutalen Mord an einem jungen Polizisten in Mannheim. Es braucht in diesen Tagen klare Worte. Es braucht klares und konsequentes Handeln. Ich bin dem Bundeskanzler dankbar dafür, dass er diese Worte heute im Parlament gefunden hat

(Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU])

und dass er einen Weg vorgegeben hat, wie wir mit den Herausforderungen, mit den Problemen, die gerade bestehen, umgehen. Die Regierung hat unsere volle Unterstützung, diesen Weg konsequent und schnell umzusetzen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns als Politik jeden Tag fragen, was wir besser machen können, um die Sicherheit, die Freiheit und den Wohlstand unserer Bürgerinnen und Bürger im Land zu schützen und zu gewährleisten. Und ja, Herr Merz, Sie haben recht: Nicht alle Antworten gibt allein die Regierung. Ich glaube, es ist wichtig – auch dafür dient diese Debatte –, dass wir hier, in der breiten demokratischen Mitte dieses Parlamentes, um die richtigen Antworten ringen, dass wir uns austauschen, dass wir uns gegenseitig Ideen vorstellen, dass wir dann aber auch konsequent und schnell in die Beratung im Parlament gehen, dass wir die Kraft haben, als Parlament die richtigen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Ich will das für die SPD explizit sagen: Wir wollen diesen Weg in der demokratischen Mitte dieses Parlamentes gemeinsam gehen, wir wollen ihn schnell und zügig gehen. Aber ich sage auch: Wir werden nicht zulassen, dass die grausamen Vorfälle der letzten Tage parteipolitisch instrumentalisiert werden. Das darf nicht passieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der hinterhältige und offenbar islamistisch motivierte Mord am Polizisten Rouven L. in Mannheim, er ist furchtbar, er ist sinnlos, er ist menschenverachtend. Mir fehlten in den ersten Stunden die Worte. Er war ein junger Polizist, der im Einsatz für unsere Freiheit und unsere Demokratie ermordet wurde. Mit 29 Jahren hatte er noch ganz viel Leben vor sich und ist viel zu früh von uns gegangen. Es ist viel über den Mut von Rouven L. gesagt worden, auch in dieser Debatte. Wir alle sind ihm zu Dank verpflichtet.

Aber ich möchte diesen Dank und unseren Respekt auf alle Polizistinnen und Polizisten ausweiten, die oft unter schwierigen Bedingungen ihren Dienst tun. Sie tun das für uns alle. Für alle Polizisten ist der Dienst herausfordernder geworden. Sie sind oftmals ein Schutzwall zwischen Rechtsstaat, Demokratie und denjenigen, die unseren Rechtsstaat missachten. Ich glaube, dass dieser grausame Mord auch den Blick von vielen Polizistinnen und Polizisten auf ihren Berufsalltag verändert. In Zeiten, in denen die Angriffe auf unsere Demokratie und unsere Freiheit zunehmen, müssen wir uns als Verantwortliche in der Politik auch immer wieder fragen, wie wir die Arbeitsbedingungen für unsere Polizei verbessern können, auf der Landesebene und auch im Bund. Ich sehe uns als Politik, als Gesellschaft in der Verantwortung.

(Stephan Brandner [AfD]: Nicht fragen! Machen! Sie regieren! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie sollen nicht fragen, sondern machen! Sie sind in der Regierung!)

Und weil ich Jochen Kopelke, den Vorsitzenden der GdP, oben auf der Tribüne gesehen habe, will ich hier stellvertretend sagen: Sehr geehrter Herr Kopelke, vielen Dank für den Dienst, den die Polizistinnen und Polizisten in unserem Land leisten.

(Zuruf der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])

Es ist unsere Aufgabe, den Schutz derjenigen, die uns beschützen, zu stärken. Die SPD wird dieser Verantwortung nachkommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christian Dürr [FDP])

Wir haben in den letzten Wochen erlebt, dass die Bereitschaft, Gewalt einzusetzen, um politische Ziele zu verfolgen oder Menschen mundtot zu machen, zugenommen hat. Mein Kollege Matthias Ecke ist angesprochen worden, auch Herr Kiesewetter und Herr Koch. Vertreterinnen und Vertreter von allen politischen Parteien sind in den letzten Wochen tätlich angegriffen worden. Ich will das mit aller Klarheit sagen: Wir verurteilen jede Gewalt. Ich verurteile jede Gewalt. Gewalt darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Da gibt es kein „Ja, aber“, da gibt es keine Verharmlosung, keine Relativierung. Gewalt hat in der politischen Auseinandersetzung keinen Platz, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christian Dürr [FDP])

Wenn ich mit Bürgermeistern, mit Kommunalpolitikern rede, die darüber nachdenken, aufzuhören, wenn ich mit Feuerwehrleuten, mit Polizisten, mit anderen Helfern rede – ich habe gerade in diesen Tagen einige Vertreterinnen und Vertreter der Freiwilligen Feuerwehr, des THWs bei mir, die in meinem Wahlkreis zum Jahreswechsel geholfen haben, das Hochwasser zu bekämpfen –, dann ist doch klar: Es ist unsere Aufgabe, dass wir uns schützend vor diese Menschen stellen, die angegriffen werden bei dem, was sie täglich für unser Land und unsere Demokratie leisten. Das ist eine Aufgabe, die wir als Politik haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall der Abg. Heike Baehrens [SPD])

Wenn ich auf der anderen Seite in diesen Tagen nach Bayern und Baden-Württemberg blicke und sehe, wie dort auch von vielen Ehrenamtlichen das Hochwasser bekämpft wird, dann zeigt das doch, wie stark der Zusammenhalt und die Solidarität in unserem Land sind. Das ist etwas, was Hoffnung macht und auch zeigt, was das moderne Deutschland eigentlich ausmacht.

Wir dürfen nicht den Fehler machen, auf die Lauten, auf die Schreihälse zu hören und uns von denen die politische Debatte diktieren zu lassen. Die Lauten und die Schreihälse, die mit dem Megafon auf der Straße oder im Netz unterwegs sind und aufstacheln, sind doch nicht die Mehrheit in diesem Land. Die Egoisten sind doch nicht die Mehrheit in diesem Land.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die Leisen, die Fleißigen, die Vernünftigen, die Solidarischen, die Warmherzigen, die Zugewandten, die Engagierten, die guten Nachbarn, die wir alle kennen, sie sind die Mehrheit.

(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])

Es sind diejenigen, die die Gewalt verurteilen, die sich jetzt in Mannheim solidarisch getroffen haben und des ermordeten Polizisten gedacht haben. Das ist die große Mehrheit in diesem Land, und für die, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir jeden Tag unsere Arbeit in den Mittelpunkt stellen. Für die sind wir verantwortlich, für die machen wir Politik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir über eine gesellschaftliche Spaltung in diesem Land reden, dann will ich hier klar sagen: Ja, diese Spaltung gibt es. Aber diese Spaltung macht sich doch nicht an Hautfarbe, nicht an Alter, nicht an Religion, nicht an der Geburtsstadt fest. Diese Spaltung macht sich doch nicht fest an der Art, wie wir leben oder ob und welches Auto wir fahren. Diese Spaltung macht sich daran fest, dass es die gibt, die in Frieden und Freiheit leben wollen, und dass es diejenigen gibt, die auf Gewalt, Fanatismus und auf Extremismus setzen – und die müssen wir gemeinsam bekämpfen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Merz, ich will das hier einmal für mich festhalten: Wir haben mit der stärksten demokratischen Opposition gut zusammenarbeitet bei vielen Fragen, was die Ukraine angeht. Es gibt Unterschiede, aber wir haben es geschafft, einen gemeinsamen Weg zu finden. Sie haben in dieser Woche eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den Islamismus angeboten. Ich will dieses Angebot hier ausdrücklich aufnehmen. Das ist eine Verantwortung, die wir als Demokratinnen und Demokraten haben. Wir werden als SPD, als führende Kraft in der Regierung, diesen Kampf vorantreiben, und wir zählen dabei auf Ihre Unterstützung.

Es gibt aber auch ein anderes Thema, das ich hier ansprechen möchte. Lieber Herr Merz, als ich am Sonntag in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ das Interview Ihres Kollegen Manfred Weber gelesen habe, musste ich es dreimal lesen. Er sagt darin, dass er eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen in Italien lieber habe als mit den Sozialdemokraten und den Grünen. Ich will festhalten: Ich hätte mir gewünscht, dass Sie auch hierzu heute Worte finden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zurufe der Abg. Sebastian Münzenmaier [AfD] und Martin Reichardt [AfD])

Wir verteidigen unseren Rechtsstaat nicht, indem wir die Tür für die Extremisten öffnen. Wir brauchen Koalitionen in der Mitte, sowohl in Deutschland als auch in der Europäischen Union, wenn wir unseren Kontinent gegen die Feinde der Demokratie verteidigen wollen.

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Welche Verzweiflung in der SPD! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Die Grünen haben das GEAS abgelehnt! Das ist die Mitte!)

Hier und heute wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, zu erklären, ob Ihre Worte, Herr Merz, eigentlich gelten, dass es keine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen und Rechtspopulisten gibt,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

oder ob der Weg von Frau von der Leyen oder Manfred Weber gilt, dass man bereit ist, mit denen nach der Europawahl nach Mehrheiten zu suchen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist doch absurd, was Sie da machen! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Scheinheilig!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den kommenden Wochen wollen wir ein guter Gastgeber bei der Europameisterschaft sein. Millionen Menschen werden nach Deutschland schauen, sie werden hier zu Gast sein, und wir wollen gute Gastgeber sein. Weil es in den letzten Wochen eine Debatte gab, wer dazugehört, will ich das für mich und für uns hier noch mal sehr klar sagen: Wir lassen uns Schwarz-Rot-Gold nicht von den Rechtsextremen und den Rechtspopulisten wegnehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Schwarz-Rot-Gold, das heißt gerade in diesen Tagen, dass İlkay Gündoğan, Jamal Musiala und Jonathan Tah dazugehören. Das ist das moderne Deutschland, auf das wir stolz sein können, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das lassen wir uns von den Feinden der Demokratie nicht kaputtmachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf des Abg. Sebastian Münzenmaier [AfD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7611803
Wahlperiode 20
Sitzung 172
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zur aktuellen Sicherheitslage
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