Bengt BergtSPD - Immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren
Moin. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Herr Lange, Sie haben gerade gesagt, dass Sie „ein Jahr durchschnittliche Genehmigungsdauer“ vernommen haben. Ich nehme Sie jetzt mal mit in eine bittere Realität.
Wie ersetze ich eine Windturbine? Also, da steht schon eine, ich möchte repowern, eine neue bauen. Antrag, Genehmigung, Bauen – Propeller dreht; alles gut. Schön wär’s! Ist es aber nicht.
Nummer eins. Wir müssen eine Umweltverträglichkeitsprüfung machen; Tiere, Pflanzen und Umgebung müssen gecheckt werden. Das braucht mindestens zwei Vegetationsperioden, also etwa ein Jahr.
Dann kommt das förmliche Verfahren. Das heißt, alle Daten der Windturbine müssen eingereicht werden, inklusive Fundamenttiefe, Stahlwanddicke – millimetergenau – und alle möglichen anderen kleinen Daten, die wichtig sind.
Dann kommt die Öffentlichkeitsbeteiligung; das BImSch-Verfahren geht also los. Das heißt, alle Daten der Träger öffentlicher Belange – wirklich alle: Bauämter, Bürgermeisterin, Bürger, Denkmalschutz – nicht für die alte Anlage, sondern für alles, was in Sicht- oder Hörweite ist, müssen eingereicht werden.
Da kann man tatsächlich manchmal ein bisschen verzweifeln. Es gab einen Fall, in dem befürchtet wurde, dass der Klang der Kirchenglocke durch die Rotorblätter verändert werden könnte – in 2 Kilometer Entfernung. Bums! Neues Gutachten nötig; Betreiber zahlt.
Noch ein Beispiel. Denkmalschutz. Sichtachsen auf historische Gebäude in 12 Kilometer Entfernung. Ein 1,80 Meter großer Mensch kann circa 5 Kilometer weit gucken; dann kommt der Horizont. 12 Kilometer – bums! –: neues Gutachten; Betreiber zahlt.
Bürgereingaben. Beispiel gefällig? Es gab einen Fall, in dem ein Bürger alle zwei Wochen einen neuen Einspruch – natürlich konzertiert – eingereicht hat, um zu verhindern. Rumms! Zwei Jahre obendrauf; Betreiber zahlt.
Und dann kommt der Endgegner: die untere Naturschutzbehörde. Denn nicht der Gutachter für die Umweltverträglichkeitsprüfung checkt, ob das alles naturverträglich ist, sondern die Mitarbeitenden der UNB, der unteren Naturschutzbehörde. Wenn sie was finden, wo sie zweifeln, kommen Auflagen. Zum Teil sind die mit „wild“ noch ziemlich freundlich umschrieben. Beispiel gefällig? Zitat aus einem Genehmigungsbescheid: Die Korngröße der Kiesauflage der Zuwegung darf 5 Millimeter nicht überschreiten. Bei der Kantenbeschaffenheit ist darauf zu achten, dass keine Grate vorhanden sind, dass der Frosch, der drüberhoppelt, sich nicht den Bauch aufkratzt – das ist Realität in Deutschland.
Weiteres Beispiel: Als Ausgleichsmaßnahme wurde in einem Fall eine Aufzuchtstation für Rotmilane angeordnet. Dann, 15 Jahre später, sollten die Anlagen ersetzt werden. Die Genehmigung wurde verweigert. Warum? Weil sich plötzlich, oh plötzlich Rotmilane angesiedelt hatten, denen es sehr gut geht an den Windanlagen. Das heißt also: Die Population wächst, obwohl wir Windkraft ausbauen. Da muss ja irgendwas dran sein – ganz eigenartig!
Dann kommt das nächste Thema. Wenn ich ein Software-Update auf meine Windturbine aufspielen möchte, muss ich einen neuen Antrag gemäß Bundes-Immissionsschutzgesetz einreichen, weil das ja die Eigenschaft der Turbine verändert – nur innen, aber das interessiert keinen.
Dann hat man noch lange keine Transportgenehmigung, wenn man repowern möchte. Beispiel Neuengörs in meinem Wahlkreis: Dort gibt es ein Tor an einem Autobahnrastplatz, was seit eineinhalb Jahren nicht geöffnet werden kann, weil die Sorge besteht, dass man in den schnellen Verkehr eingreift und das eine dauerhafte Ausfahrt werden soll. Witziger Punkt an der ganzen Sache ist: Darüber sind die alten Windturbinen auch schon reingekommen. Jetzt kann das Tor auf einmal nicht mehr aufgemacht werden. Also: Die Absurditäten reihen sich aneinander.
Das Schlimmste ist, wenn der Betreiber gewechselt hat oder vielleicht gar verstorben ist. Dann darf der Betreiber gar nicht ausfindig gemacht werden. Dann muss man einen standesamtlichen Antrag einreichen, um vielleicht festzustellen, wer vorher mal der Betreiber war, damit der neue Betreiber repowern kann.
Wenn man das alles zusammenrechnet, stellt man fest, dass eine Umweltverträglichkeitserhebung ein Jahr dauert, die Öffentlichkeitsbeteiligung mit Glück nur drei Jahre, die Umweltverträglichkeitsprüfung und Genehmigung mit Glück ein Jahr. Das heißt: Wir sind bei fünf Jahren insgesamt. Jetzt könnte die Windturbine kommen, aber die ist gar nicht mehr verfügbar; denn über fünf Jahre produziert keiner so ein Ding. Das heißt: Man muss wieder einen neuen Antrag stellen. Und so kommen wir zu den Genehmigungszeiten, die wir vorliegen hatten. Das betrifft übrigens nur das Repowering. Da stand also schon eine Windturbine. Das ist kein neuer Projektplan.
Deswegen ist gut, dass wir endlich Klarheit, Fristen und Digitalisierung in das Verfahren bringen. Wir sorgen dafür, dass der ganze Wust eben nicht mehr durchgeführt werden muss. Es gibt nur noch die Delta-Prüfung. Das heißt: Die Abweichung – Höhe, Ausmaß und Fundament – muss festgestellt werden.
(Zuruf der Abg. Anja Karliczek [CDU/CSU])
Der Suchraum für das Repowering wird verändert werden. Das heißt: Man kann die Turbine auch neu bauen, solange die alte noch steht, und die alte dann abreißen.
Vielen Dank.
Wir werden konkrete Fristen einziehen, damit nicht immer wieder neu nachgefordert wird –
Danke sehr.
– und neue Dokumente eingereicht werden müssen, die keiner mehr liest.
Ganz herzlichen Dank für diesen Entwurf, für diesen Genehmigungsturbo, den wir brauchen.
Herr Kollege! Ich habe es so freundlich versucht.
Das ist Deutschlandgeschwindigkeit.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 20 |
Session | 172 |
Agenda Item | Immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren |