06.06.2024 | Deutscher Bundestag / 20. EP / Session 172 / Zusatzpunkt 3

Petra NicolaisenCDU/CSU - Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Überraschung: Die AfD entdeckt kurz vor den Kommunalwahlen ihr Interesse an den Kommunen. Keine Überraschung ist für mich: Sie stellt gleichzeitig ihre eigene kommunalpolitische Inkompetenz zur Schau.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Kolleginnen und Kollegen der AfD, Sie wollen die Kommunalfinanzen stärken und gleichzeitig die Grundsteuer abschaffen. Legt man die Zahlen aus dem vergangenen Jahr zugrunde, dann wollen Sie allein in den Flächenländern rund 14 Milliarden Euro, also etwa 11 Prozent der kommunalen Steuereinnahmen, streichen. Ich wette, nicht einmal Ihr eigener Landrat versteht, dass mit der Abschaffung der Grundsteuer die Kommunalfinanzen gestärkt werden sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Carolin Bachmann [AfD]: Lesen Sie mal den Antrag!)

Man kann nachvollziehen, dass Sie kurz vor den Wahlen noch auf den Zug der Grundsteuerkritik aufspringen wollen, der natürlich auf viele Kommunen zurollt. Aber dann richten Sie die Kritik doch bitte an den, der die aktuelle Situation der Kommunen bei der Grundsteuer maßgeblich verbockt hat. Mit dem denkbar kompliziertesten Modell hat der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz seine Grundsteuerreform durchgedrückt,

(Bernhard Daldrup [SPD]: Das stimmt nicht!)

die den meisten Ländern, die dieses Scholz-Modell angewandt haben, jetzt auf die Füße zu fallen droht. Erneut muss Karlsruhe über die Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuer entscheiden. Zum Glück konnten wir als Union seinerzeit auf den letzten Metern noch eine Öffnungsklausel für Länder durchsetzen.

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Haben wenige genutzt! Und die sind genauso verfassungsfeindlich!)

Sie ermöglicht zumindest einigen Ländern die Chance, durch diesen Schlamassel zu kommen.

Aber zurück zu Ihnen, liebe Kollegen der AfD. Sie haben viele abstruse Ideen zur Migrationssteuerung. Sie wollen Kommunen in Wohnungsnot keine Flüchtlinge mehr zuweisen und gleichzeitig den Zuzug nicht in ländliche Räume verschieben. Also wenn Ihnen das gelingt, dann gelingt Ihnen auch die Quadratur des Kreises.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Carolin Bachmann [AfD]: Wir wollen die Migration beenden!)

Wo stehen denn Wohnungen leer? Auf dem Land.

(Zuruf von der AfD: Was?)

Es sollte mich nicht verwundern, aber von gleichwertigen Lebensverhältnissen verstehen Sie noch weniger als die Ampel, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Auch diese hat bei dem Thema einen blinden Fleck. Aber ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Entscheidungen zu oft aus städtischer Perspektive getroffen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Urbanisierungsdruck konterkariert das Ziel, Leben in der Stadt und auf dem Land in Einklang zu bringen.

(Zuruf des Abg. Mike Moncsek [AfD])

Energiepolitik, Wärmeplanung, Verkehrspolitik oder Baupolitik – diese Regierungspolitik wird zu sehr aus großstädtischer Perspektive betrieben. Sie unterschlagen die besagte Balance nicht nur bei den Leitlinien der nachhaltigen Entwicklung. Sie sind auch einfach mutlos, wenn Sie nur Ihre städtische Wählerklientel betrachten.

(Zuruf von der SPD: Machen Sie ja glücklicherweise nicht!)

Dabei ist die Berücksichtigung gleichwertiger Lebensverhältnisse der wichtigste Punkt, um unsere Kommunen zu stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hierfür brauchen wir durchdachte Digitalisierung. Ich gebe nur einmal das Stichwort „Homeoffice“ mit auf den Weg. Voraussetzung dafür wäre ein flächendeckender Breitband- und Mobilfunkausbau, ein guter ÖPNV und das Bekenntnis zum Individualverkehr,

(Lachen der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

eine verlässliche medizinische Versorgung, kulturelle Vielfalt, eine finanzielle Förderung von Familien für das Eigenheim, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und es braucht ein Mindset, das das Leben im ländlichen Raum nicht nur duldet, sondern auch unterstützt. All das – ich spreche nicht nur von der Bullerbü-Romantik der Grünen –

(Lachen des Abg. Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

lässt diese Ampelkoalition vermissen. Sie beschneidet das Entwicklungspotenzial auch durch die einseitige Förderung städtischer Ballungszentren und das Zurückfahren von Förderansätzen strukturschwacher und ländlicher Räume im Bundeshaushalt.

Die kommunale Finanzlage ist besorgniserregend. Nach dem Überschuss im Jahr 2022 haben die Kommunen im Jahr 2023 erstmals wieder ein Defizit von über 6 Milliarden Euro verzeichnen müssen. Woran liegt das? Die jährliche Belastung aus den bislang von der Ampelkoalition verabschiedeten Gesetzen liegt bei weit über 4 Milliarden Euro. Den überwiegenden Teil des Kommunaldefizits haben Sie zu verantworten.

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie mal vorrechnen!

Die Kommunen können sich Ihre Politik schlichtweg nicht mehr leisten.

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)

Der Bund bestellt und lässt nicht nur kochen; den Koch müssen sie auch noch bezahlen. Kommunen bleiben auf den Kosten sitzen – ein Problem, das sich schon durch die ganze Wahlperiode zieht, und das nicht nur im Bereich der Migration und des Klimaschutzes.

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt hinten und vorne nicht!)

Die Ampelkoalition trägt damit zur strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen bei. Und die Ampelkoalition bringt die kommunale Leistungsfähigkeit akut in Gefahr.

(Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn!)

Lassen Sie mich raten: Stünde Ihnen Ihr Haushaltshochwasser nicht schon bis zum Hals, dann würden Sie glatt noch ein Verschlimmbesserungsförderprogramm auflegen.

Diese Förderpolitik taugt nichts. Die Förderlandschaft in Deutschland ist geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher Programme von verschiedenen Stellen und Trägern. Ja, ich fasse mich an die eigene Nase. Auch die Union hat diesen Dschungel mitzuverantworten.

(Beifall des Abg. Mike Moncsek [AfD])

Aber wir haben erkannt: Die Komplexität hat zur Folge, dass Kommunen Fördermittel oftmals entweder nicht oder nicht rechtzeitig abrufen. Betroffen sind vor allem strukturschwache Kommunen, die gar nicht die Möglichkeit haben, die Programme zu administrieren. Mein trauriges Highlight war – aufgepasst, ich habe es selber nicht geglaubt – das Beratungsprogramm des Bundes, mit dem Kommunen fit für die Beantragung eines Förderprogramms der EU gemacht werden. Unglaublich! Getoppt wird das nur noch durch Reinhard Meys „Antrag auf Erteilung eines Antragformulars“.

Aber im Ernst, Kommunen müssen haushalterische Planungssicherheit mit langfristiger Perspektive haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Also: allgemeine, kluge Finanzzuweisungen durch kommunalen Finanzausgleich oder über eine verbesserte Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen statt eines Förderdschungels. Ich bin gespannt, ob das ein Aspekt ist, der auch bei dem vom Bundesfinanzministerium für den letzten Tag vor der parlamentarischen Sommerpause angesetzten Austausch über die Finanzierung der Kommunen behandelt wird. Die Terminierung spricht bereits Bände. Die immerhin glückliche Einsicht, hierzu einen Austausch zu starten, kommt zu spät, aber sie kommt immerhin. Wir warten mal, was passiert.

(Carolin Bachmann [AfD]: Stimmen Sie doch unserem Antrag zu!)

Ich appelliere: Lassen Sie Ihr Initiativchen nicht verpuffen, und kommen Sie spätestens anschließend vom Reden ins Handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber zurück zum rechten Rand des Plenums. Sie geben vor, mit Ihren Anträgen die Kommunen und die kommunale Selbstverwaltung zu stärken,

(Carolin Bachmann [AfD]: Ja!)

und scheitern dabei schon bei den einfachsten Grundlagen. Sie versuchen, kommunalpolitisch zu punkten, und greifen populistische Forderungen auf. Dabei merken Sie gar nicht, dass Sie damit auch das kommunale Ehrenamt schwächen und Kommunen zu Leistungsempfängern finanzieller Zuweisungen degradieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Ampelkoalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel gesteckt,

(Carolin Bachmann [AfD]: Was meinen Sie denn genau?)

Kommunen mit einem hohen Maß an Entscheidungsfreiheit vor Ort zu erreichen. Die Realität ist: zentralistische Bundesvorgaben bis auf die örtliche Ebene, Gängelung über Nischenförderprogramme, die die kommunale Finanzlage und die Selbstverwaltung schwächen, sowie schließlich den Kommunen immer mehr Aufgaben zu übertragen und ihnen den gebührenden Respekt vorzuenthalten. Wer beim Blick in den Koalitionsvertrag der Ampelparteien hoffte, die kommunalfreundliche Bundespolitik vergangener Wahlperioden würde nach dem Regierungswechsel nahtlos fortgesetzt, ist nach nun zweieinhalb Jahren deutlich ernüchtert.

Frau Kollegin, Sie kommen bitte zum Ende.

Wer darauf setzt, dass Ansätze der AfD den Kommunen weiterhelfen, wird bitter enttäuscht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Daniel Föst [FDP]: Neun Minuten Rede, nichts gesagt!)

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Electoral Period 20
Session 172
Agenda Item Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung
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