Carl-Julius CronenbergFDP - Arbeitszeitflexibilisierung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Einbringung des Antrags im März hat der geschätzte Kollege Knoerig zu Recht festgestellt, dass die Koalition im Grunde das vereinbart hat, was die Union jetzt fordert,
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Aha! Lesen bildet!)
und kritisiert, dass der Passus aus dem Koalitionsvertrag nach zweieinhalb Jahren noch nicht umgesetzt ist. Unerwähnt lässt Kollege Knoerig dabei, dass die letzte unionsgeführte Regierung in ihrem Koalitionsvertrag ebenfalls eine Tariföffnungsklausel zur Arbeitszeitflexibilisierung vereinbart hatte,
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damals war das Thema noch nicht so wichtig!)
die allerdings nie das Licht der Welt erblickt hat. Wie heißt es so schön bei Matthäus: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, und den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Dieselbe Blockade! Dieselben Blockierer!)
Jedenfalls hat die aktuelle Koalition im Gegensatz zu der abgewählten Großen Koalition noch ein Jahr Zeit, den Koalitionsvertrag umzusetzen und die Arbeitszeitflexibilisierung in Experimentierräumen auf den Weg zu bringen.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Viel Erfolg!)
Die aktuelle wirtschaftliche Lage gibt leider Anlass zum Handeln. Wir haben gleichzeitig eine Wachstumsschwäche, Fach- und Arbeitskräftemangel und stagnierendes Arbeitsvolumen trotz Rekordbeschäftigung zu verzeichnen. Wann, wenn nicht jetzt, wie, wenn nicht durch den Abbau von zu engen Fesseln, sollen wir die Wirtschaft ohne neue Schulden ankurbeln, liebe Kolleginnen und Kollegen?
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Aha! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Interessant!)
Insofern begrüße ich, dass wir heute Abend über das Thema Arbeitszeitflexibilisierung diskutieren,
(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Wir auch!)
auch wenn ich finde, dass es der Qualität der Debatte und auch dem Vertrauen der Menschen in unsere Arbeit im Parlament zuträglich wäre, wenn dabei auf übertriebene Pauschalierungen und Übertreibungen verzichtet würde. Beispielsweise ist es nicht so, wie es der Antragstext suggeriert, dass die gesamte Bevölkerung, also jeder und jede, eine stärkere Arbeitszeitflexibilisierung wünscht. Wie sonst erklären Sie sich, lieber Kollege Knoerig, dass fast 80 Prozent der Beschäftigten in Deutschland angeben, dass sie mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden bis sehr zufrieden sind?
Ebenso falsch ist aber auch die pauschale Unterstellung, dass 3 Millionen Arbeitgeber in Deutschland mit den Hufen scharren und nur darauf warten, dass ihnen der Wechsel zur Wochenhöchstarbeitszeit die Möglichkeit eröffnet, ihre Beschäftigten zu längerer und womöglich gesundheitsschädigender Arbeitszeit zu zwingen. Was vermittelt das für ein Bild von unseren Unternehmerinnen und Unternehmern, liebe Kolleginnen und Kollegen? Eine solche Unterstellung haben unsere Arbeitgeber, insbesondere diejenigen im Mittelstand, nicht verdient.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Überhaupt würde sich für die überragende Mehrheit der Betriebe mit einer Anpassung im Arbeitszeitgesetz im Sinne des Koalitionsvertrags gar nichts ändern, weil eine solche Änderung ja nicht bestehende Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträge außer Kraft setzen würde. Aber ändern würde sich eines: Der Gesetzgeber gesteht den Sozialpartnern mehr Freiheit zu, die für ihre Branchen und ihre Betriebe besten Lösungen zu finden. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss die Botschaft an die Wirtschaft, an die Menschen in diesen Tagen sein: weniger Misstrauenskultur und mehr Freiheitsvertrauen.
(Beifall bei der FDP – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Was macht denn jetzt die Ampel eigentlich?)
Die im Koalitionsvertrag vereinbarte und im Oppositionsantrag geforderte Öffnung ist im Kern die Anpassung des deutschen Arbeitszeitrechts an die europäische Arbeitszeitrichtlinie. Die Behauptung, eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie komme einer Rückkehr zum Manchester-Kapitalismus gleich, vermittelt, verehrter Kollege Kleinwächter, gelinde gesagt, ein merkwürdiges Verständnis von der Europäischen Union; das haben Sie ja auch.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ich habe gar nicht von Manchester-Kapitalismus geredet!)
Eine solche Unterstellung weise ich deutlich zurück. Die soziale Marktwirtschaft ist und bleibt fest verankert in unserem Europa, und das ist gut so.
(Beifall bei der FDP – Enrico Komning [AfD]: Na ja!)
Bleibt die Frage, um welche konkreten Herausforderungen es geht. Zurzeit entscheiden sich ausländische Fachkräfte, die in kurzer Zeit viel verdienen wollen und dann längere Zeit mit ihren Familien verbringen wollen, für andere Länder und nicht für Deutschland. Das ist schlecht. Zurzeit verlieren Saisonbetriebe ihre Arbeitskräfte, weil diese aufgrund der Einschränkungen nicht genug Freizeitanspruch aufbauen können, um Schließzeiten zu überbrücken. Das ist schlecht. Es schließen zurzeit Geschäfte, obwohl Mitarbeiter gerne mehr oder zu anderen Zeiten arbeiten würden. Auch das ist schlecht.
Ich finde, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als verantwortungsvolle Erwachsene ihre Arbeitszeit anders legen wollen und darüber Einvernehmen mit ihren Arbeitgebern erzielen, dann ist es nicht die Aufgabe des Gesetzgebers, sie davon abzuhalten. Arbeitnehmerschutz darf sich nicht gegen den Willen der Schutzbedürftigen richten. Deshalb ist es richtig, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Deshalb ist es richtig, auszuloten, wo Schutz aufhört und sich in Freiheitseinschränkungen verkehrt. So bringen wir mehr Selbstbestimmung in den Arbeitsmarkt.
(Beifall bei der FDP – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Vielen Dank, Herr Kollege Cronenberg. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Markus Reichel, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7612044 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 172 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitszeitflexibilisierung |