07.06.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 173 / Tagesordnungspunkt 7

Gunther KrichbaumCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zur aktuellen Europapolitik

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind noch zwei Tage bis zur Europawahl, noch sieben Tage bis zur Europameisterschaft. Aber sind wir wirklich auf Meisterschaftskurs? Im Hinblick auf unser Fußballteam bin ich optimistisch, im Hinblick auf unsere Bundesregierung in Sachen Europa überhaupt nicht.

Vor wenigen Tagen hat Bundeskanzler Scholz die Europäische Kommission angegriffen, weil sie nach seiner Ansicht zu wenig Freihandelsabkommen abschließe. Die Europäische Union hat, Stand heute, circa 80 Freihandelsabkommen unterzeichnet. Der tatsächliche Grund, warum es in den letzten Jahren nur noch eines gab, nämlich das mit Neuseeland, liegt ganz sicher nicht an der Untätigkeit der Europäischen Kommission. Es liegt schlicht daran, dass heute immer mehr in die Freihandelsabkommen hineingepackt wird: von Umweltstandards über Sozialstandards, vielfach ideologisch flankiert. Damit verzögern sie, die nationalen Mitgliedstaaten, aber ganz besonders eben auch die Bundesregierung selbst den Abschluss solcher Freihandelsabkommen. Wenn man diese Messlatte anlegen würde, dann müssten überdies wahrscheinlich retrospektiv die ganzen 80 Freihandelsabkommen, die zuvor geschlossen wurden, aufgekündigt werden.

Erinnern wir uns doch einfach mal zurück: Bei TTIP waren es die Grünen, die hier immer quer im Stall standen und allen Fortgang verhindert haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

CETA mussten wir ein Dutzend Mal hier im Deutschen Bundestag vertagen, weil auch hier Uneinigkeit bestand in der Koalition,

(Zuruf des Abg. Reinhard Houben [FDP])

weil es ebenfalls immer wieder verschleppt und vertagt wurde, bis wir sozusagen den Hebel parlamentarisch angesetzt haben. Das ist bizarr. Aber Sie können hier die Bürgerinnen und Bürger nicht hinter die Fichte führen.

Was macht Bundeskanzler Scholz? Was macht die eigene Bundesregierung? Es wäre doch die Aufgabe des eigenen Wirtschaftsministers, in Brüssel Druck zu machen und sich entsprechend einzubringen. Aber genau daran fehlt es. Denn er ist an den entscheidenden Stellen und in den entscheidenden Sitzungen nicht da und glänzt durch Abwesenheit.

(Zuruf der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für den Bundesminister für Wirtschaft gibt es in Brüssel exakt drei Pflichtveranstaltungen: Das ist der EU-Ministerrat für Energie, das ist der Handelsministerrat und der Wettbewerbsfähigkeitsrat, mit anderen Worten: der Rat, in dem alle Binnenmarktthemen und die Industriethemen stattfinden.

Gestern Abend wurde Minister Habeck in der ZDF-Sendung „maybrit illner“ von dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Merz,

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Wo ist der eigentlich?)

der aktuell gerade im Kanzleramt ist, mit der mangelnden Präsenz in Brüssel konfrontiert.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ja, wie hier auch!)

Daraufhin sagte Minister Habeck wörtlich – ich darf zitieren –:

„Diese Ratsvorbereitungen … laufen eng begleitet mit mir über meinen Schreibtisch … und die Präsenz in den verschiedenen Räten“

– in den verschiedenen Räten –

„ist hoch bei mir.“

Nun, das trifft für den Rat für Energie zu, aber überhaupt nicht für den Handelsministerrat und überhaupt nicht für den Wettbewerbsfähigkeitsrat, also Binnenmarkt und Industrie. Mit anderen Worten: Es ist glattweg die Unwahrheit.

Um das Ganze noch zu untermauern: Bei den 13 Sitzungen des Handelsministerrats zwischen dem 8. Dezember 2021, dem Antritt dieser Regierung, und dem 14. Mai 2024 war Bundesminister Habeck – und das wissen wir als Parlamentarier aufgrund unserer Informationsrechte – überhaupt nicht vertreten, allenfalls mal auf Staatssekretärsebene, oftmals nicht einmal das, sondern lediglich auf Abteilungsleiterebene. Das genau ist das Problem. Denn wenn wir in den Ministerräten nicht mehr präsent sind, dann können auch deutsche Interessen hier nicht mehr vertreten werden. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen wäre es besser gewesen, Kanzler Scholz hätte nicht die Kommission angegriffen, sondern er hätte in seinem eigenen Kabinett einmal für Ordnung gesorgt.

Aber das Problem, wie gesagt, geht wesentlich tiefer. Noch einmal: Handel, Industrie und Binnenmarkt, das sind die Kernbereiche auch unserer nationalen Interessen. Und da erwarte ich von einem Wirtschaftsminister, dass er dann auch an den Sitzungen dieser Ministerräte teilnimmt, dort ist, sich einbringt, auch die Netzwerke knüpft. Da sieht man einmal mehr: Genau daran fehlt es. Und das ist die Wahrheit an dieser Stelle. Schlicht und ergreifend hat Habeck in dieser Fernsehsendung gestern jedenfalls nicht die Wahrheit gesagt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das erklärt aber auch, warum es in Brüssel hakt.

(Zuruf des Abg. Christian Petry [SPD])

Vielfach sind die sogenannten German Votes zum Schlagwort geworden. Sprich: Wenn man sich innerhalb der Koalition nicht einig ist, muss sich die Bundesregierung in Brüssel enthalten. Damit schaffen wir kein kraftvolles Unterstreichen unserer eigenen Forderungen und Einbringen unserer eigenen Positionen. Das erklärt auch, warum wir an Einfluss verlieren.

Lassen Sie mich abschließend auch noch etwas zur Wettbewerbsfähigkeit sagen. Hier ist die Kritik an Kommissarin Vestager von der liberalen Parteienfamilie Renew angebracht und berechtigt. Wir verzwergen uns zunehmend in der Europäischen Union. Wenn wir aus der Mitte Europas nicht einmal mehr imstande sind, European Player zuzulassen – „Siemens“, „Alstom“ seien als Schlagworte genannt –, dann dürfen wir uns natürlich auch nicht wundern, wenn wir in der Globalisierung als Europäer überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden. Lufthansa und ITA lassen hier grüßen. Wenn die Lufthansa hier einen Fragenkatalog von 500 Seiten zugeschickt bekommt, dann ist das schon keine Bürokratie mehr, sondern aktive Verhinderungsstrategie. So werden wir unseren Interessen in Europa nicht gerecht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Als Nächster hat das Wort für die SPD-Fraktion Achim Post.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7612143
Wahlperiode 20
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zur aktuellen Europapolitik
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