Annika KloseSPD - Leistungen für Asylbewerber
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Haben Sie schon mal versucht, einen Song in Dauerschleife zu hören? Am Anfang ist das vielleicht ganz interessant, doch irgendwann nervt das nur noch. Genau so fühlt es sich an, wenn Union und AfD immer wieder dieselben Anträge zu denselben Themen einbringen: als hätte man die Repeat-Taste gedrückt und es nicht gemerkt.
Den vorliegenden Antrag haben wir bereits mehrfach diskutiert, sowohl hier im Plenum als auch in der öffentlichen Anhörung im Ausschuss, und heute wieder. Nun reift bei manchen Dingen mit der Zeit die Qualität, wie bei gutem Käse oder gutem Wein. Von Ihrem Antrag kann ich das leider nicht behaupten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wie meine Kollegin Rasha Nasr Ihnen bereits im März erläutert hat – in der öffentlichen Anhörung haben auch die Expertinnen und Experten immer wieder auf den Punkt hingewiesen –, liegt Ihrem Antrag eine falsche Annahme zugrunde. Ihre Annahme lautet: Wenn man den asylsuchenden Menschen hier das Leben so mies wie möglich macht, dann kommen weniger Menschen hierher. – Das kann man moralisch verwerflich finden – ich tue das, aber darauf will ich jetzt gar nicht weiter eingehen –; es ist auch schlicht und ergreifend faktisch falsch. Migrations- und Fluchtentscheidungen sind sehr komplex. Sie, werte Union, unterstellen recht simpel, dass es die sogenannten Pull-Faktoren seien, die die Menschen hierherziehen, dass die Leute im Kriegsgebiet sitzen und quasi erst einmal alle Länder durchgehen und überlegen, wo sie welche Sozialleistungen für welche Dauer abrufen können,
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Das wird umfangreich kommuniziert! Es gibt das Internet, Frau Klose!)
um festzustellen, dass sie in Deutschland vielleicht 1 oder 2 Euro mehr kriegen als im Nachbarland, und sich dann entscheiden, hierherzukommen.
Diese Annahme ist wahnsinnig unterkomplex.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zunächst muss man festhalten, dass es, wenn überhaupt, Push-Faktoren sind, welche die Menschen aus ihrem Zuhause weg- und hierhertreiben: Krieg, Menschenrechtsverletzungen, Wegfall der Lebensgrundlage oder lebenswichtiger Infrastruktur oder verfestigte Armut. Die allermeisten Menschen suchen dann im direkten Umfeld Schutz. Um mal auf die Statistiken zu schauen: Laut UNHCR sind 110 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht; davon sind circa 62,5 Millionen Menschen Binnenflüchtlinge, also Menschen, die innerhalb ihres eigenen Landes geflohen sind. Schaut man mal auf die Fakten, aus welchen Ländern weltweit im Jahr 2023 die meisten Geflüchteten kommen, findet man folgende Zahlen: Ukraine 6,4 Millionen, Syrien 6,5 Millionen, Venezuela 5,6 Millionen, Afghanistan 6,1 Millionen, Südsudan 2,2 Millionen und Myanmar 1,3 Millionen. Diese sechs Länder führen die Statistik der Länder an, aus denen die meisten Flüchtlinge stammen. Wenn man schaut, aus welchen Ländern die Asylsuchenden oder Geflüchteten kommen, die in Deutschland Schutz suchen, stellt man fest, dass von diesen Ländern die Ukraine, Syrien und Afghanistan weit oben rangieren. Menschen aus Venezuela, Südsudan oder Myanmar findet man hier aber nur selten. Warum? Weil Migrations- und Fluchtentscheidungen eben komplex sind. Neben räumlicher Nähe, die sehr entscheidend ist, spielen auch bestehende familiäre und freundschaftliche Kontakte im Zielland eine große Rolle, ebenso die wirtschaftliche Lage – mit Blick darauf, ob man einen Job finden kann – und die politische Stabilität eines Landes.
Ihre Annahme, ein paar Euro mehr oder weniger, ein paar Monate mehr oder weniger Leistungsbezug nach dem AsylbLG würde diese Entscheidung maßgeblich beeinflussen, ist schlichtweg nicht zutreffend.
(Zuruf des Abg. Stephan Stracke [CDU/CSU])
Die simple These von Push- und Pull-Faktoren ist wissenschaftlich nicht haltbar.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Doch!)
Ich würde mir sehr wünschen, dass Sie das im vierten Durchlauf dieser Antragsdiskussion endlich verstehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Ich glaube, Sie haben unseren Antrag überhaupt nicht gelesen, geschweige denn verstanden!)
Darüber hinaus sind etliche Forderungen, die Sie hier einbringen, längst umgesetzt: Asylsuchende erhalten rund 18 Prozent weniger Leistungen als Bürgergeldempfänger, also weniger, als das Existenzminimum vorsieht. Die Bezahlkarte für Geflüchtete ist beschlossene Sache; das Gesetz ist bereits seit dem 16. Mai dieses Jahres in Kraft. Die Verweildauer im Asylbewerberleistungsgesetz wurde von 18 auf 36 Monate verlängert für Menschen, die noch im Verfahren sind. – All das ist bereits Realität. Trotzdem kommen Sie immer wieder mit diesem Antrag an. Manche Dinge reifen ja mit der Zeit;
(Zuruf des Abg. Stephan Stracke [CDU/CSU])
andere Dinge sind dann reif für die Tonne, so wie Ihr Antrag.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächstes erhält Stephan Stracke für die CDU/CSU das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7612375 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 174 |
Tagesordnungspunkt | Leistungen für Asylbewerber |