14.06.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 176 / Tagesordnungspunkt 19

Friedhelm BoginskiFDP - Berufsbildungsvalidierungs- und Digitalisierungsgesetz

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben diese Woche eine wirkliche Bildungswoche im Bundestag; denn wir haben ganz viele Gesetze beschlossen, und heute kommt für mich persönlich der Höhepunkt. Ich will deutlich sagen: Wir sind im parlamentarischen Verfahren, das heißt, die Parlamentarier reden heute.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ganz bewusst haben wir unsere Ministerin auf der Regierungsbank gebeten, zuzuhören. Wir haben hier das Sagen. Ich weiß, dass einige Kollegen sich wieder darüber mokieren werden, dass wir reden.

Mit dem Feststellungsverfahren, das wir heute beschließen, geben wir Menschen, die über keinen formalen Berufsabschluss verfügen, die Möglichkeit, ihre Kompetenzen bewerten und den Umfang ihrer beruflichen Handlungsfähigkeit am Maßstab eines dualen Ausbildungsberufs feststellen und bescheinigen zu lassen. Auch wenn dies schon sehr technokratisch klingt, ist das Berufsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz ein Teil der Anstrengungen unserer Bundesregierung, den Fachkräftemangel zu reduzieren. Wir wollen uns um Geringqualifizierte auf dem Weg zur Fachkraft kümmern.

In der Arbeitswelt hat über die vergangenen Jahre die Bedeutung von auf informellen und nonformalen Wegen angeeigneten Kompetenzen zugenommen. Ich glaube, wir brauchen eine ehrliche Debatte über den Unterschied zwischen Formalzertifikat einer vollberuflichen Ausbildung und der Nachfrage nach beruflicher Qualifikation. Also: Was braucht es in der Realität in den Betrieben?

In dieser Debatte geht es nicht automatisch um weniger Fertigkeiten, sondern um schnellere Anpassung der Ausbildungsinhalte, besonders im Hinblick auf die Digitalisierung. Bereits heute sind 21 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland formal unterqualifiziert. Also jeder fünfte Arbeitnehmer bzw. jede fünfte Arbeitnehmerin arbeitet auf einer beruflichen Stelle, für die er oder sie aufgrund der Anforderungen des spezifischen Berufes eine höhere Ausbildung bräuchte. Dazu gehört der Handwerksgeselle, der Tätigkeiten des Meisters ausübt, oder der Studienabbrecher auf der Gesellenstelle.

Wenn wir uns jetzt nur die Gruppe der Geringqualifizierten ansehen – also Menschen ohne berufsqualifizierenden Abschluss –: Nach Auswertung der Bertelsmann-Stiftung werden mehr als die Hälfte von ihnen als Fachkräfte beschäftigt. Weitere 16 Prozent arbeiten sogar auf einer Meister- oder Akademikerstelle, und das auch noch in den Branchen, in denen die berufliche Ausbildung einen extrem hohen Stellenwert hat. So ist im Handwerk und im Handel jede zehnte Fachkraft unterqualifiziert und hat keinen formalen Ausbildungsabschluss. Nach den Debatten um Standards in den vergangenen Wochen gehören diese Fakten auch zur Realität und müssen unbedingt immer wieder angesprochen werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schwierig wird es für die formal Unterqualifizierten, wenn ein Arbeitgeberwechsel ansteht, und genau hier ist einer der Ansatzpunkte unseres neuen Gesetzes. Es geht darum, erlernte Qualifikationen „on the Job“ zu überprüfen und zu bescheinigen. Aber ich will es noch mal klar sagen: An den Zugang zum Feststellungsverfahren, aber auch an die eigentliche Prüfung der beruflichen Handlungsfähigkeit werden hohe Anforderungen gestellt, um die Vergleichbarkeit und die Standards einer regulären Abschlussprüfung zu garantieren.

Als Koalition haben wir das Gesetz noch besser gemacht, indem wir eine Altersgrenze für den Zugang zur Validierung ab 25 Jahren einziehen, um unser duales Ausbildungssystem zu stärken und keine Fehlanreize zu setzen. Die duale Ausbildung ist der Goldstaub, den wir haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland braucht ein wirksames System für die Anerkennung von Kompetenzen; ich möchte daran erinnern, dass Deutschland sich im Jahr 2012 gegenüber der EU verpflichtet hat, ein solches System zu schaffen. Erfahrungen aus Frankreich, Finnland und der Schweiz – dort sind erfolgreiche Anerkennungssysteme bereits seit vielen Jahren vorhanden – zeigen: Wir brauchen diese Systemreform. Wir müssen allerdings selbstkritisch feststellen: Seit dem Jahr 2012 ist in Deutschland nur relativ wenig passiert. Verwaltung und Sozialpartner haben da leider extrem wenig Dynamik gezeigt.

Wir brauchen eine Debatte darüber, wie unser deutsches Anerkennungssystem für informelles und nonformales Lernen aussehen soll. Wichtige Punkte in einer solchen Debatte über inhaltliche, aber auch rechtliche Rahmenbedingungen eines solchen Systems sind: Rollendefinition von Beteiligten, Ermöglichung der Finanzierung, Sicherstellung von fairen Verfahren, aber auch die Zugangsberechtigung zu qualifizierter Arbeit und Weiterbildungswegen. Ich spreche dies an, weil wir dieses Thema nicht allein der Zivilgesellschaft und den Stiftungen überlassen dürfen.

In der Debatte um das Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz ist ein ganz wichtiger Aspekt viel zu kurz gekommen: die Digitalisierung. Und ich will noch mal ganz deutlich sagen: Wir ermöglichen das rechtssichere mobile Ausbilden, führen digitale Ausbildungsverträge ein, schaffen ein medienbruchfreies Verfahren für digitale Berichtshefte und geben die Möglichkeiten zur virtuellen Zuschaltung von Prüfenden. Ich finde, das ist schon mal eine ganze Menge.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus werden wir den Gesetzentwurf flankieren; denn wir werden den Auf- und Ausbau von Beratungsangeboten und -strukturen auf der Basis der Pilotversuche ValiKom und ValiKom Transfer betreiben, um Reichweite und Qualität zu ermöglichen. Wir werden auch die Orientierungshilfe bei der Nutzung von Fördermöglichkeiten zur Validierung erleichtern.

Zum Abschluss bitte ich darum, diesem Gesetz zuzustimmen. Ich glaube, es ist ein wichtiges Gesetz, und wir helfen damit vielen Menschen hier in Deutschland. Deshalb bitte ich um Zustimmung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster hat das Wort für CDU/CSU-Fraktion Stephan Albani.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7612903
Wahlperiode 20
Sitzung 176
Tagesordnungspunkt Berufsbildungsvalidierungs- und Digitalisierungsgesetz
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