14.06.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 176 / Tagesordnungspunkt 8

Jakob BlankenburgSPD - Einsetzung eines 2. Untersuchungsausschusses

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen der Union! Ich muss gestehen, ich bin ein wenig verwirrt.

(Stephan Brandner [AfD]: Das glaube ich!)

Vor ein paar Wochen dachte ich noch, Ihre aktuelle Lösung für die zukünftige Energieversorgung sei Atomkraft. Schließlich haben Sie uns im Plenum in schöner Regelmäßigkeit wieder und wieder erklärt, wie sicher, kostengünstig und klimafreundlich diese sei. Auch in Ihrem gerade erst veröffentlichten neuen Grundsatzprogramm heißt es folglich – ich zitiere –: „Deutschland kann zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten.“ Zitat Ende.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Klatschen Sie nicht zu früh! – Ihr Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz hat sich auf der Jahrestagung des BDEW in der vergangenen Woche hingestellt und Atomkraft für tot erklärt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ja, was denn nun, liebe Union? Das ist eine weitere groteske Wendung im unendlichen Zickzackkurs der Union beim Thema Atomenergie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein sehr teurer Zickzackkurs obendrein; aber darüber reden Sie nicht so gerne, liebe Union.

Lassen Sie uns kurz zurückschauen: Die rot-grüne Bundesregierung hatte sich Anfang der 2000er-Jahre mit den Energiekonzernen auf den sogenannten Atomkonsens geeinigt.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Aber darum geht es jetzt überhaupt nicht! Sie reden am Thema vorbei!)

Die Atomkraftwerke sollten nach und nach vom Netz gehen, bis etwa 2021. So wurde es gesetzlich festgehalten. Aber Gesetze kann man ändern. „ Das ist Demokratie“, würde Friedrich Merz wohl sagen. So geschah es auch im Dezember 2010: Die Atomkraftwerke bekamen unter der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung satte Laufzeitverlängerungen – bis dann vier Monate später, nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011, selbst die Union begriff, dass Atomenergie die gefährlichste Energieform überhaupt ist.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steile Lernkurve! – Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

Für diesen zugegebenermaßen recht kurzfristigen Meinungsumschwung wurden Milliarden Euro fällig. Nach fast zehn Jahren Rechtsstreitigkeiten haben sich Bund und Atomkonzerne auf ein Entschädigungspaket geeinigt. Knapp 2,5 Milliarden Euro zahlte der Bund an die AKW-Betreiberkonzerne RWE, Vattenfall, EON und EnBW.

(Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geld der Steuerzahler/-innen!)

Hinzu kamen die Kosten für die zahlreichen Gerichtsverfahren. Das längste dauerte satte neun Jahre und wurde vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington geführt. Solche Schiedsgerichtsverfahren werden im Geheimen geführt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber bräuchte es eigentlich Aufklärung: Was ist damals genau gelaufen? Schließlich geht es um Milliardenzahlungen aus Steuergeldern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Skandal!)

Aber nein! Lange her ist die Entscheidung über die Laufzeitverlängerung, das Geld ist eh längst weg. Sie sind in der Opposition. Da ist man sich auch für reine Symbolpolitik nicht zu schade.

Die Union beantragt nun die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu einem Vorgang, der längst mehrfach in den zuständigen Ausschüssen beleuchtet wurde,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

zu einem Vorgang, zu dem die zuständigen Ministerinnen und Minister ausführlich Stellung bezogen haben und zu dem der Öffentlichkeit und uns Abgeordneten umfassende Unterlagen zur Verfügung gestellt wurden.

(Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Öffentliche Sitzungen; aber da waren sie ja nicht da! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das Geschwärzte meinen Sie? Das reicht Ihnen?)

Aus Sicht der Union reicht das alles nicht aus. Die Union vermutet Parteipolitik, betreibt sie in Wahrheit aber selbst. Ihnen geht es nicht um eine energiepolitische Entscheidung im März 2022. Es geht Ihnen auch nicht um einen Prüfvermerk von zwei Ministerien. Es geht Ihnen auch nicht um den Weiterbetrieb von drei Atomkraftwerken für dreieinhalb Monate. Worum es Ihnen geht, ist Meinungsmache, ist Wahlkampf.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: … ist die Glaubwürdigkeit von Herrn Habeck!)

Das können Sie alles machen, liebe Union, auch das ist Demokratie. Wahlkampf bedeutet am Ende aber auch, zu sagen, was man will, wenn man tatsächlich gewählt ist, und er bedeutet, zu sagen, wie das umgesetzt und bezahlt werden soll.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben daraus nie ein Geheimnis gemacht!)

Das hingegen bleiben Sie den Bürgerinnen und Bürgern schuldig mit Ihrem Zickzackkurs in der Atomfrage und auch in der Energiepolitik insgesamt. Daran ändert auch das Ablenkungsmanöver des Untersuchungsausschusses nichts.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Nächster Redner ist Klaus Ernst für die Gruppe BSW.

(Beifall beim BSW)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7612942
Wahlperiode 20
Sitzung 176
Tagesordnungspunkt Einsetzung eines 2. Untersuchungsausschusses
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