Christian DürrFDP - Regierungserklärung: Europäischer Rat u. NATO-Gipfel
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Donnerstag und Freitag ist wahrscheinlich der wichtigste Europäische Rat seit vielen Jahren. Es wird die Strategische Agenda für 2024 bis 2029 beschlossen werden. Weichenstellungen bis 2029 und damit politische Prioritäten für die Zukunft der Europäischen Union sowie die Fragen des Spitzenpersonals – der Bundeskanzler hat es gerade gesagt – scheinen geklärt zu sein. Es freut mich, dass der Liberale Mark Rutte Generalsekretär der NATO wird und die Liberale Kaja Kallas in Zukunft als Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik wirken wird. Gerade weil sie aus dem Baltikum kommt, ist das ein ganz starkes Signal vor dem Hintergrund, dass derzeit Krieg in Europa herrscht, der von Russland ausgeht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage aber auch: Für die zukünftige Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, wird es keinen Freifahrtschein bei der Bestätigung durch das Europäische Parlament geben. Es waren – machen wir uns nichts vor – fünf mehr oder weniger verlorene Jahre voller Planwirtschaft und Bürokratie. Die Zustimmung im Europäischen Parlament, die für eine weitere Amtszeit von Frau von der Leyen notwendig ist, ist auch an inhaltliche Bedingungen geknüpft – ich glaube übrigens, nicht nur von der liberalen Fraktion. Ich würde mich freuen, wenn auch die EVP solche Bedingungen aufstellt.
(Beifall bei der FDP)
Statt der Bürokratieüberlegungen beim alten Green Deal: Wie wäre es denn mit einem Bürokratieabbau-Deal? Wie wäre es denn mit einem Wettbewerbsfähigkeits-Deal und mit einem Migrations-Deal? Nach der GEAS-Reform brauchen wir weitere Reformschritte, um hier gemeinsame europäische Politik zu machen.
In dem Zusammenhang, Herr Kollege Merz, will ich kurz Ihren Einwurf reflektieren, den Sie zum Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland gemacht haben. Ich finde es schade, dass die CDU/CSU angesichts Ihrer Worte auch aus den Fehlern von 2015 offensichtlich nichts gelernt hat, und zwar aus folgendem Grund: Sie wollen einfach irgendwie weniger Einwanderer. Ich halte Ihnen entgegen: Deutschland muss endlich lernen, ein Einwanderungsland zu werden, wo es um Einwanderung in den Arbeitsmarkt geht und nicht wie früher in die sozialen Sicherungssysteme. Herr Kollege Merz, das ist doch der Punkt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ja, dann machen Sie das doch! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Deswegen bewerben Sie das in arabischer Sprache! – Henning Otte [CDU/CSU]: Wer hat das Bürgergeld eingeführt?)
Ich will Ihnen zwei konkrete Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht nennen, Herr Merz. Wir haben zwei Dinge geändert. Erstens. Jemand mit antisemitischer Vergangenheit kann nicht mehr deutscher Staatsbürger werden. Zweitens. Einen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft hat derjenige, der Arbeit hat, Herr Merz. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer Migrationspolitik und der dieser Koalition.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie werben in arabischer Sprache dafür! Und das soll Integration sein! – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])
Ich begrüße ausdrücklich, dass die Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat auch einiges zur Wettbewerbsfähigkeit und zur Vertiefung des Binnenmarktes sagen werden, und der Kanzler sprach von der Kapitalmarktunion.
Mein Vorschlag wäre, dass die erste Amtshandlung einer dann wahrscheinlich wieder bestätigten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist, dass sie das, was sie und die CDU/CSU, die sie unterstützt hat, im Wahlkampf in Deutschland versprochen haben, umsetzt, nämlich dass das unnütze Verbrennerverbot auf europäischer Ebene endlich abgeschafft wird, meine Damen und Herren. Das wäre der erste Schritt, den Frau von der Leyen machen könnte.
(Beifall bei der FDP)
Drittens: Bürokratieabbau. Beim Europawahlkampf 2019 gab es das Versprechen von Frau von der Leyen, 25 Prozent Bürokratie abzubauen. Sie kann jetzt nicht schon wieder versprechen, 25 Prozent Bürokratie abzubauen, weil in der Zwischenzeit so viel europäische Bürokratie dazugekommen ist. Wir brauchen auch da eine echte Wende, meine Damen und Herren, hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, eine europäische Wirtschaftswende. Das muss das Ziel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sie muss auch von ihren Überlegungen aus dem Europawahlkampf für die Vergemeinschaftung von europäischen Schulden ablassen. Ich halte das für falsch. Ich glaube, das steht auch nicht im Wahlprogramm der CDU und CSU.
(Zurufe der Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU] und Friedrich Merz [CDU/CSU])
Im Bundeshaushalt werden wir jetzt erneut 50 Prozent mehr investieren als die Vorgängerregierungen, statt immer neue Subventionen zu schaffen, meine Damen und Herren. Ich bin dem Bundeskanzler sehr dankbar, dass er es eben auf den Punkt gebracht hat. Und ich schaue nach meiner Rede in den Geschichtsbüchern nach, wann es das letzte Mal einen Bundeskanzler gab, der das gesagt hat.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Gesagt hat der Bundeskanzler viel!)
Die soziale Marktwirtschaft, die wir in Deutschland wollen, ist funktionsfähiger Kapitalismus, meine Damen und Herren. Herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler, für diese klare Aussage!
(Beifall bei der FDP – Lachen des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU] – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Tosender Applaus in der Ampel!)
Trauen wir uns in Europa wieder zu, durch Innovation Wohlstand zu schaffen. Dazu brauchen wir richtigerweise auch Freihandelsabkommen, mehr davon, schneller. Deswegen haben wir in dieser Wahlperiode CETA durch den Deutschen Bundestag gebracht. Es kann nicht sein, dass wir uns unter Wertepartnern gegenseitig mit Zöllen und Handelsbeschränkungen das Leben schwermachen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP)
Angesichts der Tatsache, dass in Europa Krieg herrscht, will ich sagen: Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist ja kein Anliegen einzelner Parteien, sondern sie entscheidet meiner Auffassung nach auch über Frieden und Freiheit in Europa. Unsere wirtschaftliche Stärke ist unmittelbar mit unserer geopolitischen Stärke verbunden, meine Damen und Herren. Der Kalte Krieg ist beendet, aber wir müssen wieder wirtschaftliche Überlegenheit erreichen, gerade vor dem Hintergrund eines russischen Aggressors in Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Zum Abschluss. Deutschland muss als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union auch seinen Beitrag leisten. Der Bundeskanzler sprach eben zu Recht von einem Wirtschaftsturbo. Da dürfen wir kein Klein-Klein machen. Ich bin dankbar, dass auch der Bundeswirtschaftsminister bereits einiges zum alten Lieferkettengesetz von Gerd Müller von der CSU gesagt hat. Ich teile die Einschätzung, dass es dort Änderungen braucht. Es gibt Vorschläge des Bundesfinanzministers zur Entlastung bei den Steuern. Und die SPD hat einiges zu Schritten gegen die Schwarzarbeit von Menschen, die staatliche Leistungen erhalten, gesagt.
Ja, das sind die ersten wichtigen Ambitionen. Aber was wir Deutschen als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union auch leisten müssen, ist ein Beitrag zum Wiedererstarken des Wirtschaftsraums Europa, meine Damen und Herren. Wir brauchen nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene eine Wirtschaftswende, damit der europäische Kontinent wieder erfolgreich ist.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Johannes Arlt [SPD])
Wir brauchen einen funktionsfähigen Kapitalismus. Ich habe mir das Wort gemerkt; ich finde es gut.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben einen Fan gewonnen, Herr Bundeskanzler!)
Zum Schluss, Herr Merz, will ich noch eine Replik vortragen. Sie haben vorhin bei verschiedenen Punkten gesagt, man müsse jetzt mehr marktwirtschaftliche Reformpolitik machen. Ich nenne als Beispiel die Planungsbeschleunigung, die Sie gerade selbst angesprochen haben. Es kann ja nur zwei Erklärungen geben, warum diese Bundesregierung das hinbekommt und die alte, unionsgeführte Bundesregierung es nicht hinbekommen hat. Die erste Erklärung wäre: Es lag damals gar nicht an der SPD, dass wir keine Planungsbeschleunigung hinbekommen haben.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ah!)
Die zweite Erklärung wäre: Es ist den Freien Demokraten zu verdanken, weil sie sich an dieser Stelle besser durchgesetzt haben, als die CDU/CSU es damals konnte. Ich glaube, es ist eine Mischung aus beidem.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. – Nächster Redner ist der Kollege Achim Post, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 177 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung: Europäischer Rat u. NATO-Gipfel |