Holger MannSPD - Aktuelle Stunde: Meinungsfreiheit b. Veranstaltungen an Hochschulen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst sei in dieser Debatte klar ausgesprochen: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schätzen die Meinungs- wie Wissenschaftsfreiheit über alles und verteidigen sie, wo wir gehen und stehen. Deshalb sei zum vermuteten konkreten Anlass und Aufhänger der Union zur aktuellen Debatte ganz klar gesagt: Hochschulen stehen als öffentliche Orte in besonderer Verantwortung, Raum für demokratisches Engagement und Debatte zu bieten. Das gilt auch und, ja, vielleicht sogar ganz besonders für die Bruchlinien gesellschaftlicher Diskussionen, und das übrigens völlig unabhängig davon – und das geht an uns alle –, ob die dahinterliegende politische Position mit der eigenen oder den aktuellen Mehrheiten bzw. der Regierung übereinstimmt.
Genau deshalb – und das will ich hier vorab aussprechen – war die lautstarke Störung einer RCDS-Veranstaltung, spätestens als diese zum Abbruch führte, definitiv kein Beitrag zur Debattenkultur. Hier mangelt es schlicht an den Grundlagen des respektvollen Umgangs in der Demokratie.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage auch klar: Diese Veranstaltung muss stattfinden können, auch wenn ich deren inhaltliche Zielrichtung nicht teile. Und persönlich sei Ihnen mein Mitgefühl mit Ihnen als Abgeordneter ausgesprochen. Wir haben hier – das will ich auch festhalten – im Plenum mindestens unter den demokratischen Parteien gar keinen Dissens dazu.
Gleichzeitig will ich was anderes Grundsätzliches sagen, weil wir uns hier in der Debatte gegenseitig viel aufgerechnet haben: Aus der Meinungsfreiheit leitet sich kein Recht ab, unwidersprochen jede These verbreiten zu können. Genau das sichern die demokratischen Grundrechte ja zu: Unterschiedliche Standpunkte müssen artikuliert werden können. Auch Protest, solange er nicht gegen Gesetz und Recht verstößt, ist zulässig und hat eine wichtige Funktion in der Demokratie. Deswegen müssen Sie es ertragen, wenn Vortragende, die sich sehr kritisch äußern, Protest ernten,
(Nadine Schön [CDU/CSU]: Herr Mann, das ist absurd! Sie haben sich die Situation nicht angeschaut! Die wurde niedergebrüllt! Da geht es doch nicht um Widerspruch!)
und wir müssen es ertragen, wenn es an den Hochschulen Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza gibt, selbst wenn wir diese Kritik nicht teilen oder grundsätzlich ablehnen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, dass gerade Diskursräume an den Hochschulen enger werden,
(Nadine Schön [CDU/CSU]: Ja, genau!)
und das bedaure ich sehr. Aber ich bin mir sicher: Wenn wir jetzt jeden Anlass – und ich will es gleich an dem Beispiel, das Sie hier genannt haben, klarmachen – zur politischen Instrumentalisierung nutzen, werden die Debattenräume an den Hochschulen noch mehr schrumpfen und bald schmerzhaft fehlen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Täter-Opfer-Umkehr!)
Ich möchte es mal im Konkreten klarmachen: Frau Schön, Sie haben hier die Grüne Jugend kritisiert, aber hiermit gleich die gesamte Bundestagsfraktion der Grünen und andere verhaftet. Das nenne ich ein Stück weit Sippenhaft. Und die Rednerinnen, gerade Frau Kraft, haben sich ja auch von diesem Vorgang, was wohl ein Post war, distanziert.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Frau Schönberger nicht!)
Herr Jarzombek konnte das fünf Minuten später nicht einordnen und hat das wiederum negiert. Ich würde sehr dazu raten, dass wir hier abrüsten; denn sonst werden wir uns demnächst für sehr vieles entschuldigen müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich überprüfe auch nicht jeden Post des RCDS, und ich frage auch nicht alle Kollegen, ob sie sich entsprechend zum Übergriff an Matthias Ecke geäußert haben.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Schon wieder Relativierung! Hat schlecht angefangen mit Herrn Kaczmarek und hört genau so schlecht auf mit Herrn Mann! Wahnsinn!)
Deswegen bitte ich hier auch ein Stück weit um den demokratischen Respekt untereinander.
Ein Zweites ist mir wichtig, und das führt wieder zurück zu den Debatten, die wir heute geführt haben, auch im Ausschuss. Der Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Dr. Rosenthal, hat heute in der Anhörung des Ausschusses zum mehrfach diskutierten – auch gerade wieder – offenen Brief zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der Räumung an der FU Berlin fast wortwörtlich gesagt: Auch wenn er den Inhalten nicht zustimmt, sei der Brief klar vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Insofern sei die eingeleitete Prüfung und – wäre dies nicht gestoppt worden – auch ein möglicher Entzug von Fördermitteln ein klarer Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit, den er und die HRK ablehnen. Deshalb möchte ich hier ausdrücklich noch mal sagen: Das ist auch unsere Meinung und zeigt, wie man mit Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit auch in sehr schwierigen Debatten umgehen muss und diese in Einklang bringen kann.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zu guter Letzt hat er eingefordert, dass wir, die politisch in Verantwortung stehen, und noch mehr die Regierungsverantwortlichen mehr mit den Hochschulen sprechen sollten, dass wir uns stärker bewusst machen, dass die Hochschulen eigene Regularien für wissenschaftliches Fehlverhalten sowie Einflussmöglichkeiten über ihr Hausrecht haben, wenn Grundlagen der Debattenkultur missachtet werden. Und da sei deshalb mal geäußert: Die Leitung der Universität Göttingen hat sich ganz klar von diesen Protesten, die zum Abbruch der Veranstaltung geführt haben, distanziert. Auch das sei mal gesagt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Peter Heidt [FDP])
Und damit wir hier nicht nur über die Defizite reden, will ich eine positive Botschaft sagen: Wenn wir international mal vergleichen, wo die Wissenschaftsfreiheit in unserem Land steht, dann sprechen die im letzten Jahr vorgelegten Zahlen eine ganz klare Sprache. Trotz Rückgängen stehen wir bei 0,93 von 1, also nahe am Optimum, bei der Wissenschaftsfreiheit. Das ist eine gute Nachricht. Darauf können wir zu Recht stolz sein, und das müssen wir verteidigen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, Hochschulautonomie ist ein hohes Gut. Lassen wir den Hochschulen mit all ihren Angehörigen die Freiheit, Debatten selbst zu führen, und sichern so auch die Grundlagen der Wissenschaftsfreiheit!
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich erteile dem Abgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Sven Lehmann, das Wort zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 177 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Meinungsfreiheit b. Veranstaltungen an Hochschulen |