Carmen WeggeSPD - Bericht Datenschutz und Informationsfreiheit 2023
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute über den Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten aus dem letzten Jahr. Dieser Bericht ist quasi ein Grundrechtereport. Er zeigt uns, wie es um unser Recht auf Privatsphäre und auf geschützte Kommunikation steht. Dieses Recht müssen wir jedes Jahr stärker verteidigen.
Warum ist das so? Weil unser Alltag immer mehr von digitalen Hilfsmitteln und Anwendungen durchdrungen ist. Ich helfe bei der Organisation der Kitafeier in der Whatsapp-Gruppe der Eltern, oder ich lade eine Arztrechnung in der App meiner Krankenkasse hoch, oder ich kaufe mir das 49-Euro-Ticket in der App der Deutschen Bahn, oder, oder, oder. Mein Alltag produziert und hinterlässt also permanent eine Datenspur, eine ganz persönliche Datenspur. Ich habe das Recht, dass diese Daten geschützt sind, dass die Firmen, die mit meinen Daten arbeiten, sich an die Datenschutz-Grundverordnung halten und dass das, was ich in einem verschlüsselten Chat schreibe, niemand außer dem Empfänger und mir lesen kann.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz wacht besonders über den Schutz der Daten im Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat. Er muss dabei parteiisch sein. Er darf sich einzig und allein für das Grundrecht auf Datenschutz einsetzen, und er darf uns Politiker/-innen anmahnen, dass wir dieses Grundrecht in unseren Gesetzen verhältnismäßig berücksichtigen.
Diese Abwägung ist nicht immer leicht. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen, nämlich der sogenannten CSA-Verordnung, die Professor Ulrich Kelber in seinem Tätigkeitsbericht erwähnt und zu Recht kritisiert. Manche kennen es unter dem Stichwort „Chatkontrolle“, und manche haben gar nicht mitbekommen, was zu diesem Thema in den letzten Jahren passiert ist.
Erst letzte Woche habe ich das Gymnasium in Gauting besucht und erklärt, was eine Bundestagsabgeordnete eigentlich so macht. Wenn ich dann sage, dass ich im Innenausschuss für den Datenschutz zuständig bin, passiert es häufig, dass die Gesichter der Schüler/-innen eher leer als begeistert sind. Das ändert sich dann aber, wenn ich sage: In der Politik kämpft man häufig für etwas, aber manchmal muss man auch gegen etwas kämpfen. Habt ihr zum Beispiel schon davon gehört, dass die EU alle eure Textnachrichten mitlesen will und alle eure Fotos, die ihr verschickt, scannen möchte? – Und dann ist die Aufregung groß. Sie ist zu Recht groß; denn was kann es Persönlicheres geben als Nachrichten und Bilder, die ich privat austausche? Nachdem die Unruhe im Raum dann abgeklungen war, fragte ein Schüler zu Recht: Aber warum wollen die das denn machen?
Ich erkläre dann, dass man so Abbildungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder finden will und man außerdem Textnachrichten finden will, bei denen Erwachsene sich Jugendlichen annähern, mit dem Ziel, ihnen Gewalt anzutun. Wir waren uns schnell einig, dass wir das Ziel, den Missbrauch von Kindern aufzuhalten, uneingeschränkt teilen. Aber jeder Gesetzgeber muss abwägen zwischen dem Grundrecht, sichere und private Kommunikationskanäle zu haben, und dem Bedürfnis, deren missbräuchliche Nutzung zu bekämpfen.
Wenn wir die Verschlüsselung von Messengerdiensten aufbrechen, gibt es keine vertrauliche Kommunikation mehr, für niemanden: nicht für die Sozialarbeiterin, die mit einem Opfer von Missbrauch chattet und mit diesem überlegt, wie es eine Anzeige erstatten kann; nicht für die Jugendliche, die einer Freundin zum ersten Mal von ihrer Depression erzählt; nicht für eine einfache Schülerin aus Gauting. Mit dem Ziel, Verbrecher/-innen zu finden, würden wir allein bei Whatsapp sämtliche Fotos, Texte und Audiodateien von 60 Millionen Deutschen anlasslos überwachen. Nicht nur das Bauchgefühl von 140 Schülerinnen und Schülern des Gautinger Gymnasiums hat da gesagt: Das kann doch so nicht richtig sein.
Deshalb ist letzte Woche in Brüssel eine wichtige Entscheidung gefallen: Deutschland lehnt den Vorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft zur CSA-Verordnung ab. An dieser Entscheidung hatten viele einen Anteil: Parlamentarier/-innen, Minister/-innen, aber auch die Datenschutzbeauftragten wie Uli Kelber, die nicht müde geworden sind, zu betonen, dass die CSA-Verordnung so nicht kommen darf.
Und für die, die jetzt innerlich unruhig werden: Wir müssen mehr gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder tun, ohne Frage; aber bei gesellschaftlichen Problemen hilft nie nur die Technik allein. Auf meine Nachfrage hin haben zum Beispiel die Gautinger Schüler/-innen gesagt, dass mit ihnen noch nie jemand über das Thema Grooming gesprochen hat. In den wenigsten Bundesländern gibt es an den Schulen ein Fach „Medienkompetenz“. All das wären konkrete Schritte der Prävention und des Kinderschutzes, ohne den Datenschutz komplett auszuklammern. Erst letzten Mittwoch hat die Bundesregierung das Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen beschlossen. Und so leisten auch wir unseren Beitrag, Kindesmissbrauch besser und effektiver zu bekämpfen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Damen und Herren, der Tätigkeitsbericht 2023 war der letzte Tätigkeitsbericht in der Amtszeit von Professor Ulrich Kelber, unserem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Leider kann er heute aus privaten Gründen nicht dabei sein. Gut, dass wir alle schon die Gelegenheit hatten, ihm bei der ersten Lesung zur Debatte des Bundesdatenschutzgesetzes auch persönlich Danke zu sagen. Vielleicht nur so viel: In seiner Amtszeit hat er alles richtig gemacht. Er hat den Schutz der Bürger/-rinnen und ihre Rechte immer an die erste Stelle gestellt – komme, was wolle.
Ich wünsche mir, dass Professor Dr. Louisa Specht-Riemenschneider eine genauso kraftvolle Kämpferin für den Datenschutz wird und bleibt, wie es Uli Kelber war. Ich bin da sehr zuversichtlich und freue mich auf die zukünftige Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Marc Henrichmann das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7613203 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 177 |
Tagesordnungspunkt | Bericht Datenschutz und Informationsfreiheit 2023 |