Anna KassautzkiSPD - Bericht Datenschutz und Informationsfreiheit 2023
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich würde Ihnen gerne die Geschichte des Urgroßvaters meines besten Freundes erzählen. Der war während der Weimarer Republik nicht nur Sozialdemokrat, sondern auch im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold aktiv, dem Wehrverband der aktiven Demokraten der Weimarer Republik.
Als die Nazis an die Macht kamen, hatte er die Mitgliederkartei des Reichsbanners, wohlweislich gut und sicher eingepackt, im Garten vergraben, weil er genau wusste, dass die Nazis diese Gruppe wie so viele Demokratinnen und Demokraten verfolgen würden. Und er hatte recht. Er war nicht nur einmal im Folterkeller der Gestapo; er wurde brutal gefoltert und verstarb am Ende an den Folgen. Er hat das Versteck der Mitgliederliste aber nie verraten. Er hat die Liste geschützt; er hat die Menschen geschützt.
Diktaturen und jede Form der Unterdrückung brauchen Daten. Egal wen man verfolgen möchte, man muss zunächst mehr Wissen über die Person sammeln. Datenschutz schützt keine Daten, er schützt Menschen. Es geht nicht um Geodaten, um Wetterdaten, um Einwohnerzahlen oder Verkehrsstatistiken, es geht um die Daten, mit denen wir als Einzelpersonen identifizierbar sind.
Bis heute sind das Informationen, die Diktaturen und Demokratiefeinde haben wollen, um Menschen zu verfolgen. Wie sieht die Person aus? Wo wohnt sie? Wo ist sie anzutreffen? Am besten noch: Wer sind ihre Freunde? Wie ist die finanzielle und familiäre Situation? Was ist der berufliche Background? Pauschal lässt sich sagen: Je mehr Informationen man über eine Person hat, desto einfacher ist deren Verfolgung.
Wir haben heute mehr Daten über jeden einzelnen Menschen auf diesem Planeten als jemals zuvor. Und wir haben noch etwas, was es früher nicht gab: automatisierte Datenauswertung. Mit der Digitalisierung und der elektronischen Datenverarbeitung können wir Datenmengen verarbeiten, die vorher undenkbar waren, ohne einen großen technischen Mehraufwand. Darin liegen riesige Chancen – auch das wurde hier schon erwähnt –, aber eben auch Risiken.
Nehmen wir mal an, jemand möchte unsere Demokratie aushebeln und massenhaft Menschen deportieren, die ihm nicht in den Kram passen. Dann stellt sich als Nächstes die Frage: Wen würde man verfolgen wollen, sobald man an der Macht ist? Das sind auf der einen Seite ausländische Staatsangehörige, am besten noch Deutsche mit familiärer Migrationsgeschichte. Das sind auf der anderen Seite Menschen, die sich für Demokratieförderung und Bildung einsetzen. Das sind unabhängige Journalistinnen und Journalisten. Das sind demokratische Politiker/-innen, ob hier auf Bundesebene oder eben auch die vielen engagierten Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker.
(Carolin Bachmann [AfD]: Sie haben ja sehr düstere Gedanken!)
Vielleicht beschneidet man auch noch, wie schon öfter geschehen, die Rechte von Frauen, religiösen Minderheiten und queeren Menschen und verfolgt die gleich mit. Wie würde man diese Gruppen verfolgen, wenn man es erst mal an die Macht geschafft hat? Indem man sich Zugang zu ihren Daten verschafft.
Heute ist die Situation anders als noch zu Weimarer Zeiten. All diese Merkmale, anhand derer man Menschen verfolgen könnte: Sie schlummern in Ausländerzentralregistern, in Projektdatenbanken, in elektronischen Patientenakten, in Chat-Nachrichten, in Fotos und Videos, die wir mit unseren Freunden auf Social Media teilen. Man kann anhand dieser Merkmale Listen erstellen. Diese Listen kann man missbrauchen. Auch das zeigt wieder: Datenschutz ist Menschenschutz.
Noch können wir diese Listen nicht vollständig und einwandfrei erstellen, aber wir sind gerade auf dem Weg dahin. Und es bestürzt mich, wie wir an manchen Stellen bereit sind, Datenschutz als lästiges Beiwerk abzutun, das Innovationen hemmt oder zu viel Geld kostet oder zu umständlich ist.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit mahnt in seinen Empfehlungen im Tätigkeitsbericht an vielen Stellen genau diese Punkte an. Wir reden über Datenschutz nicht, um irgendwen zu ärgern, Prozesse aufzuhalten, Forschung zu verhindern oder den Industriestandort Deutschland zu schwächen. Wir reden darüber, weil wir uns bei jedem System, das wir bauen, fragen müssen: Kann ich verantworten, dass dieses System nichtdemokratischen Kräften in die Hände fällt?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin ein riesiger Fan von Digitalisierung, und ich freue mich darauf, wenn Papieraktenschränke bald der Vergangenheit angehören. Denn wirklich sinnvoll und innovativ kann man Daten nur nutzen, wenn man sie digitalisiert, teilt und nach Bedarf zusammenführt. Aber es gibt nun mal Daten – und das sind insbesondere die, mit denen man uns identifizieren kann –, die besonders geschützt werden müssen. Wir müssen uns genau überlegen, was in Datenbänke muss und was nicht.
Und anders als häufig dargestellt, ist der Streit um Datenschutz häufig ein Streit darum, wie wir Daten verknüpfen wollen, und nicht, ob wir sie verknüpfen wollen. Wir werden nicht pauschal verhindern können, dass die Systeme, die wir gerade aufsetzen, ein Missbrauchspotenzial haben; aber wir können sie sicher machen. Wir können Datenbanken verschlüsseln, wir können dafür sorgen, jedem nur die Zugriffsrechte und Informationen zu gewähren, die er oder sie unbedingt für die Arbeit braucht, dafür sorgen, dass nur notwendige Daten gespeichert werden und wir darüber informiert werden, wer unsere Daten hat, damit wir mitbekommen, wenn was passiert. All das sind Schutzmechanismen zum Schutz nicht von Daten, sondern von Menschen. Wir müssen öffentliche Daten nutzen und private Daten schützen.
Viele dieser Maßnahmen, die man ergreifen kann, um uns zu schützen, sind im Bericht zusammengefasst. In der Digitalisierung und der Verknüpfung und Standardisierung von Daten liegen wahnsinnig große Potenziale, wenn wir es richtig anstellen und berechtigte Einwände nicht zur Seite wischen. Lassen Sie uns das gerne gemeinsam anpacken.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Wort hat Dr. André Hahn für Die Linke.
(Beifall der Abg. Misbah Khan [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7613210 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 177 |
Tagesordnungspunkt | Bericht Datenschutz und Informationsfreiheit 2023 |