26.06.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 177 / Tagesordnungspunkt 5

Anja SchulzFDP - Finanzierung der Sozialversicherung

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Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Erst gestern wurde eine Studie zur Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge veröffentlicht. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass 2035 eine Erhöhung der Beiträge von 7,5 Prozentpunkten zu erwarten ist. Dann hätten wir 48,6 Prozent insgesamt, und das nur im mittleren Szenario. Im schlimmsten Fall könnten es insgesamt sogar 50 Prozent werden. Da gibt es nichts schönzureden; das sind fatale Zahlen. Aber dass die Union so tut, als wäre das erst seit dieser Legislaturperiode so, ist natürlich völlig absurd.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

All unsere Sozialversicherungen sind nämlich abhängig von denselben Kriterien: zum einen von der Demografie und zum anderen vom Arbeitsmarkt. Wir haben die florierenden Jahre in den 2000er-Jahren nicht genutzt, um unser System breiter und auch unabhängiger aufzustellen. Es wäre Zeit gewesen, Risiken zu streuen und auch die Finanzierung am Kapitalmarkt zu nutzen, um Puffer für schlechtere Zeiten aufzubauen.

Nur bei der Pflegeversicherung hat man den Zahn der Zeit erkannt und 2015 einen Pflegevorsorgefonds aufgelegt – allerdings mit einem Haken: die Art der Anlage. Es gibt für die Anlage von Kapital eine Faustregel: 100 minus Alter. Das bedeutet: Ein 20-Jähriger sollte ungefähr 80 Prozent in Aktien investieren und ein 80-Jähriger nur noch 20 Prozent.

Als der Pflegevorsorgefonds 2015 aufgesetzt wurde, waren die geburtenstarken Jahrgänge gerade mal um 51 Jahre alt; trotzdem hat man sich dazu entschieden, den Aktienanteil auf 20 Prozent zu deckeln. Dadurch wurde enormes Renditepotenzial verschenkt, und insgesamt hat dieser Vorsorgefonds gar keine Rendite erzielt.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Deswegen wurde er auch aufgelöst! – Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Deswegen machen wir das jetzt bei der Rente!)

Das könnte man besser machen, indem man aktiver am Kapitalmarkt anlegt und die Aktienquote deutlich erhöht. Das können wir auch noch jetzt machen.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Was machen Sie denn beim Pflegevorsorgefonds, Frau Schulz? Erzählen Sie uns das doch mal!)

Wir haben die Quote im Übrigen auf 30 Prozent erhöht, und wir haben wahrscheinlich noch 20 bis 25 Jahre Zeit, bis die geburtenstarken Jahrgänge in die Pflegebedürftigkeit kommen. Insofern hat man da noch viele Möglichkeiten, etwas aufzubauen.

(Beifall bei der FDP)

Die Pflegeversicherung ist trotzdem schon einen Schritt weiter als alle anderen Sozialversicherungen. Wir wollen mit dem Generationenkapital einen weiteren Schritt in Richtung Kapitalmarkt schaffen,

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Das ist ja die schlechteste Idee! Schuldenfinanziert! Ganz toll!)

indem wir in diesem Jahr 12 Milliarden Euro investieren und einen Kapitalstock von über 200 Milliarden Euro aufbauen, der dann dazu führt, dass die Beitragsanstiege nicht mehr so hoch sind.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Überwiegend Schulden, Frau Schulz!)

Denn was bedeutet eigentlich ein Beitragssatzpunkt in der Rentenversicherung? Er bedeutet Kosten in Höhe von knapp 8 Milliarden Euro durchschnittlich im Jahr für die Wirtschaft und 19 Euro für jeden Arbeitnehmer, der einen Durchschnittslohn hat.

Wenn wir wirklich im Jahr 2035 bei 7,5 Prozentpunkten mehr landen würden, hätte das zur Folge, dass die Wirtschaft mit 60 Milliarden Euro mehr im Jahr belastet würde, und jeder Arbeitnehmer, der einen Durchschnittslohn verdient, müsste sagenhafte 1 800 Euro mehr im Jahr zahlen.

Das wäre dann wieder ein Grund, dass sich Unternehmen zweimal überlegen, ob sie hier investieren, ob sie hier gründen. Und auch die Menschen, die wir hier gerne haben möchten, nämlich die hochqualifizierten Fachkräfte, die zuwandern und in den Arbeitsmarkt integriert werden sollten, würden sich überlegen, ob sie hierherkommen sollten. Stattdessen werden gut qualifizierte Menschen abwandern, wenn sie auf ihren Gehaltszettel gucken und mit Ernüchterung feststellen, dass vom Brutto nicht so viel netto übrigbleibt.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Ach! Tatsächlich? – Zuruf der Abg. Carolin Bachmann [AfD])

Es ist deswegen Zeit für eine wirkliche Wirtschaftswende.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Bravo! Da bin ich mal gespannt, Frau Schulz, wie Ihre Wirtschaftswende ausschaut!)

Denn unsere Sozialversicherungen hängen nicht nur von den Unternehmen ab, sondern auch davon, dass die Wirtschaft floriert. Wir brauchen gute Arbeitsplätze, um unser Sozialversicherungssystem auch weiterhin leistungsstark zu halten. Und mir ist ganz wichtig, dass wir in der Zukunft darauf aufpassen, uns wirklich mit der Wirtschaftswende zu beschäftigen und das Ganzheitliche sehen. Denn der Sozialstaat ist nicht gottgegeben – das sollte uns allen klar sein –; er ist hart erarbeitet.

Um in der Zukunft nachhaltige Sozialversicherung und mehr Wohlstand zu schaffen, müssen wir uns mit dem Wirtschaftswachstum beschäftigen,

(Beifall des Abg. Peter Aumer [CDU/CSU])

und dafür setzt sich meine Fraktion ein. Wir brauchen dringend eine Wirtschaftswende; dann klappt es auch wieder mit den Sozialversicherungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Tina Rudolph [SPD] – Bernd Schattner [AfD]: Im September 2025! – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Das klappt nur nicht mit der Ampel!)

Das Wort hat Emmi Zeulner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7613226
Wahlperiode 20
Sitzung 177
Tagesordnungspunkt Finanzierung der Sozialversicherung
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