26.06.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 177 / Tagesordnungspunkt 5

Tina RudolphSPD - Finanzierung der Sozialversicherung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem von der CDU/CSU-Fraktion! Wenn man auf elf Seiten 68 Einzelfragen auflistet, dann besteht die Möglichkeit, dass man total an der Materie interessiert ist:

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das nennt man „Serviceopposition“!)

Man arbeitet sich rein, man setzt auf Erkenntnisgewinn und ist die „Serviceopposition“. Dann ist es aber auch ein bisschen komisch, dass man gar nicht die Antworten auf diese Fragen abwartet, sondern jetzt schon darauf besteht, dass wir hier diese Fragen diskutieren. Das kann man dann wohl eher als Arbeitsnachweis verbuchen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Föhr [CDU/CSU]: Das ist die Aufgabe von Opposition übrigens!)

Um, Herr Sorge, auch auf das von Ihnen angesprochene Phänomen der Abwesenheit unseres Gesundheitsministers zu sprechen zu kommen: Er hatte jetzt zwei Möglichkeiten: entweder Ihren Arbeitsnachweis hier zu diskutieren bzw. der Diskussion zu folgen oder jetzt aktuelle Gesundheitspolitik zu machen, nämlich an einer Verhandlungsrunde zu einem der Gesetze teilzunehmen, die wir in dieser Woche noch auf der Tagesordnung haben.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Was ist das denn für eine Selbstverzwergung, wenn man den eigenen Minister nicht im Parlament sehen will? Das ist ja die Selbstaufgabe! Das ist das Problem der SPD!)

Ich bin sehr froh, dass der aktuelle Gesundheitsminister arbeitet und sich nicht in den Beschäftigungstherapien der sogenannten Serviceopposition ergeht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Emmi Zeulner [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Möchten Sie die Zwischenfrage von Frau Zeulner zulassen, Frau Kollegin Rudolph?

Von wem?

Von Frau Zeulner.

Von Frau Zeulner würde ich die Frage zulassen, ja.

(Dr. Edgar Franke, Parl. Staatssekretär: Zwei Staatssekretäre sind hier!)

Lieber Kollege Franke, wir registrieren, dass zwei Staatssekretäre hier sind; das wissen wir auch sehr zu schätzen. Wir haben uns ja jetzt auch nicht mit Ihnen auseinandergesetzt, sondern mit dem Minister. Da ist ja auch in den eigenen Reihen manchmal ein Schmunzeln zu sehen und ein bisschen Kritik zu hören.

(Bernd Rützel [SPD]: Was? – Weitere Zurufe von der SPD)

– Nee, Sie stehen alle fest hinter Ihrem Gesundheitsminister, gut.

Also, Karl Lauterbach hat gesagt: „Wir brauchen uns jetzt nicht über die Zukunft der Finanzierung der GKV und der SPV unterhalten“, sondern er erwarte von der nächsten Bundesregierung, dass sie sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Ich meine, wir müssen uns jetzt sofort damit auseinandersetzen, und zwar am besten in dieser Minute,

(Beifall bei der CDU/CSU)

weil wir nämlich noch ungefähr ein Jahr haben, bis es eine angekündigte Wahl gibt – vielleicht auch vorher; wir werden sehen. Aber wir werden ein Konzept aus der Schublade holen müssen. Deswegen stellen wir diese Fragen; wir wollen uns mit ihnen auseinandersetzen.

Deswegen frage ich: Würden Sie denn eine Enquete-Kommission unterstützen, in der wir eben genau anschauen könnten, wie die Einnahmen und die Ausgaben sowie die Verfügbarkeit von Leistungen in den Sozialversicherungssystemen aussehen? Denn nur weil ich das Geld habe, bedeutet es ja nicht, dass ich in meiner Region beispielsweise die Kurzzeitpflege überhaupt vor Ort habe. Würden Sie eine solche Enquete-Kommission – nennen Sie sie, wie Sie wollen: „Pflege“, „sektorübergreifende Versorgung“ – unterstützen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich muss mich erst mal bei allen Kolleginnen und Kollegen entschuldigen. Ich werde natürlich genauso lange antworten, wie es nötig ist, und das verlängert die Debatte dann entsprechend.

(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Macht nichts!)

Ich würde tatsächlich davon abraten, für alle Probleme, die wir berechtigterweise diskutieren, einfach dieses Tuch Enquete-Kommission hier in den Raum zu hängen. Es ist ja nicht so, dass wir für die verschiedenen Fragestellungen nicht auch Konzepte hätten. Ein Konzept, das unsere Partei zum Beispiel seit Langem verfolgt – den Namen traut man sich fast gar nicht mehr auszusprechen, weil er in der öffentlichen Debatte so verbrannt ist –, ist die sogenannte Bürger/-innenversicherung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schon komisch, dass Abgeordnete Ihrer eigenen Fraktion dieses Konzept wieder rausziehen, es aber nicht in dem Moment nutzten, in dem sie selber Regierungsverantwortung trugen, sondern jetzt, wenn sie in der Opposition sind. Das können Sie sich gerne angucken. Es sind Ihre Kolleginnen und Kollegen, die das fordern und es total zu Recht als Antwort formulieren.

Also, es ist nicht so, dass wir uns nicht schon seit Jahren und Jahrzehnten Gedanken darüber gemacht hätten, wie wir die Einnahmeseite gut, gerecht und fair aufstellen, sodass die breiten Schultern eben auch mehr tragen, sodass alle gut versorgt sind und nicht die Folgekosten dann doch wieder bei der Gesellschaft hängen bleiben, wenn wir nämlich Menschen am Ende doch versorgen, weil auf dem Weg dahin viel schiefgegangen ist. Deswegen: Ja, die Konzepte gibt es. Aber eine Enquete-Kommission, glaube ich, brauchen wir in dem Zusammenhang nicht.

Um es für das Publikum vielleicht noch mal zu erläutern: Eine Enquete-Kommission ist in vielen Fällen gut, wenn man sich neu mit einem konkreten politischen Thema auseinandersetzen und dazu Sachverständige hören möchte. Aber es gibt auch so ein paar Themen, da ist sie eigentlich eher eine Selbstdarstellung von Politikerinnen und Politikern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jens Teutrine [FDP])

Man kann sich schön hinsetzen, Leute vorführen und angeblich versuchen, Dinge aufzuarbeiten, wobei man nicht berücksichtigt, was für einen Stand wir sowohl in der Wissenschaft als auch in der politischen Debatte schon haben.

In diesem konkreten Fall: Wir machen uns über diese Themen Gedanken. Wir diskutieren sie. Wir haben Konzepte, und zwar seit Jahrzehnten.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Wo sind sie denn? – Simone Borchardt [CDU/CSU]: Nur Ankündigungen! – Dietrich Monstadt [CDU/CSU]: Hic Rhodus, hic salta!)

Wir konnten mit Ihnen viele leider nicht umsetzen. Deswegen wäre es gut – es ist schön, wenn es jetzt in Ansätzen die Offenheit dafür gibt –, eine solidarische Sozialversicherung mal konsequent zu Ende zu denken, was wir in der Zeit, in der die Möglichkeit dazu da gewesen wäre, eben nicht getan haben und so vieles nicht mit auf den Weg gebracht haben.

So. Das ist jetzt das Ende der Beantwortung der Frage.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Dann mache ich weiter mit der eigentlichen Rede.

Ich muss den Satz einfach noch mal sagen. Eigentlich sollte das Prinzip sein – ich dachte, das ist eigentlich eher ein konservatives –: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ bzw. „Handle in der Zeit, dann erntest du die Erfolge in der Not“.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Es gab Jahrzehnte, in denen die Situation eine andere und bessere war, in der wir uns nicht darauf vorbereitet haben. Zu behaupten, die Tatsache, dass die Versicherungsbeiträge jetzt in dieser Legislatur steigen, sei den paar Monaten bis wenigen Jahre seit Bestehen dieser Koalition geschuldet,

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Ist so! Wirtschaft und Beiträge hängen nun mal zusammen!)

ignoriert das jahrelange Rollen der demografischen Welle, auf das eben nicht entsprechend reagiert worden ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Tino Sorge [CDU/CSU]: Die SPD war in den letzten Jahrzehnten an keiner Regierung beteiligt!)

– Zur Anfrage habe ich jetzt, glaube ich, genug gesagt.

Ein Vorschlag, für den wir offen wären, wäre einer, der eben nicht nur etwas an der Ausgabenseite ändern würde. Denn man muss sich fragen: Welche Lösungen sind eigentlich in dieser Anfrage versteckt? Sie haben sie natürlich vor gewisse Vorzeichen gestellt. Sie wollen da auf etwas hinaus, und ich frage mich: Was ist das?

Entweder wir machen „Linke Tasche, rechte Tasche“. Wir nehmen jetzt vielleicht von dem einen Etat im Haushalt ein bisschen was weg und schieben das in den anderen rein; kann man machen. Das Geld fehlt uns dann aber an einer anderen Stelle. Oder – das ist, glaube ich, worauf Sie eigentlich hinauswollen; denn das kam immer mal wieder von der Union – wir reden über Leistungskürzungen.

(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Nein, das stimmt überhaupt nicht! Das ist eine böse Unterstellung!)

Eigentlich reden wir darüber, dass wir nicht mehr allen Menschen die gleiche gesundheitliche Versorgung angedeihen lassen, dass wir Menschen nicht so versorgen, wie wir das eigentlich möchten, um dann damit einzusparen.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Es geht um ein effektiveres System, nicht um Leistungskürzungen!)

Genau das Gegenteil ist richtig: Wir müssen investieren, in Gesundheit, in Prävention. Das sind die Bereiche, in denen wir in den letzten Jahren vielleicht auch ein bisschen zu wenig Geld in die Hand genommen haben, gerade in der Prävention. Trotzdem ist es diese Regierung, die jetzt gerade einen hohen Reformstau bewältigt. Es ist dieser Minister, der die Dinge gerade angeht. Und ich brauche, glaube ich, niemandem mehr zu erklären, gegen welchen öffentlichen Druck das teilweise geschieht.

(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Weil es schlecht ist!)

Es wurde von einigen heute schon betont, wie sinnvoll, wie wichtig und vor allem wie alternativlos die Krankenhausreform im Gesundheitswesen ist.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Aber dann bitte richtig! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Es geht um das Wie!)

Es ist dann schon komisch, wenn man sich hinstellt und sagt: Genau das brauchen wir. Wir müssen die Ressourcen sparen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir auch morgen genug Fachkräfte haben. Wir können nicht mehr Geld hineinstecken als das, was wir im Vergleich zu anderen Staaten prozentual vom Bruttoinlandsprodukt ohnehin schon hineinstecken. – Wir müssen da einfach ehrlich sein, dass wir an die Strukturen heranmüssen. Da kann man nicht auf der einen Seite das eine fordern und auf der anderen Seite in jedem Einzelfall doch wieder dagegen argumentieren, weil es sich draußen richtig anfühlt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen: Liebe Union, ich würde mit dem Mantra schließen wollen, das wir dann immer sagen: Erst kommt das Land, dann die Partei.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP] – Lachen bei der CDU/CSU und der AfD)

Es kann total sein, dass wir, dass dieser Gesundheitsminister in dieser Legislatur Dinge auf den Weg bringen wird, deren Erfolge wir nicht mehr ernten. Und ich glaube, ich hoffe, ich bin mir sehr sicher, dass wir uns in fünf, in zehn Jahren umdrehen und sagen werden: Es wäre richtig schiefgelaufen, wenn wir zum Beispiel diese Reform jetzt nicht gemacht hätten.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie! – Bernd Schattner [AfD]: In zwölf Monaten ist alles vorbei! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Die letzte Reform war Hartz IV!)

Und wenn dann Sie hier sitzen und ich vielleicht nicht mehr, werde ich mich vielleicht ein kleines bisschen ärgern, aber eigentlich nicht so sehr, weil es sinnvoller und richtiger ist, dass die Dinge, die gemacht werden müssen, gemacht werden.

Erst kommt das Land, dann die Partei. Es geht darum, dass wir uns richtig aufstellen.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Sie brauchen sich nicht mehr aufzustellen!)

Es geht darum, die Gesundheitsversorgung für die Menschen weiterhin zu sichern, nicht mit Schaufensterdebatten, sondern mit dem, was wir hier tatsächlich tun, niemanden in Angst zu versetzen, sondern die richtigen Wege zu gehen. Und das machen wir weiterhin, solange wir das können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Für das BSW hat Alexander Ulrich das Wort.

(Beifall beim BSW)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7613228
Wahlperiode 20
Sitzung 177
Tagesordnungspunkt Finanzierung der Sozialversicherung
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