Martina Stamm-FibichSPD - Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses 2023
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Jahr begehen wir das 75. Jubiläum des Grundgesetzes, der Grundlage unseres Zusammenlebens in einem freien und demokratischen Rechtsstaat. Das Grundgesetz war eine direkte Lehre aus den abscheulichen Gräueltaten der nationalsozialistischen Diktatur.
Ein Teil dieser Lehre war der Artikel 17, der jedermann das Recht einräumt,
„sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“
Dieses demokratisch legitimierte Prüfrecht wurde wieder eingesetzt und als zentraler Bestandteil unseres Grundgesetzes verankert.
So kam mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland auch ein Petitionsausschuss erstmalig am 14. Oktober 1949 zusammen. Er bildet nunmehr seit 75 Jahren die Schnittstelle zwischen dem Bundestag und seinem Souverän. Das sind 75 Jahre im Dienst der Bürgerinnen und Bürger, in denen der Petitionsausschuss 950 000 Petitionen bearbeitet hat.
Ein Teil dieser langen Historie sind die 11 410 Eingaben, die im Jahr 2023 bei uns eingegangen sind, dem Jahr, über das wir heute Bericht erstatten. 11 410 Petitionen sind rund 1 800 Petitionen weniger als im Jahr 2022. Das ist verglichen mit den Vorjahren durchaus eine deutliche Veränderung.
Auch der thematische Fokus hat sich verändert. Betraf in den letzten Jahren ein Großteil der Petitionen das Bundesministerium für Gesundheit, fielen im Jahr 2023 die meisten Zuschriften in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Auf Platz zwei lag das Bundesministerium des Innern und für Heimat, gefolgt vom Bundesministerium der Justiz, welches die größte Steigerung von Petitionen gegenüber dem Vorjahr verzeichnen konnte.
Rund zwei Drittel aller Petitionen enthielten persönliche Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern, die mit Entscheidungen oder dem Vorgehen einer Behörde unzufrieden waren. Diese Einzelfallbearbeitung prägt die Arbeit unseres Ausschusses und macht ihn im Vergleich zu anderen Ausschüssen besonders bürgernah.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
So unterstützte der Ausschuss beispielsweise die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung für ein von weiblicher Genitalverstümmelung bedrohtes Mädchen. Er half einer Petentin bei ihrem Antrag auf volle Erwerbsminderungsrente oder sorgte dafür, dass eine andere Petentin die ihr zustehende Rentennachzahlung erhielt.
Neben diesen vielen Einzelfallpetitionen werden auch immer zahlreiche Bitten zur Gesetzgebung an den Ausschuss herangetragen. Hierzu haben über 1,5 Millionen Menschen mit ihren Unterschriften Petitionen unterstützt. Das ist trotz der geringeren Anzahl an Petitionen insgesamt eine Steigerung von über 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gegenüber dem Jahr 2021 hat sich die Anzahl fast verfünffacht. Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger sind weiterhin aktiv und interessiert.
Das Interesse gilt im besonderen Maße unseren öffentlichen Sitzungen, in denen die Petentinnen und Petenten die Möglichkeit haben, ihre Anliegen selbst vorzustellen. 2023 waren es unter anderem Petitionen zur Schließung von Geburtshilfestationen, zu Einwilligungen zur elektronischen Patientenakte, zur Erhöhung des Elterngeldhöchstbetrages, zur Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung, zum Bundesfreiwilligendienst und zu den LNG-Terminals vor der Küste Rügens.
Wie diese Beispiele zeigen, sind die Themen, die die Bürgerinnen und Bürger bewegen, vielfältig und stets am Puls der Zeit. Genauso sollten wir als Petitionsausschuss auch am Puls der Zeit sein und uns den Ansprüchen und Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger anpassen. Denn eine Petition heutzutage im Parlament zu bearbeiten, kann und darf nicht das Gleiche sein wie 1949,
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
als der Petitionsausschuss – vor 75 Jahren – gegründet wurde.
Diese Anpassung ist in der Vergangenheit leider viel zu selten geschehen. Die letzte Reform des Petitionswesens ist 20 Jahre her. Damals hat die Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen die E-Petition und damit unsere öffentlichen Sitzungen eingeführt, über die ich gerade gesprochen habe. Dann folgten 16 Jahre Regierungszeit mit der CDU/CSU als größter Fraktion. In diesen 16 Jahren ist wirklich nichts passiert.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was?)
Sie stimmten vor 20 Jahren mit schwerwiegenden Bedenken und dem Vorwurf eines falschen Anscheins besonderer Bürgernähe gegen die Reform und haben danach in 16 Jahren Regierungsführung
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Waren Sie nicht dabei?)
keinen Vorschlag zur Verbesserung des Petitionswesens eingebracht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Die SPD war nie in der Regierung?)
Mehr als das Verwalten des Status quo war mit Ihnen leider nicht zu machen.
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Unfassbar!)
Es brauchte erst eine Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, damit überhaupt wieder über einen Wandel nachgedacht werden konnte. Genau das haben wir getan und einen Reformprozess angestoßen, der Petitionen schneller, besser und bürgerfreundlicher machen soll; gestern früh im Petitionsausschuss haben wir die ersten Änderungen beschlossen. Seit gestern brauchen Petentinnen und Petenten nur noch 30 000 Unterschriften innerhalb von sechs Wochen für eine öffentliche Sitzung des Ausschusses anstatt wie vorher 50 000 Unterschriften innerhalb von vier Wochen. Damit werden mehr Petentinnen und Petenten die Möglichkeit haben, ihre Anliegen im Bundestag persönlich vorstellen zu können.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Doch an vielen Dingen werden wir noch weiterarbeiten müssen; denn die Verwaltung der Petitionen ist immer noch zu umständlich. Dafür gibt es leider nicht immer eine einfache Lösung, und auch ein neues IT-System zur Volldigitalisierung von Petitionen fällt leider nicht vom Himmel.
Die Idee für die letzte größere Reform des Petitionswesens vor 20 Jahren kam aus Schottland. Dort hatte man sich die E-Petitionen abgeguckt. Ähnlich wie damals ist es auch heute wieder wichtig, Impulsgeber zu suchen. Es wird auch heute wieder Leute geben, die Veränderungen ablehnen, die den Teufel an die Wand malen. Doch genauso wie damals sind wir heute wieder überreif für Reformen. Wir müssen endlich schneller, besser und bürgerfreundlicher werden. Ich möchte bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Unterstützung für unsere Vorhaben werben, besser zu werden. Springen Sie über Ihren Schatten, und trauen Sie sich etwas! Arbeiten Sie an der Verbesserung des Petitionswesens mit, anstatt aufzuzählen, warum Veränderungen nicht möglich sind. Die Bürgerinnen und Bürger werden es Ihnen danken.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zum Abschluss möchte ich diese Bitte um Unterstützung aufgreifen und hervorheben, wo es bereits Menschen gibt, die sich sprichwörtlich die Ärmel hochgekrempelt haben und Dinge auf den Weg bringen. Ich spreche von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes. Für die Beschäftigten der Verwaltung bedeutet Veränderung erst einmal mehr Aufwand. Die Verwaltung – ich hoffe, sie nimmt mir das nicht übel – steht naturgemäß nicht an der Speerspitze der Revolution.
Doch ich sehe, wie der Ausschussdienst sich selbst umkrempelt, wie neue Ideen besprochen und Arbeitsweisen überdacht werden, wie er sich zusammensetzt und überlegt: Wie können wir schneller, besser und bürgerfreundlicher werden? Das möchte ich hervorheben. Das zeugt von wirklicher Motivation, von Eifer und Begeisterung für Petitionen; denn die tägliche Arbeit muss ja parallel weitergehen.
Deswegen möchte ich den heute hier anwesenden Mitarbeitern des Ausschussdienstes herzlich für ihre viele Arbeit und für den guten Ablauf danken
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und natürlich auch all den anderen Mitarbeitern, die heute nicht vor Ort sein können und die dafür sorgen, dass der Petitionsausschuss jährlich über 11 000 Petitionen bearbeiten kann. Vielen Dank Ihnen allen!
Ich danke auch allen Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss und ihren Büros für die viele geleistete Arbeit, eine Arbeit, die im Petitionsbereich oft nicht gesehen und ausreichend anerkannt wird.
Zu guter Letzt möchte ich der Präsidentin danken, dass sie uns die Arbeit erleichtert, für das Wertschätzende, das sie diesem Ausschussdienst zukommen lässt, und dass sie für unsere Anliegen immer ein offenes Ohr hat. Auch Ihnen herzlichen Dank von uns allen!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
Ich hoffe, dass wir in diesem Ausschuss weiterhin gut zusammenarbeiten, dass wir alles dafür tun werden, um den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl zu geben, dass wir ihre Anliegen ernst nehmen, dass wir diese gut bearbeiten, und dass wir alle miteinander sehen, was wir an diesem Petitionswesen haben.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU])
Vielen Dank. – Als Nächste hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Corinna Rüffer.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 178 |
Tagesordnungspunkt | Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses 2023 |