Martina Stamm-FibichSPD - Aktuelle Stunde: Aufarbeitung der Corona-Masken-Beschaffung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über die Rolle der Politik in der Coronapandemie diskutieren, dann müssen wir uns eins immer wieder klarmachen: Es war eine Zeit der Ungewissheit. Keiner wusste genau, was da auf uns zukommt und wie man sich am besten dagegen absichern kann. Keiner wusste, dass die Varianten des Virus irgendwann nicht mehr so bedrohlich sein würden wie zu Beginn der Pandemie. Ein glimpflicher Ausgang war nicht garantiert.
Die Nachrichten aus Bergamo und anderen Regionen in Europa, aber teilweise auch aus Altenheimen und Krankenhäusern in Deutschland haben mir damals ganz klar gemacht, dass der Schutz der Bevölkerung absolute Priorität haben muss. In dieser unübersichtlichen Situation war die Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung keine leichte Aufgabe; denn alle Staaten wollten sich absichern. Es ist mir deshalb wichtig, dass diese Aktuelle Stunde nicht zu einer Hexenjagd verkommt.
Dennoch halte ich es für notwendig, dass wir kritisch aufarbeiten, was damals passiert ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Nur so können wir die passenden Lehren für die Zukunft ziehen. In welcher Form diese Aufarbeitung geschieht, ist zu diskutieren. Die Hauptsache bleibt aber, dass am Ende ganz klar nachvollzogen werden kann, was genau ablief und wer wofür verantwortlich war. Es muss jetzt Klarheit darüber geben, wie es passieren konnte, dass aus heutiger Sicht Milliarden an Steuergeld verschwendet worden sind. Niemand darf sich hier aus der Verantwortung stehlen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Lassen Sie mich an dieser Stelle zum besseren Verständnis kurz die einzelnen Kritikpunkte abschichten; denn ich habe den Eindruck, dass aktuell sehr viel durcheinandergeworfen wird. Es geht aus meiner Sicht vor allem um drei Themenkomplexe, die nochmals genauer untersucht werden sollten: erstens die völlig ausgeartete Beschaffung von Schutzmasken im Open-House-Verfahren, zweitens die Maskenverteilaktionen um Weihnachten 2020
(Dr. Gesine Lötzsch [Die Linke]: Das habt ihr doch alles mitgemacht!)
und drittens die überteuerten Bestellungen von Einzelunternehmen auf Zuruf von Parteifreunden wie zum Beispiel im Fall Emix.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, fangen wir mal mit den Open-House-Verträgen an. Um möglichst schnell an Schutzausrüstung zu kommen, hat das BMG im März 2020 ein Verfahren aufgesetzt, bei dem jede Firma, die ein Angebot für die Lieferung von Masken abgab, auch den Zuschlag bekommen hat. So sind innerhalb kürzester Zeit bei einem Preis von 4,50 Euro netto pro Maske Verpflichtungen von 6,4 Milliarden Euro entstanden. Das lässt nur einen Schluss zu: Der Preis war deutlich zu hoch angesetzt. Es stellt sich aus meiner Sicht bereits hier die Frage, wie man so am Marktgeschehen vorbeikalkulieren konnte und wer dafür die politische Verantwortung trägt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Aber damit nicht genug: Nachdem das BMG dann gemerkt hat, dass man sich hier völlig verrechnet hatte, wurde das Verfahren ruckartig eingestellt. Gleichzeitig hat das BMG die Unternehmensberatung Ernst & Young damit beauftragt, möglichst viele dieser Verträge wieder abzuwickeln, weil mittlerweile die Erkenntnis vorhanden war, dass man sich ordentlich übernommen hat. Und genau hier liegt die Krux: Es scheint so, als würde dieser Plan nicht aufgehen. Das Oberlandesgericht Köln hat am vergangenen Freitag entschieden, dass es sich bei den sogenannten Open-House-Verträgen nicht um Fixgeschäfte handelt. Damit ist die Strategie des BMG, alle Verträge, die nicht pünktlich erfüllt worden sind, als nichtig zu betrachten, aller Wahrscheinlichkeit nach am Ende.
Bei einem Streitwert von 2,3 Milliarden Euro plus x sind das keine guten Nachrichten. Das Versagen bei der Beschaffung könnte den Haushalt des BMG auf Jahre lähmen, und die Rückstellungen reichen bei Weitem nicht aus. Deshalb muss jetzt alles auf den Tisch; denn so was darf nie wieder passieren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich möchte noch zwei andere Diskussionspunkte anschneiden – die kann ich aufgrund der Kürze der Zeit nicht ausweiten –: die Verteilung der Schutzmasken, aber auch der genaue Blick, wie es dann weitergegangen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Es gibt hier an dieser Stelle offensichtlich Klärungsbedarf. Ich hatte zu Beginn gesagt, es soll keine Hexenjagd werden. Aber mich würde schon mal interessieren, wie es zu den aufgezählten Entscheidungen kam. Von einer Sache kann man schon jetzt ausgehen: Diese Angelegenheit wird uns noch lange beschäftigen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vielen Dank. – Das Wort erhält Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7613343 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 178 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Aufarbeitung der Corona-Masken-Beschaffung |