Michael RothSPD - Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als am 11. Juni 1999 der Deutsche Bundestag das erste Kosovo-Mandat beschloss, hatte ich schon die Ehre und das Vergnügen, hier mit dabei zu sein. Deswegen spielt dieser Einsatz in meiner parlamentarischen Arbeit und in der parlamentarischen Arbeit der Kollegen, die seit über 25 Jahren Mitglied dieses Hauses sein dürfen, eine ganz besondere Rolle.
Denn erinnern wir uns: Der verspäteten Zeitenwende infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2024
(Stephan Brandner [AfD]: 2024?)
ging vor 25 Jahren eine andere Zeitenwende voraus. Deutschland – Boris Mijatović wies auf die schmerzhaften und harten Auseinandersetzungen in der SPD, vor allem auch bei den Grünen und in der gesamten Gesellschaft hin – hat sich damals zum ersten Mal entschieden, sich wieder an einem Militäreinsatz der NATO zu beteiligen. Dass das vielen nicht leichtgefallen ist, zeichnet uns ja aus; denn es war nach vielen Jahrzehnten der militärischen Zurückhaltung eine Zäsur, anzuerkennen, dass es bei der Verteidigung von Menschenrechten, bei der Verhinderung eines Genozids, beim Schutz von unschuldigen Zivilistinnen und Zivilisten bisweilen notwendig sein muss, zum äußersten Mittel, nämlich zur militärischen Gewalt, zu greifen, wenn militärische, diplomatische, politische Bemühungen auf zivile Weise misslungen sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Axel Müller [CDU/CSU])
Ich will hier nichts vergleichen, was schwerlich zu vergleichen ist. Aber auch damals ging es um die Abwehr von Nationalismus und Imperialismus. Damals gab es die Träumereien von einem Großserbischen Reich, und die Menschen im Kosovo waren von einem weiteren, einem zweiten Genozid bedroht.
Ich bin all denjenigen Kolleginnen und Kollegen außerordentlich dankbar, die mit großer Umsicht und mit großer Empathie dem westlichen Balkan – insbesondere auch der Lage in Serbien und im Kosovo – so viel Aufmerksamkeit und Zeit schenken. Es kommt hier sehr darauf an, dass wir weiterhin deutlich machen – vor allem auch den Bürgerinnen und Bürgern des Kosovo –, dass das KFOR-Mandat das eine und die unverrückbare Einbettung des Kosovo in das vereinte Europa das andere ist. Dazu braucht es auch uns; denn diejenigen, die vor Ort engagiert tätig sind, spüren, dass der Nationalismus und der Populismus weiterhin fröhliche Urständ feiern – bewusst angefacht von nationalistischen Politikern wie Herrn Vučić und anderen.
Deshalb erwarte ich von der Europäischen Union eine Beendigung der Beschwichtigungspolitik gegenüber dem serbischen Regime.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir müssen deutlich machen: Die Europäische Union ist zuerst eine Wertegemeinschaft. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, regionale Versöhnung sind das A und O und dürfen niemals zur Disposition gestellt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und wir müssen den Menschen Hoffnung machen. Hoffnung machen wir ihnen nicht nur dadurch, dass Soldatinnen und Soldaten vor Ort Präsenz zeigen und zur Sicherheit und Stabilität beitragen. Nein, wir machen den Menschen auch Mut, indem wir ihnen deutlich machen: Die Reformanstrengungen lohnen.
Ich bin sehr enttäuscht, dass dem breiten Wunsch meiner eigenen Fraktion, getragen von den Koalitionsfraktionen, aber auch getragen von der CDU/CSU-Fraktion, nicht Rechnung getragen wurde und das Ministerkomitee – also nicht die Abgeordneten, sondern die Regierungen, die uns im Ministerkomitee des Europarates vertreten – der Mitgliedschaft des Kosovo im Europarat die Zustimmung verweigert hat. Ich erwarte, dass dieser Fehler noch bis Ende des Jahres geheilt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Lage ist höchst fragil. Die Lage ist weiterhin bedrohlich. Wer vielleicht mir nicht glaubt und wer vielleicht derzeit stärker mit der Europameisterschaft beschäftigt ist, der möge nur mal schauen, wie die Fans aus dieser Region miteinander umgehen. Das hat nichts mit Respekt und mit Fairness zu tun. Da ist so viel nationalistischer Hass vorhanden! Wir müssen es schaffen – vor allem auch mit einem engeren Jugendaustausch –, diesen Hass zu beseitigen. Es muss zu einer regionalen Versöhnung kommen.
Wir müssen uns auch den schwierigen Kapiteln stellen. Es ist inakzeptabel, dass mit der Nichtanerkennung des Kosovo oder auch mit der Leugnung des Genozids von Srebrenica Politik auf dem Rücken der Menschen in der Region gemacht wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Deshalb hoffe ich natürlich, ebenso wie nicht wenige andere Abgeordnete, viele Bürgerinnen und Bürger und wahrscheinlich auch die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten, dass dieses Mandat alsbald beendet werden kann. Es kann aber nur beendet werden, wenn der Kosovo zu seiner nationalen Souveränität findet, wenn er Teil der Euro-Atlantischen Partnerschaft ist und wenn er im Herzen der Europäischen Union verankert ist. Das darf nicht nur eine leere Utopie sein; das muss eine konkrete Vision sein. Sonst drohen wir die Akzeptanz der Demokratinnen und Demokraten, der engagierten Versöhnerinnen und Versöhner in dieser Region zu verlieren, und das darf nicht sein.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7613392 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 178 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR) |