27.06.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 178 / Tagesordnungspunkt 15

Falko DroßmannSPD - Bundeswehreinsatz "United Nations Interim Force in Lebanon" (UNIFIL)

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte Dr. Högl! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung beantragt die Fortsetzung des Mandates für die UN-Friedensmission UNIFIL, United Nations Interim Force in Lebanon. Seit über 14 Jahren beteiligen wir uns als Bundesrepublik an dieser Mission, damals allerdings als vorläufig angelegt.

Doch was wollen wir im Libanon überhaupt erreichen? Welche bisherigen Erfolge – die Frage wurde häufiger gestellt – kann diese Mission eigentlich verzeichnen? Herr Gnauck, es wurde in allen Ausschüssen, so wie dieses Parlament arbeitet, sehr detailliert besprochen, welche Erfolge und welche Notwendigkeiten es gab. Deshalb kamen der Rechtsausschuss, der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union, der Auswärtige Ausschuss und der Haushaltsausschuss zu der Empfehlung, dass wir dieses Mandat verlängern, übrigens in allen Fällen mit den Stimmen der AfD, die uns empfohlen hat, diesen Antrag anzunehmen.

Das heißt, in der Fachpolitik machen Sie das eine, und dann stellen Sie sich hierhin und erzählen das genaue Gegenteil.

(Zuruf des Abg. Hannes Gnauck [AfD])

Deshalb, Herr Gnauck, ist parlamentarische Arbeit mit Ihrer Trümmertruppe überhaupt nicht möglich, und ich kann gerne für die Zukunft darauf verzichten. Danke schön!

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wir aber auch!)

Im Jahr 2006 wurde die aktuelle UNIFIL-Mission ins Leben gerufen, um im Südlibanon Frieden und Stabilität zu sichern. Die Ziele waren klar: Es ging darum, die Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah zu überwachen, um seegestützte Aufklärung und Überwachung des UNIFIL-Einsatzgebietes, um die Kontrolle des Seeverkehrs im Einsatzgebiet und nicht zuletzt auch um die Sicherstellung des Zugangs für humanitäre Helferinnen und Helfer der Zivilbevölkerung. Darüber hinaus sollen die libanesischen Streitkräfte, die immer noch einen gewissen guten Ruf haben, beim Aufbau einer sicheren und stabilen Umgebung unterstützt werden.

Die Mission hat einerseits Erfolge erzielt, zum Beispiel die Rückkehr von Vertriebenen in den Südlibanon nach den militärischen Auseinandersetzungen 2006. Andererseits ist sie aber auch an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen. Die politische Lage im Libanon – das wurde mehrfach beschrieben – ist gravierend schlecht, der Staat seit 2019 in einer tiefen Krise; seit 2022 gibt es keinen Präsidenten mehr. Es gibt eine tiefe Wirtschafts- und Währungskrise.

Heute, fast zwei Jahrzehnte später, stehen wir also vor einer neuen Realität. Die politische Lage hat sich dramatisch verschlechtert. Die jüngsten militärischen Angriffe der Hisbollah haben deutlich gemacht: Die Region – es wurde gesagt – gleicht weiterhin einem Pulverfass. Schon jetzt mussten mehr als 150 000 Menschen sowohl auf israelischer als auch auf libanesischer Seite aufgrund der Attacken der radikalislamischen Terrororganisation Hisbollah ihre Heimat verlassen.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Lage in den Grenzregionen zwischen Israel und Libanon gefährlich zugespitzt, und fast täglich – jeder kann es verfolgen – feuert die Hisbollah Raketen in Richtung Israel. Und ja, die Hisbollah benutzt modernste Waffensysteme, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im Libanon hergestellt werden. Und ja, diese Waffensysteme werden wahrscheinlich auf dem Landweg in den Südlibanon gebracht.

Deshalb aber zu dem Schluss zu kommen, nun auch die durch die UN kontrollierten Seewege zu öffnen, wäre vollkommen unsinnig. Alle israelischen Regierungen haben immer wieder betont, dass die Bedrohung durch die Hisbollah ernst genommen werden muss und dass sie bereit sind, die Sicherheit Israels mit aller Kraft zu verteidigen. Die israelischen Regierungen haben dabei nicht viel mehr, aber auch nicht weniger verlangt als die vollständige Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1701 und eine effektive Überwachung des Grenzgebietes. Dabei hat Israel nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich gegen die Angriffe der Hisbollah zu verteidigen.

In diesem Spannungsfeld müssen wir die beantragte Verlängerung des UNIFIL-Mandats bewerten. Einerseits ist die Präsenz der Vereinten Nationen ein stabilisierender Faktor, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Aber in dieser Konsequenz heißt das andererseits auch, dass wir deutsche Soldatinnen und Soldaten in ein Gebiet schicken, das von militärischen Auseinandersetzungen und Instabilität geprägt ist.

Und natürlich dürfen wir die Augen nicht vor den Problemen verschließen, die mit einem solchen Einsatz verbunden sind. Wenn wir von heute auf 2006 schauen, mag uns der damalige Ansatz naiv erscheinen. Damals hofften wir auf eine schnelle Lösung. Doch die Realität lehrt uns, dass Frieden und Stabilität in dieser Region nur durch ein langfristiges Engagement erreicht werden können. Ein plötzlicher Abzug der Vereinten Nationen würde zu einer weiteren Eskalation im Nahen Osten beitragen. Die Weltgemeinschaft würde die Augen vor der Eskalation verschließen, die durch die gezielten brutalen Attacken von Hamas, Hisbollah, aber auch Huthi und syrischen Milizen im Nahen Osten ausgelöst und täglich stärker wird.

Meine Damen und Herren, wir alle hier sind uns hier der Lage im Nahen Osten bewusst, wir alle wissen um die Herausforderungen, die dieser Einsatz mit sich bringt, und wir alle haben eine Verantwortung. Wir müssen diese Verantwortung, die wir 2006 eingegangen sind, aber weiterhin wahrnehmen. Wir dürfen die bisherigen Erfolge nicht durch kurzfristige Entscheidungen gefährden.

Ich will mich an dieser Stelle bei den Kameradinnen und Kameraden unserer Marine bedanken, die sich in diesem multinationalen Einsatz weiter für Deeskalation und Frieden einsetzen, in einem politisch und militärisch herausfordernden Einsatz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nächster Redner ist Dr. Dietmar Bartsch für die Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7613423
Wahlperiode 20
Sitzung 178
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz "United Nations Interim Force in Lebanon" (UNIFIL)
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