Bengt BergtSPD - Rahmenbedingungen für den Wasserstoffhochlauf
Moin, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Herr Gramling, Sie schließen mit einem Zitat, ich beginne mit einem:
„Der Minister betont, dass weitere große disruptive Veränderungen vor uns stehen: Wir schalten 2022/23 die letzten Kernkraftwerke ab. Der Kohleausstieg wird sich beschleunigen. Die Ausbauziele für den Ökostromanteil im Jahr 2030 können auf 65 Prozent steigen. ‚ Das müssen wir verbinden mit Versorgungssicherheit, bezahlbaren Energiepreisen und Nachhaltigkeit.ʼ … man kann ‚auf Dauer eine sichere Energieversorgung haben, indem wir grünen Wasserstoff verfügbar machen.ʼ“
Es ist toll, was Robert Habeck da gesagt hat, ne? Das war er aber gar nicht; das war Peter Altmaier 2020. Das Zitat ist von der CDU-Webseite.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Andreas Rimkus [SPD]: Ist nicht wahr! Wer war das denn? – Konstantin Kuhle [FDP]: Das war sehr lustig!)
Das ist mal eine Kehrtwende. Jetzt wollen Sie laut Grundsatzprogramm die AKWs wieder hochfahren und stellen den Kohleausstieg infrage. Was machen wir hingegen? Wir sabbeln nicht; wir machen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt. Schneller Markthochlauf des Wasserstoffs wird damit garantiert. In anderen Bereichen ist das schon geschehen; wir haben bei der Solar- und der Windenergie gesehen, dass einfache Planungs- und Genehmigungsverfahren wirksam sein können. Manche diskutieren immer noch über das Ob; wir diskutieren über das Wie, machen es und setzen es durch.
Wasserstoff ist fester Bestandteil der Energiewende. Eine Energiewende ohne grünen Wasserstoff ist undenkbar, und eine starke Wirtschaft ohne grünen Wasserstoff ist undenkbar. Klimaschutz ohne grünen Wasserstoff ist auch undenkbar. Wer nachhaltig produziertem Wasserstoff den Sinn abspricht, hat es entweder nicht verstanden oder lehnt die Energiewende ab.
(Marc Bernhard [AfD]: So wie der Rest der Welt! – Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])
Wovon reden wir hier aber eigentlich? Wenn wir „Wasserstoff“ als Oberbegriff verwenden, dann verwenden wir ihn für Derivate. Was heißt „Derivat“? „ Derivat“ heißt „Ableitung“. Wenn wir H2 – Wasserstoff – ableiten, kommen wir bei Helium raus. Das ist zwar gut für Luftballons und witzige Mickymaus-Stimmen, aber nicht für unsere Zwecke. Wasserstoff ist schwierig im Umgang – das haben wir jetzt schon gehört –: Es ist reaktiv, es ist korrosiv, es muss gekühlt werden. Das können wir für einzelne Prozesse wie das Wasserstoffkernnetz trotzdem gut verwenden.
(Mark Helfrich [CDU/CSU]: Ganz gefährlich!)
Aber wir reden bei Wasserstoff auch immer von einem Träger, einem sogenannten Carrier, also von Ammoniak oder einem Träger organischer Herkunft. Wir nennen das LOHC, Liquid Organic Hydrogen Carrier. Das ist alles organische Chemie. Wer hat Chemie in der Schule gehabt? Wer weiß das alles noch? Organische Chemie hat immer mit Kohlenstoff zu tun, und Kohlenstoff und Wasserstoff lieben sich, wollen immer miteinander. Aber das können wir ganz gut auseinanderbringen.
Wasserstoff können wir herstellen. Wir haben Wind und Sonne; daraus können wir Strom machen. Wir nutzen zwei Elektroden: An der Plus-Elektrode kommt Sauerstoff raus, an der negativen Wasserstoff. Man nennt das Elektrolyse.
Kohlenstoff haben wir genug, zum Beispiel aus der Bioenergie. Wenn wir Wasserstoff und Kohlenstoff miteinander reagieren lassen, haben wir einen Carrier, einen Trägerstoff: C21H20 – Dibenzyltuluol –, C7H14 – Methylcyclohexan – oder NH3, Ammoniak.
Das alles hat Vor- und Nachteile. DBT zum Beispiel ist genauso wie Diesel bei Raumtemperatur ganz gut zu transportieren. MHC hat die höchste Energiedichte. Ammoniak ist bereits jetzt der meistverschiffte Flüssigstoff auf den Weltmeeren und dient auch als Grundstoff in der Industrie. Das heißt, man füllt Wasserstoff ein und leert wieder. Das ist wie bei den bekannten Getränkebehältern. Es entsteht ein geschlossener Kreislauf genauso wie bei der guten alten Mehrwegflasche.
(Fabian Gramling [CDU/CSU]: Wir brauchen nur noch die Menge!)
Das alles eint, dass es ein enormes Potenzial hat: 600 Millionen Tonnen Handelsvolumen bis 2050 und 2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze. Die Wertschöpfung der Kreislaufwirtschaft allein in Deutschland wird ja schon auf 315 000 Arbeitsplätze und 11,6 Milliarden Euro Umsatz beziffert,
(Beifall des Abg. Andreas Rimkus [SPD])
und da ist der hier in Rede stehende Bereich noch gar nicht berücksichtigt. Laut einer Studie des Landes NRW wird ein Potenzial von 600 000 Arbeitsplätzen gesehen; auch da ist dieser Bereich noch gar nicht berücksichtigt. Hier bestehen also Potenziale für die Wertschöpfung in Europa und insbesondere in Deutschland.
Und schon heute schauen sich die Investoren um: Wer produziert nachhaltig? Wer tut es nicht? Es gilt, jetzt die richtigen Entscheidungen zu treffen, um Vorreiter zu werden. Wir beschleunigen das Genehmigungsverfahren, indem wir in § 13 WasserstoffBG den Zeitraum für die Prüfung der Vollständigkeit der Unterlagen auf maximal 30 Tage begrenzen. Es ist enorm wichtig, dass das nicht mehr ewig liegen bleibt, sondern dass man endlich in die Gänge kommt. Wir beschleunigen die Vergabeverfahren. Wir haben einen zentralen Gerichtsort festgelegt. Das ist ganz wichtig, weil viele Verfahren sonst – das kennen wir schon aus dem Bereich der Wind- und der Solarenergie – auf den verschiedenen Gerichtsebenen festhängen. Wir privilegieren und schaffen Klarheit bei den Bundesverkehrswegen. Das wird der Wasserstoffbooster, den wir brauchen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein kritischer Hinweis sei aber noch gestattet: Ich habe eben davon gesprochen, dass die organische Chemie alles mit C umfasst. Aber da gibt es noch etwas, was synthetisch und biogen herzustellen ist und was sich super eignen würde. Was wäre das nur? Ein kleiner Tipp: Es ist das zweitmeistverschiffte Flüssigprodukt auf den Meeren. In Deutschland gibt es dafür die größte Infrastruktur Europas. Wir haben bestehende Speicher dafür. Import und Transport sind kein Problem, genauso wenig wie die synthetische Herstellung. Deutschland ist sogar Technologieführer. Die Rede ist von CH4O, Methanol. Methanol hat nur ein Problem: Egal ob wir es fossil, biogen, synthetisch oder hybrid herstellen, wir betrachten es immer als Fossil. Deswegen rufe ich zu mehr Pragmatismus auf. Lasst uns diskutieren! Lasst uns offen und lösungsorientiert darüber sprechen! Es muss klimaneutral sein, es muss defossilisiert sein, und es muss günstig sein. Aber ich weiß: Das ist bei Kollege Rimkus in guten Händen, der für uns verhandeln wird.
In diesem Sinne, lieber Kollege: Come on, let’s twist again, baby!
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7613640 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 179 |
Tagesordnungspunkt | Rahmenbedingungen für den Wasserstoffhochlauf |