Nina WarkenCDU/CSU - COVID-19-Rehabilitierungsgesetz
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie hat zwischen März 2020 und Mai 2024 weltweit 700 Millionen Infektionen verursacht und 7 Millionen Menschen aus unserer Mitte gerissen. Allein in Deutschland starben in diesem Zeitraum über 180 000 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus.
Der Aphoristiker Erich Limpach schrieb einst: „Der Völker Leid: Vergeßlichkeit.“ Ja, die Menschen neigen dazu, schnell zu vergessen, und deswegen möchte ich besonders Sie, Kollegen zu meiner Rechten, gerne noch einmal an die Situation im Frühjahr 2020 erinnern.
In einer Meldung vom 29. März 2020, ganz zu Beginn der Pandemie, schrieb der „Spiegel“:
(Stephan Brandner [AfD]: Der „Spiegel“? Herzlichen Glückwunsch!)
„In einem Wolfsburger Heim für Demente hat sich fast die Hälfte der Bewohner mit dem Coronavirus infiziert. Während Angehörige aus der Ferne die ersten Toten betrauern, kämpft die Belegschaft um jedes Leben.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 48 Menschen starben damals innerhalb weniger Tage an den Folgen der Virusinfektion. Jeder von uns hat sicher andere Bilder und Nachrichten im Kopf, die er mit den Coronajahren verbindet. Für mich stehen ganz besonders diese 48 Toten des Hanns-Lilje-Heims im Vordergrund – 48 Menschen, die gestorben sind, ohne dass ihre Angehörigen sich verabschieden konnten, ohne letzte Worte und ohne eine letzte Umarmung.
Es sind Bilder und Nachrichten wie diese, die es den Entscheidungsträgern schwer gemacht haben, die damals einschränkenden, aber schier überlebenswichtigen Maßnahmen zu ergreifen:
(Stephan Brandner [AfD]: Keine Evidenz außerhalb des Arbeitsbereichs! RKI!)
Maskenpflicht – für viele lästig –, Ausgangs- und Kontaktverbote, die für die Leute neu und befremdlich waren. Aber während Sie, Kollegen von der AfD, den Menschen stets nur das Allerschlechteste unterstellen, unterstelle ich, dass dies niemandem leichtgefallen und nur nach intensivem Abwägen und nach Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit erfolgt ist.
(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])
Ich erinnere mich auch noch sehr gut an unsere wirklich ausführlichen Beratungen hier in diesem Haus; denn jede Coronamaßnahme war ein Eingriff in unsere Freiheit – in die Freiheit, tun und lassen zu können, was wir wollen. Die Freiheit nimmt sowohl in unserer Rechtsordnung als auch in unserem Werteverständnis einen hohen Stellenwert ein, und das zu Recht.
(Stephan Brandner [AfD]: Ihr macht aber das Gegenteil!)
Denn unser Grundgesetz – die Basis unseres Zusammenlebens – ist nach einer Zeit der absoluten Unfreiheit entstanden. Niemals sollte sich der Fall wiederholen, dass unser Staat unverhältnismäßig stark in die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger eingreift.
(Zurufe der Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD] und Kay-Uwe Ziegler [AfD])
Deshalb haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes auch hohe Hürden für Eingriffe in unsere Freiheitsrechte vorgesehen.
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Der Staat darf Freiheitsrechte nicht willkürlich und nicht mehr als notwendig einschränken. Und genau das war der Balanceakt während der Coronazeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir sicher: Ob Bundes- oder Landesregierung, ob Kanzleramt, ob Parlament, ob Robert-Koch-Institut oder Ethikrat: Niemand hat sich in dieser schweren Zeit seinen Rat, seine Einschätzung oder seine Entscheidung leichtgemacht.
(Beifall der Abg. Katrin Helling-Plahr [FDP])
Die Einzigen, die das immer wieder behaupten, sind Sie von der AfD,
(Zuruf des Abg. Kay-Uwe Ziegler [AfD])
und Sie tun das, weil Sie ganz genau wissen, dass diese drei Jahre eine harte Belastung für viele Bürgerinnen und Bürger waren, eine entbehrungsreiche und belastende Zeit.
Von Ihrer Seite hören wir heute leider nichts Neues in den Anträgen – wie immer. Mit ähnlichen wie dem heutigen tingeln Sie im Moment ja auch durch die Landesparlamente. Nichts Neues, nichts Überraschendes: Das entspricht ja auch der Haltung, die Sie selbst in der Coronazeit an den Tag gelegt haben.
(Stephan Brandner [AfD]: Wir lagen damals immer richtig, Frau Warken! Und Sie lagen damals immer falsch!)
Ich kann nur an Ihren Umgang mit den Coronamaßnahmen hier im Haus und die Weigerung Einzelner von Ihnen, Schutzmaßnahmen einzuhalten, erinnern.
(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Welche denn?)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr stehen in einem ganz besonderen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zum Staat. Dieses Treueverhältnis begründet auch Pflichten, die weiter gehen als diejenigen in einem reinen Arbeitsverhältnis. Wenn Sie Soldat der Bundeswehr sind, dann gilt für Sie das Soldatengesetz. Jedem, der sich für den Dienst an der Waffe entscheidet, muss das klar sein, und es ist ihm in der Regel auch klar. Die soldatische Kernpflicht ist die Pflicht zum treuen Dienen, und diese Pflicht beinhaltet eben auch, die eigene Gesundheit zu erhalten und leistungsfähig zu bleiben.
Zu diesen besonderen Pflichten gehört daher auch – und das schon vor Corona –, dass sich Soldatinnen und Soldaten gegen eine ganze Reihe von Krankheiten impfen lassen – dazu gehören zum Beispiel Hepatitis, Masern, Röteln, Mumps und Influenza –, sofern es keine gesundheitlichen Gründe gibt, die dagegensprechen. Die Pflichten sind hinlänglich bekannt. Eine Coronaimpfpflicht ist also nichts Unvergleichbares für Soldaten gewesen.
Aber – und das haben Sie vielleicht vergessen – das Coronavirus war 2021 neu, und dadurch hatten die Menschen eben noch kein immunologisches Gedächtnis, was diesen Erreger angeht. Es herrschte eine erhöhte Ansteckungsgefahr. Die Erkrankung verlief mitunter sehr viel schwerer als die saisonale Grippe. Die Lage war also ernst, und deshalb hat der Staat Maßnahmen ergriffen.
Die Entscheidung über die Aufnahme der Pflicht zu einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in den Katalog der Schutzimpfungen für die Streitkräfte wurde gemeinsam von Soldatenvertretern und Verteidigungsministerium in einem Ausschuss empfohlen. Es wurde also nichts von oben aufoktroyiert.
Die Impfpflicht wurde dann unter dem Eindruck hoher Inzidenzen und Todesraten eingeführt. Nur ein paar Tage vor der Entscheidung lag die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Soldatinnen und Soldaten mit 1 174 Fällen auf einem neuen Höchststand.
Trotzdem ist das Ganze nicht auf Gegenliebe gestoßen; das wissen wir. Gerichte wurden damit beschäftigt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Folge vor knapp zwei Jahren in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, dass die Aufnahme der Covid-19-Impfung rechtmäßig war. Und so läuft es halt bei uns, werte Kollegen, in der Gewaltenteilung: Der Staat ordnet an, der Betroffene wehrt sich, Gerichte überprüfen und entscheiden. Es hat nämlich schon einen Sinn, dass sich Exekutive, Legislative und Judikative die Aufgaben teilen.
Auch an dieser Stelle haben wir aus unserer Geschichte gelernt. Es gibt Fälle, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei denen sich unser Verständnis von Sitte, Recht und Moral über die Jahre verändert hat. Da haben wir als Gesetzgeber dann auch korrigierend eingewirkt, aber nur in absoluten Ausnahmen, und eine solche Ausnahme liegt hier mit Sicherheit nicht vor.
Neben dem Antrag bringen Sie, liebe Kollegen, noch einen Gesetzentwurf ein, der eine generelle strafrechtliche Rehabilitierung von Bürgerinnen und Bürgern vorsieht, die gegen Verhaltenspflichten zur Verhinderung der Verbreitung der Covid-19-Krankheit verstoßen haben. Straf- und Bußgeldverfahren sollen eingestellt und Geldstrafen zurückgezahlt werden.
(Stephan Brandner [AfD]: Genau!)
Es überrascht wohl keinen außerhalb Ihrer Reihen, dass so was von Ihnen kommt. Deswegen kann man es kurz machen: Der Erlass von Schutzmaßnahmen während der Pandemie war weder unrechtmäßig noch unwissenschaftlich.
(Stephan Brandner [AfD]: Er war beides! – Martin Reichardt [AfD]: Es war falsch!)
Grundrechte der Menschen wurden eingeschränkt, ja, aber eben nicht wahllos, sondern unter Abwägung von Grund- und Freiheitsrechten.
(Stephan Brandner [AfD]: Es war falsch! – Martin Reichardt [AfD]: Lauter Lobbyisten!)
Diesen Umstand blendet die AfD ja regelmäßig aus, und niemand von uns erwartet auch etwas anderes.
(Leni Breymaier [SPD], an die AfD gewandt: Es sind zwölf anwesend bei eigenem Antrag! Das ist so beschämend da drüben!)
Mit Ihrem Gesetzentwurf streuen Sie wie immer Halb- und Unwahrheiten wie die von einer fehlenden wissenschaftlichen Unabhängigkeit des RKI
(Stephan Brandner [AfD]: Es ist erwiesen! Die Weisungen sind erwiesen! – Weitere Zurufe von der AfD)
und einer Ineffektivität von FFP2-Masken und Covid-19-Impfstoffen. Mit verkürzten Darstellungen und aus dem Zusammenhang gerissenen Äußerungen schüren Sie erneut Unfrieden innerhalb der Gesellschaft und ein Misstrauen der Bevölkerung gegenüber unserem Staat. Das machen Sie, seit Sie hier in den Bundestag eingezogen sind.
Ja, rückblickend werden wir sicherlich Maßnahmen zu bewerten haben. Wir haben aus der Pandemie zu lernen, aber sicherlich nicht so, wie Sie es vorschlagen. Deswegen lehnen wir Antrag und Gesetzentwurf ab.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7614306 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 182 |
Tagesordnungspunkt | COVID-19-Rehabilitierungsgesetz |