05.07.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 182 / Zusatzpunkt 16

Bodo Ramelow - Aktuelle Stunde: Kappung von Bahnverbindungen

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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war der 29. Mai 2009, als ich hier als Bundestagsabgeordneter meine letzte Rede gehalten habe zum Thema Schuldenbremse.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das waren noch Zeiten!)

In meiner Rede vor der Abstimmung über die Schuldenbremse habe ich damals davor gewarnt, die Schuldenbremse in der Form, wie sie zur Abstimmung stand, anzunehmen,

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Gut, dass wir es anders gemacht haben!)

weil sie als Investitionsbremse langfristig die Infrastruktur unseres Landes in schwere Gefahr bringt.

(Beifall bei der Linken)

Ich habe damals darauf hingewiesen und finde es bedauerlich, dass wir es bis heute nicht geschafft haben, das Thema Schuldenbremse umzuwandeln in eine Investitionsoffensive, zum Beispiel bei der Deutschen Bahn. Deswegen habe ich es gern übernommen, heute die Redeminuten der Gruppe Die Linke auszufüllen.

(Stephan Brandner [AfD]: Warum haben die eigentlich neun Minuten?)

Für uns in Thüringen – Thüringen mag Herrn Brandner und die AfD nicht interessieren –

(Stephan Brandner [AfD]: Ich komme da her!)

ist es eine wichtige Geschichte, dass der Fernverkehr von Gera in Richtung Westdeutschland mit dem Nahverkehr auf der Saalbahn, den wir bestellt und aus Regionalisierungsmitteln finanziert haben, kombiniert werden kann mit dem Franken-Express. Ich war froh, als die Deutsche Bahn entschieden hatte, dass diese Verbindung jetzt auf IC-Doppelstock-Paritäten umgestellt werden kann. Der Verlust der Interregio-Angebote war ein schwerer Fehler.

(Beifall bei der Linken)

Jetzt sind wir dabei, mit IC-Angeboten wieder den Ostthüringer Raum zu erschließen.

In den letzten Tagen kam auf einmal das Gerücht auf, dass genau diese Züge vor der Streichung stehen würden. Der Bahnvorstand hat das jetzt zwar zurückgewiesen und gesagt, das seien nur Spielereien, die in die Welt getragen worden sind. Das tatsächliche Problem, das dahintersteckt, ist, dass die neue InfraGO die Schienenmaut erhöht hat. Damit stellt sich die Frage, ob diese Züge sich noch kaufmännisch ausreichend für die Deutsche Bahn rechnen. Damit kommt es zu einer völlig anderen Drucksituation. Das heißt: Aus kaufmännischer Sicht kann ich die Deutsche Bahn verstehen, wenn sie jetzt sagt: Wir müssen jeden einzelnen Zug wieder durchrechnen.

Andererseits, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir als Freistaat Thüringen – deswegen will ich das gerne hier im Deutschen Bundestag vortragen – der Deutschen Bahn angeboten, dass auf der Parität, auf der Saalbahn die Tarifintegration von uns finanziert wird. Das heißt, dass wir das Angebot „Fernverkehr Deutsche Bahn“ um das Nahverkehrsangebot ergänzen, sodass auch Inhaber eines Deutschlandtickets auf dieser Strecke fahren können.

(Beifall bei der Linken)

Das hat die Deutsche Bahn abgelehnt.

Daher habe ich mich jetzt an den Bahnvorstand gewendet und gesagt: Ich verstehe nicht, dass Sie einerseits sagen: „Diese Züge transportieren nicht genug Menschen“ und andererseits ablehnen, dass wir es aus unseren Regionalisierungsmitteln finanzieren, dass die Menschen zumindest von Saalfeld bis nach Jena mit dem Deutschlandticket fahren können. Das würde die Attraktivität auf diesen Paritäten deutlich erhöhen. Deswegen sage ich: Es ist eben nicht einfach nur ein Rechenmodell, was da durchgeführt wird, sondern da entsteht gerade eine gefährliche Schieflage.

Die Frage ist: Wie ist denn die InfraGO-Gesellschaft gebildet worden? Als die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag aufgenommen hat: „Es wird eine Infrastrukturgesellschaft Schiene der Deutschen Bahn gegründet“, habe ich das begrüßt. Dass sie aber als Aktiengesellschaft ausgestattet und es ausdrücklich eingetragen worden ist, dass Gewinne an den Bundeshaushalt abzuführen sind, ist das Gegenteil einer klugen Entscheidung.

(Beifall bei der Linken)

Eigentlich müsste daraus eine Investitionsgesellschaft entstehen. Das heißt: Alles Geld, was auf der Schiene verdient wird, muss auch in die Schiene reinvestiert werden.

(Michael Donth [CDU/CSU]: Das ist doch der Fall!)

Das heißt: Wir brauchen endlich ein langfristiges Bekenntnis, dass die Infrastrukturgesellschaft in die Lage versetzt wird, langfristig Aufträge auszulösen. Ja, ich habe mir heute Morgen angeguckt, worauf sich die Koalition geeinigt hat. Die Sonderinvestitionen in die Bahn sind gesichert. Ausdrücklich Hochachtung dafür!

(Michael Donth [CDU/CSU]: Im Entwurf!)

Ich will aber anmerken, dass auch die Gelder, die jetzt gesichert sind, nicht ausreichend sind, weil sie keine Anschlussfinanzierung haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Linken)

Deswegen müssen wir auch über etwas anderes reden. Wenn Sie mal mit der Bahn darüber ins Gespräch kommen – die Bahnkundigen unter Ihnen werden es wissen –, erfahren Sie: Wenn Sie ein Zugsanierungsprogramm aufsetzen und mit einem AHM 800-R oder mit einer Gleisschotterbettungsreinigungsmaschine – ein Wort mit 39 Buchstaben –, also mit Zügen, die 400 bis 700 Meter lang sind, anfangen, die Schienen zu sanieren, dann brauchen Sie vorab die Zusage, dass diese über mehrere Jahre hinweg in Deutschland eingesetzt werden – es gibt eine deutsche Firma, die zwei dieser Züge hat, aber kein einziger ist in Deutschland im Einsatz; sie sind im Moment von Österreich und Dänemark beauftragt und werden dort über mehrere Jahre im Einsatz sein –, weil die Rekapitalisierungskosten dieser großen Anlagen sich nur rechnen, wenn sie über mehrere Jahre hinweg das Schienensystem instand setzen und durchsanieren.

Es ist richtig, dass man sagt: Das Kernsystem muss jetzt in Ordnung gebracht werden. Aber es wäre fahrlässig, wenn die Infrastrukturgesellschaft nur für ein oder zwei Jahre die Gelder hätte und die Jährlichkeit am Ende dazu führen würde, dass die Anschlussfinanzierung nicht ausreichend ist, um eine derartige Technik auf lange Distanz in Deutschland einzusetzen.

(Beifall bei der Linken)

In dem Zusammenhang darf ich erwähnen: 60 Prozent aller Schaltwerke – das sind die Knotenpunkte – sind immer noch analog ausgerichtet. Das heißt: 60 Prozent der Schienensteuerung erfolgt über analoge Anlagen. Sie sind alle in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gebaut worden. Bei allen steht jetzt an, entweder ausgetauscht oder dauernd repariert zu werden. Wenn wir uns einen Teil der Probleme angucken, stellen wir fest: Das ist eine ständige Reparatur an Anlagen, die eigentlich komplett durch Digitalanlagen ersetzt werden müssten.

Das heißt: Wenn wir jetzt wirklich Geld in die Hand nehmen – das wäre meine Bitte –, dann wandeln Sie die Infrastrukturgesellschaft InfraGO – GO: gemeinwohlorientiert – in eine Verantwortungsgesellschaft um, die in der Lage ist, das Geld dauerhaft einzusammeln.

(Beifall bei der Linken)

Nehmen Sie die Gelder, die dann verdient werden, sodass man wirklich die ganze Strecke sanieren kann. Sorgen Sie dafür, dass Investitionen auf zehn Jahre angelegt sind!

Wenn Sie versuchen, das Bahnsystem jetzt in Einjährigkeit oder Zweijährigkeit in Ordnung zu bringen, werden alle Beteiligten scheitern. Das wird dazu führen, dass sich immer mehr Menschen von dem System Bahn abwenden, während sie die letzten Versuche unternehmen, auf der Schnellfahrstrecke von Berlin nach München zu reisen.

Das ist eine unglaubliche Investition des deutschen Staates. Wir in Thüringen profitieren davon; der Erfurter Hauptbahnhof und die Stadt Erfurt profitieren absolut. Jena war der Verlierer dabei. Deswegen braucht Jena die IC-Doppelstock-Parität in Ostthüringen. Aber dass auf dieser Schnellfahrstrecke bisher kein einziger Frachtzug gefahren ist, das halte ich für einen unglaublichen Witz,

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Fabian Gramling [CDU/CSU])

also dass man diese Strecke nicht nutzt, obwohl man sie mit der ETCS-Steuerung ausgestattet hat.

Und an der Stelle, meine Damen und Herren, wird es für uns Länder unheimlich problematisch. In dem neuen Sanierungsprogramm steht drin, dass die Strecke von Frankfurt–Fulda nach Erfurt–Eisenach umgebaut, ausgebaut und modernisiert wird; das begrüße ich sehr. Wenn die auf ETCS umgestellt wird, können wir mit dem Regionalverkehr nicht mehr darauf fahren, weil alle unsere Regionalverkehre keine ETCS-Steuerung haben und niemand das finanziert. Gebt ihr uns die Regionalisierungsmittel dafür? Bezahlt ihr sie?

(Michael Donth [CDU/CSU]: Sind die Länder nicht für den Nahverkehr zuständig?)

– Nein, sind sie nicht. Die Zuständigkeit ist übertragen worden. Wir haben die Regionalisierungsmittel dafür gekriegt, damit wir den Nahverkehr finanzieren.

(Michael Donth [CDU/CSU]: Im Gesetz steht was anderes!)

– Verzeihen Sie, das ist die Art und Weise, wie miteinander umgegangen wird: die Schuldenbremse einführen und anschließend die Länder damit alleine lassen, wenn sie auf den Strecken nicht mehr fahren können.

(Beifall bei der Linken – Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Oah! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Sie erzählen Märchen! Märchenerzähler!)

Das ist genau der Grund, warum ich gesagt habe, ich würde das gerne mal im Deutschen Bundestag ansprechen.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Sie haben schon Regionalisierungsmittel bekommen, als es noch keine Schuldenbremse gab!)

Sie sagen einfach: Bezahlen Sie es. – Wir bezahlen im Moment schon den Fernverkehr. Damit Gera überhaupt noch an den Fernverkehr angeschlossen ist, zahlen wir das aus Regionalisierungsmitteln. Unser Geld, das Sie uns zur Verfügung gestellt haben, setzen wir ein für Themen, die Ihre Bahn nicht mehr erfüllt. Und dann zeigen Sie mit dem Finger auf uns und sagen: Ja, dann gebt doch noch mehr Geld aus.

Ich will es noch mal sagen: Wenn wir die Umstellung der Bahn auf ETCS machen, dann brauchen wir eine gemeinsame Investitionsoffensive, die wir auch gemeinsam tragen können.

(Beifall bei der Linken)

Versetzen Sie mich in die Lage, dass ich meinen Teil dazu beitragen kann; dann erfülle ich das gern. Was aber nicht geht, ist, uns die Schienen umzubauen und anschließend zu sagen: Wie ihr jetzt mit eurem Fuhrpark damit klarkommt, interessiert uns nicht.

(Jürgen Braun [AfD]: Die Redezeit ist überschritten! Lange überschritten!)

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine letzte Bemerkung: 3 Kilometer Höllentalbahn fehlen uns. Damit würden wir 300 Lkws jeden Tag von der Straße kriegen.

(Beifall bei der Linken – Jürgen Braun [AfD]: Kommen Sie zum Schluss!)

Wann kriegen wir die 3 Kilometer Schiene? Und wann kriegt Schleusingen den Anschluss – eine Weiche –, um das Glaswerk an den Schienenstrang anzuschließen?

(Abg. Stephan Brandner [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Machen wir jetzt Wahlkreisarbeit hier?)

Ich nehme an, Herr Brandner, das war jetzt die Meldung zu einer Frage.

(Stephan Brandner [AfD]: Ja! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das ist nicht möglich bei einer Aktuellen Stunde!)

Das ist in Aktuellen Stunden einfach nicht möglich.

(Stephan Brandner [AfD]: Er hatte neun Minuten! Da dachte ich, ich frage mal! Gut!)

Aber ich nutze die Möglichkeit, darauf hinzuweisen: Herr Ministerpräsident, Sie wissen aus Ihrer Erinnerung noch, was passiert, wenn Sie noch 30 Sekunden weiterreden?

Ich hoffe, dass mir nichts passiert.

(Heiterkeit und Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nein.

Ich wollte mich einfach nur herzlich bedanken.

Ihnen passiert überhaupt nichts. Aber Sie wissen, wie das mit den Redezeiten der Regierungsmitglieder und auch der Bundesratsmitglieder ist. Ich mache nur darauf aufmerksam.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Stoppsignale für Ramelow!)

Liebe Frau Präsidentin, ich war mit meinen Ausführungen am Ende.

(Beifall des Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU])

Danke für die Aufmerksamkeit. Bitte lassen Sie uns gemeinsam in die Bahn investieren!

(Beifall bei der Linken)

So, ein kleiner Hinweis zum Thema Redezeiten: Es obliegt tatsächlich dem Präsidium, das hier einzuschätzen.

Es spricht Isabel Cademartori für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7614317
Wahlperiode 20
Sitzung 182
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Kappung von Bahnverbindungen
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