Boris Pistorius - Verteidigung
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es geht heute um nicht mehr und nicht weniger als um unsere Sicherheit, um die reale Bedrohungslage in unserer unmittelbaren Nachbarschaft und ja, auch darüber hinaus, und es geht um glaubhafte Abschreckung. Es geht um den Kernauftrag der Bundeswehr, es geht um Landes- und Bündnisverteidigung, und vor allem geht es um die bestmögliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten, der Menschen, die jeden Tag bereit sind, für unsere Sicherheit, wenn es darauf ankommt, ihr Leben zu riskieren. Für diesen Dienst, meine Damen und Herren Abgeordneten, hat die Truppe unseren allergrößten Respekt und unsere Anerkennung verdient, und ihnen allen gebührt unser Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Steffen Janich [AfD])
Wir stehen in der Verantwortung, die Bundeswehr so auszustatten, dass sie ihren Auftrag erfüllen kann: Ja, das stimmt. Sehr geehrter Herr Abgeordneter Wadephul, Sie wissen, dass ich Sie schätze. Ich freue mich über Ihr Engagement als Offizier der Reserve. Aber Sie sind, wie einige andere auch, seit 2009 Mitglied des Bundestages und damit auch Mitglied der CDU-Fraktion der vergangenen Jahre.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: CDU/CSU!)
Und erst leisten Sie einen Beitrag über viele Jahre, die Bundeswehr herunterzuwirtschaften und materiell an die Wand zu fahren,
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Man merkt, dass Sie in der Landespolitik waren, Herr Pistorius!)
um dann nach drei Jahren unserer Anstrengungen sich hinzustellen und sie schlechtzureden als eine Fassadenarmee. Sie sollten sich wirklich schämen!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Nie haben Sie so viel Geld zur Verfügung gestellt, wie wir das jetzt tun, meine Damen und Herren.
(Zuruf des Abg. Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU])
Wir schließen die Fähigkeits- und Materiallücken, die Sie gerissen haben, meine Damen und Herren.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Nee, nee! Fragen Sie mal bei Herrn Scholz nach!)
Im kommenden Jahr stehen dafür aus dem Einzelplan 14 53,25 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind rund 1,3 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr und ja, weniger, als ich gefordert habe.
(Nina Warken [CDU/CSU]: Das ist Ihre Verantwortung!)
Der Entwurf des Wirtschaftsplans 2025 zum Sondervermögen sieht weitere Haushaltsmittel in Höhe von rund 22 Milliarden Euro vor. Insgesamt stehen damit über 75 Milliarden Euro für unsere Sicherheit und unsere Verteidigung zur Verfügung. Suchen Sie diese Größenordnung einmal in der Geschichte der Bundesrepublik!
(Nina Warken [CDU/CSU]: Die Stimmung in der Truppe ist trotzdem schlecht!)
Wir werden in diesem Jahr erstmalig seit über 30 Jahren – Sie haben das auch nie geschafft – 2 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU])
Sie alle wissen, warum das so wichtig ist: Es ist ein Versprechen an unsere Bundeswehr, an die Soldatinnen und Soldaten und die Beschäftigten. Es ist aber auch ein Versprechen an unser aller Sicherheit hier in unserem Land, in Deutschland, die unserer Partner sowie an das Transatlantische Bündnis. Wir festigen damit das Vertrauen, dass wir füreinander einstehen, wenn es darauf ankommt, meine Damen und Herren.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder eine Fassadenrede! – Gegenruf des Abg. Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ja nur neidisch!)
Dieser internationale Schulterschluss ist in Zeiten, in denen von so vielen Krisen und Konflikten die Rede ist, von herausragender Bedeutung. Und angesichts dieser Krisen und Konflikte, meine Damen und Herren, ist aber auch klar: Das wird nicht reichen. Wir werden in Zukunft mehr Geld ausgeben müssen, das heißt auch mehr als die 2 Prozent. Daran, meine Damen und Herren, führt kein Weg vorbei.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Doch, Ihr Haushalt!)
2 Prozent dürfen nicht das Ziel sein. Sie sind das Minimum, wenn wir unsere Sicherheit in den nächsten Jahren ernst nehmen.
Wir haben im vergangenen Jahr sehr viel erreicht und die Zeit und das Geld genutzt, um wichtige Projekte für die Bundeswehr anzustoßen und voranzubringen. Die Zahl der 25-Millionen-Euro-Vorlagen im letzten und in diesem Jahr muss ich hier nicht wieder zitieren. Wir haben die Prozesse für die Beschaffung von Rüstungsgütern in einer Art und Weise verkürzt und beschleunigt wie noch niemand vor uns, meine Damen und Herren. Und wir haben sie den Anforderungen an die Zeitenwende angepasst. Etwas, woran Sie und meine Vorgänger, insbesondere der Union, regelmäßig gescheitert sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)
Die Tatsache, dass wir in diesem Jahr – ich nenne die Zahl jetzt doch noch einmal – bereits vor der Sommerpause 42 große Beschaffungsvorlagen gemeinsam mit dem Parlament anstoßen konnten,
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Die können Sie doch alle wieder einsammeln!)
zeigt ebenfalls, wie schnell und effizient wir vorankommen. Unter anderem haben wir 105 Kampfpanzer Leopard 2 A8 und zwei weitere Fregatten der Klasse 126 bestellt.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Alles nicht durchfinanziert!)
– Wenn Sie früher Fregatten bestellt hätten, hätten wir heute eine besser ausgestattete Marine.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zurufe des Abg. Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU])
Luftverteidigungssysteme Patriot, Skyranger, Kommunikationssatelliten, diverse Munition: alles Dinge,
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Bleiben Sie bei der Wahrheit!)
die Sie über 15 Jahre verschlafen haben; die holen wir jetzt im Speed-Tempo nach, meine sehr geehrten Damen und Herren. Darauf können Sie sich verlassen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Florian Hahn [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)
Außerdem arbeiten wir gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium und unseren Partnern in der Industrie daran, unsere Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu stärken und resilienter zu machen. Wir müssen Wirtschaft und Industrie so aufstellen, dass sie ihre Produktions- und Lieferkapazitäten im Ernstfall schnell erhöhen und anpassen können an die Bedarfe. Auch hier müssen wir Tempo machen.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Deutschlandtempo!)
Die aktuelle Bedrohungslage erfordert das. Und noch einen Satz: Ich war der erste Bundesminister der Verteidigung seit vielen Jahren, der wieder persönlich mit Vertretern der Rüstungsindustrie gesprochen hat, und tue das regelmäßig. Meine Vorgängerinnen und Vorgänger haben sich gescheut, das zu tun. Fragen Sie mal, warum!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Henning Otte [CDU/CSU]: Nicht alle!)
Die Bedrohungslage ist ein Stichwort auch für die Brigade, die wir dauerhaft an der NATO-Ostflanke, genauer gesagt in Litauen, stationieren werden. Ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik und für die Bundeswehr, aber essenziell, wenn es um wirksame Abschreckung und Wahrnehmung unserer Bündnisverpflichtungen geht. Und schon wenige Monate nach der Entscheidung konnten wir bereits die ersten Männer und Frauen als Vorkommando nach Litauen schicken. Aus diesem erwächst nun über die nächsten Wochen ein vollwertiger Aufstellungsstab, und im Frühjahr wird der Brigadestab stehen.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Sie wissen, das ist nicht finanziert! Das steht auf tönernen Füßen!)
Mit dem „Artikelgesetz Zeitenwende“, das voraussichtlich im November ins Parlament geht, schaffen wir gesetzliche Voraussetzungen, um die personelle Einsatzbereitschaft zu stärken und den Dienst in der Bundeswehr insgesamt noch attraktiver zu machen. Ich danke ausdrücklich dem Finanz- und dem Innenministerium, die hier hervorragend mit uns bei der Erstellung dieses Gesetzentwurfes zusammengearbeitet haben.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zu dem, was wir hier regeln, zählen Maßnahmen von Änderungen im Arbeitszeitrecht bis zu Alarmierungsvergütungen. Eine schnelle und umfassende Aufwuchs- und Durchhaltefähigkeit im Ernstfall sind von grundlegender Bedeutung. Diese bereits im Frieden glaubhaft anzulegen, ist ein zentraler Baustein unserer Abschreckung. Und mit meinem Vorschlag für den neuen Wehrdienst, Herr Wadephul, schaffen wir dafür die dringend nötigen Grundlagen, die übrigens von Ihrer Bundesregierung zerstört wurden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wäre nicht nötig gewesen!)
Sie haben die Wehrerfassung und die Wehrüberwachung über den Jordan gehen lassen. Sie haben dafür gesorgt, dass ich heute nicht wüsste, wen wir mobilisieren können, wenn es zum Ernstfall käme. Das steht auf Ihrem Bierdeckel, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir bauen jetzt die dringend erforderlichen Strukturen und Kapazitäten zur Wehrerfassung und Wehrüberwachung wieder auf. Denn wir müssen wissen, wen wir heranziehen können und wie geeignet diese Personen sind. Dafür fehlen derzeit die Grundlagen. Wir sind dadurch besser vorbereitet für den Ernstfall, für einen schnellen Aufwuchs und eine höhere Durchhaltefähigkeit unserer Bundeswehr.
Und nicht zuletzt, meine Damen und Herren, setzen wir die größte Organisationsreform der Bundeswehr seit mehr als zehn Jahren um. Die Bedrohungslage bleibt auf absehbare Zeit sehr ernst. Wir müssen davon ausgehen, dass die russische Armee bis zum Jahr 2026 um mehr als 30 Prozent auf 1,5 Millionen Soldaten aufwachsen wird.
(Zuruf des Abg. Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU])
Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und kann seine Streitkräfte vermutlich innerhalb weniger Jahre so aufstellen, dass es NATO-Territorium angreifen könnte. Wir setzen alles daran, unsere Verteidigungsfähigkeit zu stärken
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Nein! Quatsch! Nicht mit diesem Haushalt! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Hellmich [SPD]: Unsinn!)
und die Ukraine gleichzeitig in ihrem schweren Verteidigungskampf gegen Russland weiter zu unterstützen.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Minister! Sie können das doch selber nicht glauben!)
Wo waren eigentlich Ihre lautstarken Forderungen nach der Unterstützung der Ukraine in der heißen Wahlkampfphase in den ostdeutschen Bundesländern, meine Damen und Herren von der CDU/CSU?
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Immer! Immer da, Herr Pistorius! Immer da! – Gegenruf der Abg. Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Noch in diesem Jahr werden wir Kiew zum Beispiel vier weitere IRIS-T-Systeme, fünf weitere Gepard-Flugabwehrpanzer, einen Großteil der in der vergangenen Woche zugesagten 12 Panzerhaubitzen, Kampfdrohnen, mehrere Tausend Schuss Artillerie und Panzermunition, bis zu 40 Kampfpanzer Leopard 1 A5 und 20 Schützenpanzer Marder liefern. Diese Liste, meine Damen und Herren, schreiben wir auch im nächsten Jahr fort.
Es bleibt dabei: Wir sind ein verlässlicher Unterstützer der Ukraine,
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie streichen 50 Prozent!)
und Deutschlands Unterstützung macht einen Unterschied. Das haben wir Präsident Selenskyj am vergangenen Freitag in Ramstein und mein Kollege Umerow letzte Woche Mittwoch hier in Berlin noch einmal nachdrücklich bestätigt. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass wir in Zukunft mehr Mittel im Einzelplan 60 benötigen, um die Unterstützung so tatkräftig fortsetzen zu können.
Meine Damen und Herren, Ukraineunterstützung, NATO-Verpflichtungen, Instandhaltung, Personal und vor allem dringend nötige weitere Rüstungsinvestitionen –
(Zuruf des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU])
die Liste ist lang, und sie zeigt: Wir müssen auf absehbare Zeit mehr Geld für unsere Sicherheit in die Hand nehmen.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: In absehbarer Zeit? Was heißt: in absehbarer Zeit? Wann denn? – Gegenruf der Abg. Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
An dieser Wahrheit führt kein Weg vorbei. Um unsere Bundeswehr für die Zukunft, über das Sondervermögen hinaus, nachhaltig aufzustellen, muss der Verteidigungsetat, Einzelplan 14, daher weiter steigen. Das gilt für die kommenden Jahre,
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Die werden schon kommen!)
und das gilt erst recht für die Zeit ab 2028, wenn das Sondervermögen aufgebraucht sein wird.
Dafür brauchen wir Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten. Zeigen Sie, dass Sie für die Frauen und Männer unserer Bundeswehr einstehen,
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Ihr Geschwafel reicht nicht! Geld muss her!)
dass wir ihnen gemeinsam das geben, was sie für ihren Dienst – die zentrale Zukunftsaufgabe, nämlich unser aller Sicherheit – brauchen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der Kollege Rüdiger Lucassen, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7614931 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 184 |
Tagesordnungspunkt | Verteidigung |