Carmen WeggeSPD - Justiz und Bundesverfassungsgericht
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren!
(Fabian Jacobi [AfD]: Kindergarten! Geht das schon wieder los! – Weitere Zurufe von der AfD)
– Sie schreien da jetzt gerade. Also, für alle, die das jetzt nicht mitbekommen haben: Aus der AfD-Fraktion gab es jetzt sehr viele Zwischenrufe, weil ich nur die Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen begrüßt habe. Mit diesen Zwischenrufen machen Sie, glaube ich, für sich selbst klar, dass Sie sich nicht zu den demokratischen Fraktionen zählen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Weil Sie mal wieder Unsinn gesagt haben!)
Das ist, glaube ich, das Selbstentlarvendste, was Sie tun konnten.
(Zuruf von der SPD: Sehr entlarvend!)
Ich bin überzeugt, dass der Justizhaushalt einer der wichtigsten Einzelpläne in diesem Haushalt ist. Er ist ein Garant dafür, dass die Gewaltenteilung in diesem Land aufrechterhalten bleibt. Er ist ein Bollwerk gegen Demokratiefeindinnen und -feinde. In Zeiten, in denen die Umfragewerte für Parteien, die es nicht gut mit den Menschen in diesem Land meinen, hoch sind, in Zeiten, in denen Hass und Hetze im Netz häufig folgenlos stehen bleiben, in Zeiten, in denen die AfD Thüringen, die als gesichert rechtsextrem eingestuft ist, eine Wahl gewinnt,
(Stephan Brandner [AfD]: Und die SPD krachend scheitert!)
ist der Zugang zum Recht und damit auch die Gewährleistung der Wahrung unserer Grundrechte zentrale Aufgabe der demokratischen Parteien im Bund, aber auch in den Ländern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau Wegge, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Abgeordneten Boehringer aus der AfD-Fraktion?
Nein.
(Zurufe der Abg. Volker Münz [AfD] und Beatrix von Storch [AfD])
Die Unabhängigkeit der Justiz ist dabei ein fragiles Konstrukt, das auf Vertrauen und einem gemeinsamen Verständnis von Gerechtigkeit und Freiheit aufgebaut ist. Häufig fällt sie als Erstes, wenn antidemokratische, autoritär-populistische Kräfte an die Macht kommen.
(Stephan Brandner [AfD]: Nancy Faeser zum Beispiel!)
Umso wichtiger ist es, dass wir nun gemeinsam mit den demokratischen Fraktionen unser Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz absichern wollen. – Das Zweite, das in solchen Situationen fällt, sind übrigens die Frauenrechte.
Dies zeigt auch, dass es im Bereich der Rechtspolitik – wir wollen eben zum Beispiel das Verfassungsgericht im Grundgesetz absichern – und im Bereich der Justiz nicht nur um Geld geht. Die Rechtspolitik ist eines der wenigen Felder, in denen es nicht nur um das Materielle, sondern vor allem auch um das Materiell-Rechtliche geht. Und so sind die Gesetze, die wir im rechtspolitischen Bereich beschlossen haben und noch beschließen werden, ebenfalls ein Bollwerk gegen den Faschismus, da wir das tun, was wir als Gesetzgeber eben machen: Wir gestalten das Recht so, dass es gesellschaftlichen Realitäten entspricht. Die Rechtspolitik sorgt dafür, dass wir fortschrittlich und mutig in die Zukunft blicken können.
Ein paar Beispiele: Wir haben im April dieses Jahres das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet und damit eine jahrzehntelange Diskriminierung von Transpersonen durch das menschenunwürdige Transsexuellengesetz beendet.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Fabian Jacobi [AfD])
Und, Herr Krings, wir haben Cannabis legalisiert und damit endlich einen fortschrittlichen Weg in der Drogenpolitik eingeschlagen.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Eine Katastrophe haben Sie hervorgerufen! Eine Katastrophe!)
Wir haben auch dafür gesorgt, dass ungewollt Schwangere in einer der schwersten Situationen ihres Lebens weniger Steine in den Weg gelegt bekommen, indem wir den § 219a aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und Gehsteigbelästigungen verboten haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und was wir als SPD-Bundestagsfraktion auch noch machen wollen, ist selbstverständlich, den § 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung versteht nicht, warum wir Frauen in diesem Land weiter kriminalisieren.
(Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Wir müssen nur einmal in die USA blicken; da ist es ein wahlkampfentscheidendes Thema.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Franziska Hoppermann [CDU/CSU]: Ja, da seht ihr, was aus solchen Diskussionen wird! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sie zünden die Republik an!)
Gerade für Frauen haben wir in den nächsten Monaten noch viel vor.
Ich wollte Sie gerade in Ihrem Redefluss nicht unterbrechen.
Alles gut.
Aber es gibt noch eine weitere Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung.
Sehr gerne lasse ich die natürlich zu.
Sie haben das Wort.
(Peter Boehringer [AfD]: Sehr demokratisch! Die Demokraten machen die Zwischenfragen unter sich aus! – Stephan Brandner [AfD]: Deutsche demokratische Attraktionen unter sich! – Gegenruf des Abg. Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie mal auf damit, rumzumeckern! – Weiterer Gegenruf von der SPD: Sie sind die vierte Generation!)
Sie sprechen den § 218 an, den Sie aus dem Strafgesetzbuch streichen wollen. Deswegen möchte ich Sie fragen: Wie viele Schwangerschaftsabbrüche gibt es etwa in Deutschland, und wie viele kriminalisierende Verfahren gibt es?
Steht in § 218a nicht ausdrücklich, dass der § 218 nicht gilt, dass also das Strafrecht nicht gilt, wenn, mindestens drei Tage bevor der Abbruch durch einen Arzt oder eine Ärztin vorgenommen wird, eine Beratung stattfindet und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind? Das sind sehr einfache Bedingungen, die anscheinend alle Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen oder durchführen lassen, auch einhalten können. Ich glaube, das sind drei übersichtliche Voraussetzungen. Wenn sie erfüllt sind, führt das ausdrücklich dazu, dass das Strafrecht nicht zur Anwendung kommt. Von daher wundert mich immer, dass von Kriminalisierung gesprochen wird.
Deswegen würde mich jetzt doch noch mal interessieren: Wie viele Fälle gibt es da? Wer entscheidet alleine darüber, ob ein Abbruch durchgeführt wird – Stand heutige Gesetzgebung? Und wie kann man in diesem Kontext dann von Kriminalisierung sprechen?
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU – Leni Breymaier [SPD]: Das führt zu Ungewissheiten bei den Frauen!)
Darauf antworte ich natürlich gerne. – Meines Wissens – aber nageln Sie mich jetzt nicht auf die Zahl fest – entscheiden sich in Deutschland knapp 100 000 Frauen pro Jahr dafür, ihre Schwangerschaft zu beenden.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Null Strafverfahren!)
Sie haben gerade ganz wunderbar dargelegt, dass unter den Bedingungen des § 218a der § 218 tatbestandslos ist. Das ist etwas, was es im deutschen Strafrecht sonst eigentlich nicht gibt.
(Franziska Hoppermann [CDU/CSU]: Genau!)
Die Debatte, die sich dahinter eigentlich verbirgt, ist, ob der § 218 Teil eines Schutzkonzepts für das ungeborene Leben ist.
Jetzt haben Sie gerade gefragt: Wie viele Abbrüche gibt es denn? Das sind 100 000.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Strafverfahren! – Susanne Hierl [CDU/CSU]: „Wie viele Strafverfahren?“ hat sie gefragt!)
Zudem muss man feststellen, dass der § 218 nicht dazu beiträgt, Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern. Was wir aber feststellen können, ist, dass er Frauen stigmatisiert, die sich für einen Abbruch entscheiden.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Keine Strafverfahren!)
Und vor allem – das ist auch die Rückmeldung aus der Praxis, von den Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen – führt er dazu, dass sich viele dafür entscheiden, diesen Eingriff nicht durchführen zu lassen.
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Deswegen führt der § 218 auf jeden Fall zu einer Unterversorgung in Deutschland.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf von der SPD: Genau so ist es!)
Gerade für Frauen haben wir – neben dem § 218 – in den nächsten Monaten noch viel vor. Es ist unser Ziel, die Gewalt gegen Frauen in diesem Land zu beenden und betroffene Frauen besser zu schützen und zu unterstützen.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!)
Denn Gewalt gegen Frauen ist ein strukturelles Problem in unserer Gesellschaft und eine Bedrohung für die innere Sicherheit.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!)
Unser Ziel als SPD-Bundestagsfraktion ist es daher, die Istanbul-Konvention vollständig umzusetzen. Es ist ganz besonders Artikel 31, der noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden ist, ein Artikel, der vor allem die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft betrifft: Frauen und ihre Kinder in Familien, die Gewalt erfahren haben.
Es geht konkret darum, dass wir es bis heute zulassen, dass Frauen und Kinder bei häuslicher Gewalt in sorge- und umgangsrechtlichen Fragen immer wieder retraumatisiert werden. Sie werden auch kurz nach der Trennung zum Umgang mit dem Täter gezwungen, in einer Zeit, in der die Gefahr für Femizide besonders hoch ist und sowohl die Frau als auch die Kinder erst mal zur Ruhe kommen müssen.
(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage!)
Diese Praxis muss ein Ende haben.
Frau Wegge, es gibt noch eine Nachfrage – von dem Kollegen Müller aus der CDU/CSU-Fraktion. Möchten Sie die zulassen?
(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Axel oder Carsten?)
– Carsten.
Okay.
Sie haben das Wort.
(Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber jetzt nicht wieder langweilen!)
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Wegge, meine Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker hat eine sehr einfache Frage gestellt, um die Sie sich wortreich herumgedrückt haben.
(Sonja Eichwede [SPD]: Sie hat doch die Zahl genannt!)
Ich will sie noch mal einfach formulieren: Wie viele Strafverfahren, gestützt auf den Tatvorwurf des § 218, gibt es Ihres Wissens in Deutschland?
Sie haben eben versucht, es einzuordnen, und haben diese Kernfrage – Sie sprechen nämlich von einer Stigmatisierung – eben gerade nicht beantwortet. Das ist genau die zentrale Frage, die wir gestellt haben: Wie viele Strafverfahren gibt es?
(Beifall bei der CDU/CSU – Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das die 10 000-Euro- oder die 50 000-Euro-Frage?)
Lieber Herr Müller, dazu liegen mir keine Zahlen vor. Deswegen kann ich es nicht sagen.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Null! Null! – Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Es sind null Verfahren!)
Aber die Frage war ja auch: Warum spreche ich von einer Kriminalisierung? Und dazu kann ich Ihnen schon etwas sagen, weil sich eine Frau erst mal grundsätzlich strafbar macht, außer sie erfüllt gewisse Bedingungen. Und deswegen sprechen wir von einer Kriminalisierung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sonja Eichwede [SPD]: Genau! – Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Nein, eben nicht! – Gegenruf der Abg. Sonja Eichwede [SPD]: Doch! – Gegenruf der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Sie verstehen es nicht! Es gibt null Verfahren!)
Jetzt komme ich aber zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ zurück. Wir müssen als Gesetzgeber unserer rechtsstaatlichen Pflicht nachkommen und es auch Betroffenen von digitaler Gewalt ermöglichen, sich effektiv vor Gericht zur Wehr zu setzen. Deswegen darf der digitale Raum kein rechtsfreier Raum sein. Deshalb werden wir in naher Zukunft hier auch über ein digitales Gewaltschutzgesetz beraten.
In diesem Zusammenhang freut es mich ganz besonders, dass wir im Justizhaushalt HateAid mit 600 000 Euro fördern. Es ist wichtig, dass Menschen zu ihrem Recht kommen. Das materielle Recht und die Umstände führen gerade noch nicht dazu, dass das gelingt. Deshalb ist es gut, dass wir auch Finanzmittel im Justizhaushalt dafür verwenden können, Betroffenen besser zu ihrem Recht zu verhelfen, da das materielle Recht, wie gesagt, den Schutz noch nicht ausreichend gewährleisten kann.
(Zuruf des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU])
In diesem Sinne wünsche ich uns gute Beratungen für diesen Haushalt und für die zukünftigen Vorhaben im Bereich der Rechtspolitik.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Als Nächster hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Till Steffen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Peter Boehringer [AfD]: Wieder ein Abgeordneter der demokratischen Fraktionen!)
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Electoral Period | 20 |
Session | 186 |
Agenda Item | Justiz und Bundesverfassungsgericht |