Robert Habeck - Wirtschaft und Klimaschutz
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, ganz kurz – abweichend von meinem ursprünglichen Redemanuskript – mitzuteilen, dass Wolfgang Gerhardt gestorben ist. Ich spreche allen Angehörigen mein Beileid aus und wünsche viel Kraft in dieser schweren Zeit. Ich möchte ebenfalls allen Abgeordneten des Hauses, aber vor allem der FDP-Fraktion kondolieren. Er war einer der herausragenden Parlamentarier in einer Zeit, als viele von uns noch nicht im Bundestag waren. Das Andenken sollte dementsprechend sein.
(Beifall)
Zu Beginn der parlamentarischen Beratungen hat Friedrich Merz gesagt, dass wir seit zehn Jahren eine Wirtschaftsschwäche in Deutschland haben.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Nee, er hat gesagt, die Produktivität wächst seit zehn Jahren nicht! Das ist ja was anderes! Wieder nicht genau zugehört! – Gegenruf der Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU]: Genau, das ist wieder was anderes!)
Ich will ihm an dieser Stelle ausdrücklich recht geben. Wahrscheinlich ist es, wenn man genau hinschaut, ein bisschen länger als zehn Jahre. Das Produktionspotenzialwachstum in Deutschland geht seit zehn Jahren zurück. Man kann das auch an den Unternehmen sehen. Alle großen Techunternehmen sind nicht in Europa und auch nicht in Deutschland entstanden. Google, Apple und Alibaba sind amerikanische oder chinesische Konzerne. Es ist deswegen nicht ganz konsistent, zu sagen: Dass wir zehn Jahre Produktionspotenzialwachstumsschwäche haben, ist der Fehler der Politik der Ampel.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Produktivität ist was anderes! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Produktivität!)
Wir versuchen, diese Debatte gemeinsam und rational zu führen; denn die Lage ist zu herausfordernd und zu ernst, um sich in plumpen Parolen zu ergehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Genau!)
– Wir werden gucken, Frau Klöckner, ob Ihre Debattenbeiträge dem eigenen Maßstab standhalten. – Aber wenn man sich die Lage genau anschaut, dann müssen wir drei Dinge konstatieren, aber auch unterscheiden.
Wir haben eine Kombination aus konjunktureller Wirtschaftsschwäche, ausgelöst am Ende doch durch den Wegfall des russischen Gases, und einer strukturellen Wirtschaftsschwäche, die jetzt immer deutlicher wird. Die konjunkturellen Folgen sind im Wesentlichen erfolgreich bekämpft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Inflation geht zurück. Die Energiepreise gehen wieder zurück. Sie sind noch nicht da, wo wir sie haben wollen, aber sie gehen wieder zurück. Die EZB senkt ihre Zinsen. Und die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher nimmt wieder zu. Je mehr die konjunkturellen Faktoren, die uns die letzten Jahre so bedrückt haben, und die konjunkturelle Wirtschaftskrise, die wir bekämpft haben, zurückgehen, desto deutlicher treten die strukturellen Ursachen hervor. Diese strukturellen Ursachen sind ganz wesentlich angebotsseitig: fehlende Innovationskraft, fehlende Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerpotenziale in Deutschland, fehlende Anreize für Investitionen in Deutschland,
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Fehlende Kernkraft!)
fehlende Infrastruktur – fehlende digitale Infrastruktur, aber auch fehlende analoge Infrastruktur wie Brücken –, fehlende Investitionen in die Infrastrukturen wie bei der Bahn. Das hat sich aufgestaut über viele Jahre. Das ist das Problem, das Deutschland jetzt in der Perspektive mit großer Kraft bewältigen muss.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Die Ampel hat an vielen Stellen den Hebel umgelegt:
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ja, das merkt man!)
bei der Fachkräftezuwanderung, bei der Frauenerwerbsarbeit, bei der Integration von Menschen, die als Geflüchtete in unser Land kamen, aber nun eine Arbeit aufnehmen können – das sollen sie auch –, bei den Investitionen in die Infrastrukturen, bei der Beschleunigung der Investitionen in die Infrastrukturen, bei der Beseitigung von Bürokratie vor allem im Energiebereich, aber auch im klassischen Infrastrukturbereich, beim Anschieben von Venturecapital- und Start-up-Unternehmen. Vieles ist auf den Weg gebracht worden und wird seine Früchte tragen.
Die Wachstumsinitiative ist der letzte große Vorschlag, diesen strukturellen Schwächen zu begegnen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ist das eine Drohung?)
Sie könnte, wenn sie umgesetzt ist –,
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wann geht es denn los?)
das sind ja 49 verschiedene Blöcke mit über 130 verschiedenen Maßnahmen – ein Wachstumspotenzial von einem halben Prozentpunkt entfalten. Das ist nicht wenig bei den Wachstumsschwächen, die wir im Moment haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Deswegen der Appell – vor allem an diejenigen, die Einfluss auf die Landesregierungen haben –, diese Wachstumsinitiative im Bundesrat gerade in ihren finanzpolitischen Teilen nicht wieder zu schwächen, wie es schon einmal, beim Wachstumschancengesetz, passiert ist!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Wir tun zu wenig, das reicht alles nicht; ich komme gleich darauf zurück. Aber das, was wir tun, sollte wenigstens umgesetzt werden in großer Gemeinsamkeit. Und wenn einer noch eine gute Idee hat oder noch was draufpacken will, dann sollten wir darüber reden. Aber da appelliere ich jetzt an die Union, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Sorgen Sie dafür, dass die unionsgeführten Länder diese Möglichkeit, ein halbes Prozent Wachstum zu generieren, nicht verstreichen lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: War das jetzt eine Aufkündigung der Koalition, oder wie?)
In der letzten Woche sind zwei Berichte veröffentlicht worden, die wegen der Migrationsdebatte möglicherweise nicht vollumfänglich gewürdigt oder auch zu schnell abgetan wurden, nämlich der Draghi-Bericht und der Bericht des BDI. Sie bauen aufeinander auf bzw. passen zusammen. Was sagt Draghi? Er sagt im Kern nicht, wir müssten jetzt neue Schulden machen.
(Peter Boehringer [AfD]: Doch, hat er gesagt!)
Das ist möglicherweise ein Mittel; darüber müssen wir am Ende reden. Aber erst mal muss man die Analyse voll auf sich wirken lassen. Er sagt – genau wie Ihr Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz –: Seit vielen Jahren agiert Europa unter seiner notwendigen Wettbewerbsfähigkeit, und das muss sich ändern.
(Peter Boehringer [AfD]: Er braucht 800 Milliarden Euro, um das zu lösen – pro Jahr!)
Und das geht an alle Adressen. Wir haben uns eingewühlt in Bürokratie, trotz der Maßnahmen, die wir in Deutschland ergriffen haben. Das reicht natürlich nicht, wie man bei Draghi nachlesen kann.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Technologieoffenheit, sagt Draghi!)
Wir haben als erste, unmittelbare Reaktion darauf die bürokratischen Regelungen für den Wasserstoffhochlauf noch einmal überprüft, und ich trete morgen oder übermorgen an die Kollegen heran, um zu sagen: Auch da werden wir mehr Freiraum geben, dass wir erst mal mehr produzieren können. – Aber das ist natürlich noch nicht das Ende der Fahnenstange.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Götz Frömming [AfD]: Die „Titanic“ sinkt, und Sie sind der Kapitän!)
Dann müssen wir die Angebotsseite weiter stärken, also die Rahmenbedingungen verbessern in Deutschland und in Europa, damit das private Kapital hier einen attraktiven Markt findet, entlang der Punkte, die ich eben genannt habe. – Mit Blick auf die Uhr kann ich das nicht noch einmal durchdeklinieren. Aber die Bedingungen müssen stimmen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Keiner – keine Partei, keine Fraktion, auch meine nicht, aber, mit Verlaub, auch die Opposition nicht – kann sich davon freisprechen, da mitarbeiten zu müssen. Die jetzige Lage hat keine Regierung allein zu verantworten. Es ist zentral wichtig, dass wir die Rahmenbedingungen verändern; denn auf dem Wachstum, auf dem Wohlstand beruht die Möglichkeit von stabiler Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa. Dann kann Populismus nicht agieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Und wenn das gewährleistet ist, dann braucht das private Kapital die finanzielle Unterstützung des Staates, den Ausbau der Infrastruktur. So, denke ich, wird daraus ein Schuh, auf den sich alle einlassen können. Ein Doppelschritt: angebotsseitig die Bedingungen verbessern, aber dann auch nicht Nein sagen, wenn es darum geht, bei guten Bedingungen die staatlichen Mittel zu heben,
(Peter Boehringer [AfD]: Also Schulden und nichts anderes als Schulden!)
die wir brauchen, um die Industrie in Deutschland zu halten bzw. prosperieren zu lassen. Und das sage nicht ich, sondern der BDI. Wenn Sie auf wirtschaftliche Kompetenz so viel geben, dann hören Sie auf die Wirtschaft!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen der Abg. Peter Boehringer [AfD] und Tobias Matthias Peterka [AfD] – Peter Boehringer [AfD]: Der war gut!)
Ein Letztes. Verunsichern Sie nicht! Stellen Sie nicht die Verabredungen, die getroffen wurden, infrage. Das Schlechtreden von Zukunftstechnologien wie E-Mobilität, Wärmepumpen, grünem Wasserstoff, des Wasserstoffhochlaufs, das muss aufhören!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Nachfrageschwäche, die wir in Deutschland und in Europa haben,
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr erfolgreich!)
kommt ganz wesentlich daher, dass die Opposition sich nicht daran erinnert, was sie vor Jahren beschlossen hat und was wir jetzt umsetzen.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: War das jetzt die Rede zum jetzigen Stand?)
Wir brauchen Verlässlichkeit und Planbarkeit. Geben Sie Ihren Kampf gegen den technischen Fortschritt auf!
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Jens Spahn.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7615183 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 186 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaft und Klimaschutz |