Carlos KasperSPD - Finanzielle Belange der Menschen mit Behinderung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute einen Antrag der Union mit dem Titel „Belange der Menschen mit Behinderung finanziell stärken“. Dagegen kann man erst mal nichts haben. Doch statt über die große gesellschaftliche Frage zu debattieren, wie wir Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe ermöglichen, wollen Sie hier leider nur über kleine technische Details diskutieren. Sie schaffen es dabei gerade mal, drei magere Stichpunkte aufs Papier zu bringen.
(Dr. Hermann-Josef Tebroke [CDU/CSU]: Aber immerhin! – Nina Warken [CDU/CSU]: Und was machen Sie?)
Punkt eins: Umsatzsteuerbefreiung für das Persönliche Budget. Menschen mit Behinderung bekommen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch Sach- und Dienstleistungen. Sie können aber anstatt dieser Leistungen das Geld auch als sogenanntes Persönliches Budget ausgezahlt bekommen. Das können sie dann selbstbestimmt für Aufwendungen zur Deckung ihres persönlichen Hilfebedarfs ausgeben. Sehr gut! Nach einem Urteil des Finanzgerichts Hessen unterliegen nun die Leistungen, die aus diesem Persönlichen Budget gezahlt werden, der Umsatzsteuer. Ich finde, da haben Sie auch einen Punkt. Wir werden das aufnehmen und noch mal prüfen.
(Dr. Hermann-Josef Tebroke [CDU/CSU]: Sehr schön!)
Punkt zwei betrifft das Kindergeld. Die Union fordert, dass das Kindergeld teilweise auch ohne Nachweise in Anspruch genommen werden kann. Ein Beispiel: Wer nach dem 18. Lebensjahr Kindergeld beziehen will, muss den Nachweis erbringen, dass er oder sie auch anspruchsberechtigt ist. Kinder mit Behinderung sind oftmals über das 25. Lebensjahr hinaus anspruchsberechtigt. Das ist erst mal positiv.
Die Union unterstellt nun, dass es regelmäßig zu Unterbrechungen bei der Auszahlung des Kindergeldes käme, nämlich während die Familienkasse angeblich so lange diese Nachweise prüft. Einen Nachweis, dass dies flächendeckend so sei, bleiben Sie hier aber schuldig.
Ehrlicherweise finde ich es auch etwas wohlfeil, dass es Ihnen an einem Tag gar nicht genug Kontrollen, Prüfungen und Maßnahmen für Sozialhilfeempfänger geben kann, während Sie an einem anderen Tag fordern, dass Leistungen vom Staat einfach ohne Nachweise ausgezahlt werden können.
(Beifall bei der SPD)
Das ist die Inkonsequenz der Union in der Opposition, die sich für den scheinbar schnellen Stimmungsgewinn entscheidet, anstatt konsequente Politik zu machen.
(Beifall bei der SPD – Dr. Hermann-Josef Tebroke [CDU/CSU]: Das ist eine böse Unterstellung! – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Sie sollten lieber mal Regierungsarbeit machen, anstatt so pauschal daherzureden! – Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Sollte es dort tatsächlich Probleme geben, müssen wir das lösen; das stimmt. Sie müssten aber auch Zahlen zu Ihrem Antrag vorlegen. Als Politiker hätte ich schon erwartet, dass Sie in der Opposition die Regierung auch mal danach fragen, ob es denn diese Fälle gibt und, wenn ja, welche Lösungen es geben kann.
(Zuruf des Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU])
Ich erwarte von der größten Oppositionsfraktion einfach, dass sie sich etwas mehr Arbeit macht, als hier nur drei Stichpunkte zu Papier zu bringen.
(Beifall bei der SPD – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Ich glaube, ein bisschen Überheblichkeit schwingt da mit!)
Schlussendlich behandelt Ihr Antrag noch die Kraftfahrzeugsteuer.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Jetzt bin ich gespannt!)
Sie fordern, dass auch Pkws steuerbefreit sein sollen, wenn Haushaltsmitglieder das Fahrzeug nutzen und dabei nicht die behinderte Person befördern. Da habe ich eine gute Nachricht: Das ist bereits so, wenn die Fahrten zur Haushaltsführung der behinderten Person dienen. Und jetzt mal ganz ehrlich und unter uns: Kein Hauptzollamt kann prüfen, welche Fahrten das tatsächlich sind. Aber auch hier sind wir bereit, diesen Punkt aufzunehmen und nochmals zu prüfen und das Gesetz gegebenenfalls zu ändern.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich finde bloß, dass der Antrag etwas wenig Fleisch am Knochen hat, und deswegen können wir ihm auch nicht zustimmen. Wie gesagt, etwas mehr Arbeit und ein bisschen mehr Inhalt in einen solchen Antrag zu packen, stünde der größten Oppositionsfraktion ganz gut zu Gesicht. Nichtsdestotrotz freut es mich natürlich, dass dieses Thema heute auf der Tagesordnung ist.
(Nina Warken [CDU/CSU]: Sie haben jetzt sieben Minuten Zeit! Sagen Sie doch mal, was Sie machen!)
– Jetzt komme ich darauf. Passen Sie auf!
Noch besser hätte ich es gefunden, wenn die größte Oppositionsfraktion, die Union, die Koalition unterstützt hätte, wenn es zum Beispiel um die Förderung des inklusiven Arbeitsmarkts geht. Der inklusive Arbeitsmarkt ist nämlich zentral, wenn wir wirklich Teilhabe von allen Menschen ermöglichen wollen. Für die Sozialdemokratie war schon immer klar: Arbeit ist mehr als Broterwerb. Arbeit stiftet Identität. Und deshalb bin ich stolz darauf, dass wir vor einem Jahr die Teilhabe am Arbeitsmarkt gesetzlich gestärkt haben – völlig ohne die Unionsfraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Nun gilt nämlich endlich: Wenn Arbeitgeber keinen Menschen mit Behinderung einstellen wollen, dann müssen sie die sogenannte Ausgleichsabgabe zahlen. Damit ermöglichen wir es, Menschen, die eine Behinderung haben, besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist ein Erfolg dieser Koalition, und das trägt eben dazu bei, dass Menschen mit Behinderung besser in das Leben kommen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Lassen Sie mich diese Debatte auch nutzen, um noch etwas Grundsätzliches zum Umgang mit Menschen mit Behinderung in dieser Gesellschaft zu sagen. Denn während hier im Hause die Union, die Ampelparteien und auch die Gruppe Die Linke dieses Thema debattieren, um Lösungen ringen und Argumente austauschen, gibt es eine Gruppe, die das gar nicht interessiert – das BSW, das fast nie anwesend ist –, und es gibt eine Fraktion, die eine offene und inklusive Gesellschaft vollkommen ablehnt. Diese Partei hat viele Rechtsextreme in ihren Reihen,
(Stephan Brandner [AfD]: Beschimpfen Sie mal die Grünen nicht so! – Mike Moncsek [AfD]: Jetzt ist es aber gut!)
und nun, nach diesen Wahlerfolgen, versteckt die AfD nicht mal mehr ihren Hass auf Menschen mit Behinderung.
(Stephan Brandner [AfD]: Ach, Sie meinen uns! – Mike Moncsek [AfD]: Das ist überhaupt nicht wahr, was Sie sagen!)
– Wenn Sie jetzt so laut werden: Ich kann gerichtsfest behaupten und sagen: Björn Höcke ist ein Nazi.
(Stephan Brandner [AfD]: Da wäre ich vorsichtig! Das geht nur von dem Rednerpult aus! – Gegenruf der Abg. Dorothee Martin [SPD]: Er hat völlig recht!)
Das sollte Ihnen zu denken geben. Vielleicht können Sie dagegen klagen, und dann gewinne ich auch wieder bei Gericht.
(Beifall bei der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Das geht nur von dem Rednerpult aus!)
Denn dieser Björn Höcke sagt zur Inklusion:
(Stephan Brandner [AfD]: Wer ist denn Bernd Höcke? Den gibt es doch gar nicht!
Das ist ein „Ideologieprojekt“ und ein „Belastungsfaktor“.
(Marianne Schieder [SPD]: Das sagt nicht nur er, dass die behinderten Kinder getrennt werden müssen von den nichtbehinderten Kindern!)
Ihr korrupter Spitzenkandidat Maximilian Krah sagt: Die Menschen mit Behinderung sind „Idioten“.
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Verehrte Damen und Herren, das ist die Sprache der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Das ist der Hass und die ideologische Grundlage für Gewalt,
(Mike Moncsek [AfD]: Das ist eine Frechheit, was Sie machen! Das ist eine Frechheit, was Sie hier behaupten!)
die Menschen mit Behinderung immer noch widerfahren. Und deshalb ist völlig klar – –
Lieber Herr Kasper, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rüffer?
Ja, gerne.
(Mike Moncsek [AfD]: Das ist ja wohl unerhört! – Stephan Brandner [AfD]: Verteidigt die jetzt den Höcke?)
Nein, das ist nicht unerhört. – Ich finde, man kann hier noch etwas hinzufügen. Aus den Reihen der SPD ist gerade gesagt worden: Das mit der Inklusion ist ein Ideologieprojekt. – Das sagen viele aus der Union auch; das sagen auch Leute aus der FDP und so. Aber was der Höcke tatsächlich gesagt hat – stimmen Sie zu? –, ist: Eine gesunde Gesellschaft braucht gesunde Schulen. – Und jetzt kann sich jeder selbst denken, was der Mann gesagt hat.
(Stephan Brandner [AfD]: Jetzt bin ich ganz gespannt, was der Rüffer sagt jetzt – oder die Rüffer oder das Rüffer; weiß ich nicht!)
Ich weiß jetzt nicht, was das soll, dass Sie hier mit Artikeln um sich werfen, von denen Sie keine Ahnung haben; aber egal.
(Stephan Brandner [AfD]: Drei Stück!)
Ich antworte gerne auf die Zwischenbemerkung. Das ist es ja eben. Es geht dieser Partei gar nicht um Inklusion, wie Frau Huy uns hier vormachen wollte. Es fängt bei den Menschen mit Behinderung an. Diese Partei möchte zuerst diese Menschengruppe aus der Gesellschaft ausgliedern,
(Stephan Brandner [AfD]: Tri, tra, trullala, der Kasper, der ist wieder da! – Gerrit Huy [AfD]: Dagegen klagen wir gerade!)
dann andere und dann die Menschen mit Migrationshintergrund. Sie will diese millionenfach abschieben
(Gerrit Huy [AfD]: Dafür werde ich Sie verklagen!)
und tanzt zu lustigen Songs. Das ist eben die Gefahr, die von dieser Partei ausgeht, und der stellen wir uns vollkommen entgegen. – Danke für die Frage.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wie schon gesagt, wir als Demokratinnen und Demokraten stehen an der Seite – –
Herr Kasper, es gibt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moncsek.
Natürlich, gern.
Herr Kasper, mit welchem Recht behaupten Sie das, was Sie jetzt hier gesagt haben? Ich habe ein behindertes Kind großgezogen. Ich weiß genau, wovon wir hier reden. Das wissen Sie nicht. Es ist eine Frechheit, dass Sie hier die Behauptung aufstellen, dass diese Partei Behinderte ausgliedern will.
(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann bleiben Sie noch in dieser Partei? – Gegenruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]: Hören Sie mal zu!)
– Jetzt bin ich dran.
Ich nenne Ihnen folgendes Beispiel – das Thema ist Folgendes –: Ich war jetzt im Urlaub. Wenn ein behinderter Mensch Nebenkosten in Höhe von 150 Euro tragen muss, weil er eine Reise antritt und seine Transportkosten vom Flugplatz zum Hotel selber bezahlen muss, dann sollte hier mal jeder drüber nachdenken, was Behinderung eigentlich bedeutet für die Menschen, bevor er überhaupt den Mund aufmacht.
Herr Moncsek, haben Sie eine Frage an den Kollegen Kasper?
Ich hätte gerne gewusst, wie er mit einer solchen Frechheit behaupten kann, dass wir Behinderte ausgliedern wollen.
(Beifall bei der AfD – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind in einer Partei mit Höcke! Der hat das immer wiederholt! – Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD])
Danke für die Frage. – Ich habe Ihnen gerade zwei, drei Beispiele genannt. Kollegin Rüffer hat auch noch mal gesagt, was der Spitzenkandidat – nicht irgendein Politiker in einem Kommunalparlament, nein, der Spitzenkandidat – der AfD in Thüringen im MDR-„Sommerinterview“ zu behinderten Menschen gesagt hat. Und jetzt will ich von Ihnen wissen – aber Sie dürfen leider nicht mehr antworten –,
(Stephan Brandner [AfD]: Ich glaube, Sie überfordert schon das Fernsehen!)
wie Sie das finden, wenn Sie auch ein behindertes Kind haben. Dann müssten Sie ja laut schreien
(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und weglaufen!)
und sagen: Nein, wir brauchen Inklusion, wir brauchen Sonderschulen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
aber wir brauchen eben auch Kinder mit Behinderungen in normalen Schulen, damit das normalisiert wird! – Das haben Sie eben nicht getan. Sie sind einfach ein Mitläufer; Sie können sich setzen. – Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mike Moncsek [AfD]: Frechheit!)
Als Demokratinnen und Demokraten stehen wir an der Seite von Menschen, die ausgegrenzt werden – auch von dieser Partei. Wir stehen an der Seite derjenigen, die sich vielleicht nach den Landtagswahlen im Osten auch fragen: Welche Zukunft habe ich denn noch in meiner Heimat?
(Stephan Brandner [AfD]: Ja, das sind viele!)
Wir senden die klare Botschaft: Wir stehen zusammen. Denn in diesem Land gehören alle dazu: Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationsgeschichte und mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Die einen mögen es „Solidarität“ und die anderen „Mitmenschlichkeit“ nennen. Wir stehen zusammen. Dafür lohnt es sich, einzustehen.
(Mike Moncsek [AfD]: Sie stehen für alle, aber nicht für die deutsche Bevölkerung!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür lohnt es sich auch, die Brandmauer zu erhalten.
(Beifall bei der SPD)
Herr Brandner, Sie haben die Kollegin Rüffer persönlich herabgewürdigt: der, die oder das Rüffer.
(Marianne Schieder [SPD]: Unverschämt! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gar nicht mitgekriegt!)
Ich bitte, auf derlei Herabwürdigungen zu verzichten. Ich bitte darum, dass wir einen ordentlichen Umgangston miteinander pflegen, eine inhaltliche Auseinandersetzung hier am Rednerpult führen und ansonsten auf solche Zwischenrufe verzichten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mike Moncsek [AfD]: Wenn jemand wie Herr Kasper das vom Rednerpult behauptet, ist das genauso schädlich! Das ist schlimm genug!)
Für Die Linke hat nun das Wort Sören Pellmann.
(Beifall bei der Linken)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7615431 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 187 |
Tagesordnungspunkt | Finanzielle Belange der Menschen mit Behinderung |