26.09.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 188 / Tagesordnungspunkt 9

Katharina BeckDIE GRÜNEN - Fortentwicklung des Steuerrechts, Existenzminimum

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Hier irgendwas von wirtschaftlichem Fortschritt zu reden, wo der Spitzenkandidat der AfD in Thüringen gesagt hat, dass er hofft, dass alle Unternehmen, die sich irgendwie dafür aussprechen, dass Fachkräfte zu uns kommen, in „schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen“ kommen, finde ich wirklich unterirdisch. Das können wir beim nächsten Tagesordnungspunkt zu Ihren wirtschaftspolitischen Anträgen dann auch noch genau eruieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es geht heute um das Steuerfortentwicklungsgesetz. Lieber Herr Middelberg, es geht hier um Wirtschaft. Die Reihen bei der CDU/CSU sind einigermaßen leer. Es geht hier laut Ihren Äußerungen um ein kleines Würfchen, um ein Stückwerk.

(Zuruf des Abg. Jörn König [AfD])

Dabei geht es aber um über 21 Milliarden Euro an Entlastungen, etwa beim Thema „kalte Progression bei kleinen, mittleren und allen Arbeitseinkommen“, beim Thema „degressive AfA“. Das bedeutet für den Staat eine Belastung von 7 Milliarden Euro in den ersten Jahren, damit Investitionen angereizt werden. Oder mit anderen Abschreibungsmöglichkeiten, zum Beispiel bei E-Autos. Und da sind Sie sich ehrlich nicht zu schade, von einem „kleinen Würfchen“ zu sprechen? Das ist sogar dreimal so groß wie das Wachstumschancengesetz, das eine Entlastung von 7 Milliarden Euro vorsah und das Sie im Bundesrat auf 3 Milliarden Euro runtergeschrumpft haben. Da würde ich mir eher an die eigene Nase fassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir als Ampelkoalition haben in diesem Jahr bereits 45 Milliarden Euro Entlastungen auf den Weg gebracht. Damit kommt einer vierköpfigen Familie eine Steuerentlastung pro Jahr von ungefähr 1 500 Euro zugute. Das merkt man vielleicht nicht immer, weil es am Ende des Jahres ist. Aber diese Entlastungen haben wir bereits beschlossen. Ich werbe dafür, dass das auch mehr bei allen Menschen da draußen ankommt.

Auch für Unternehmen haben wir bereits Entlastungen beschlossen. Und: Ja, die Kritik stimmt. Wir sind in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Wir haben gerade nicht das Wachstum. Wir haben gerade gehört, dass die Herbstprognose für die Konjunktur nicht besonders gut ist. Aber gerade deswegen ist es doch so wichtig, dass wir jetzt mit Nachdruck und schnell diese Maßnahmen aus der Wachstumsinitiative, die im Steuerfortentwicklungsgesetz enthalten sind, beschließen.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Aus dem Haushalt! Das ist ja schon verausgabt!)

Es gibt eine Konjunkturstudie, die besagt, dass wir mit der Wachstumsinitiative das Wachstum um 0,4 Prozent ankurbeln können. Der größte Hebel ist an dieser Stelle das Thema Beschäftigung. Deswegen ist es so wichtig, dass wir hier vorankommen. Wenn man mehr arbeitet und Zuschläge bekommt, sollte dies dann auch steuerfrei sein, sodass es dort Anreize gibt. Ein anderer Hebel ist das Thema „Eintritt in die Rente“ bzw. dort Anreize zu schaffen. Hubertus Heil und wir als Koalition haben Ende August dazu etwas vorgelegt.

Dann gibt es noch einen riesigen Hebel. Der Hebel heißt Teilzeit. 12,2 Millionen Menschen sind in Teilzeit beschäftigt. Wir haben vor, dass dann, wenn der Arbeitgeber eine Prämie für die Ausweitung der Arbeitszeit zahlt, dies steuerlich begünstigt wird. Denn können Sie sich vorstellen, was das bedeutet: 12,2 Millionen Menschen? Das ist ein unfassbarer Hebel.

Alles, was ich bei meinen Unternehmensbesuchen immer höre, ist: „Fachkräfte, Fachkräfte, Fachkräfte“, und zwar auch aus anderen Ländern. Ich war kürzlich in meinem Wahlkreis unterwegs und habe eine Tischlerei, eine Kältetechnikfirma und eine Reinigungsfirma besucht. Das Thema ist so unfassbar wichtig. Die haben sich zum Beispiel gewünscht: Könnten Sie mal dieses Bilderbuch digitalisieren und auf Persisch übersetzen? Denn wir brauchen diese Menschen. – Da war ein Ventil abgebildet, dessen deutschen Namen ich gar nicht kannte, aber es ist wichtig für die Installation.

Aber es geht eben auch um das Thema Frauen. Wir haben hier in Deutschland unfassbar viel Potenzial.

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Es lohnt sich gar nicht mehr, zu arbeiten, weil Sie den Leuten das Geld wieder wegnehmen!)

Die Teilzeitquote bei Frauen ist sehr, sehr hoch. Wissen Sie, was die größte Hürde ist, um mehr zu arbeiten? Drei Viertel der Menschen in Teilzeit geben an, mehr arbeiten zu wollen. Sie hemmt vor allem die mangelnde Betreuung. Da kommt das KiTa-Qualitätsgesetz – die 2 Milliarden Euro, die wir dafür jetzt auch beschlossen haben –, das Kinderpaket zum Tragen. Da ändern wir strukturell etwas, damit die Betreuungssituation besser wird. Da kommt aber auch zum Tragen, dass wir vielleicht noch mal eine Schippe drauflegen, weil die Konjunktur so schlecht ist, und uns noch mal überlegen: Wo können wir vielleicht im Bereich Betreuung auch steuerliche Anreize verbessern, zum Beispiel bei der Absetzbarkeit von privaten Betreuungskosten?

Dann haben wir natürlich noch das ganze Thema „Anreiz für Investitionen“, die degressive AfA.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Das war bisher nicht mein Lieblingsthema. Wir wollten in diesen Zeiten immer eine Investitionsprämie machen, damit gezielt Investitionen für Klimaschutztechnologien angereizt werden. Es war technisch mit den Ländern nicht umsetzbar. Die CDU hat es auch blockiert. Jetzt setzen wir einfach auf dieses Thema. Ich möchte dafür werben.

Denn was kommt jetzt als Nächstes? Als Nächstes kommt nach den parlamentarischen Beratungen, bei denen wir vielleicht sogar noch einige Dinge obendrauf satteln – das werden wir sehen – oder manches verbessern, der Bundesrat. Und wir wissen doch alle: Da kommt die CDU/CSU-Fraktion, die uns als Ampel überhaupt nicht gönnt, dass wir mal etwas Gutes für die Wirtschaft machen.

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Sie können mal mit Ihrer Finanzministerin aus Schleswig-Holstein sprechen! – Gegenruf des Abg. Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Oder Rheinland-Pfalz!)

Das war ganz genauso – Jens Spahn fehlt hier leider; ich habe mit ihm in den Bund-Länder-Runden gesessen –: keine Lust darauf, dass die Ampel auch nur irgendwas Gutes für die Wirtschaft tut.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Wir sind ja beschimpft worden! Wir werden ja laufend beschimpft!)

Sie setzen eben nicht Land vor Partei, wie das andere gerade sehr vorbildlich tun. Es wird dort wichtig sein, mit den Ländern daran zu arbeiten, dass dieses große Paket auch umgesetzt werden kann. Ich kann Sie nur ermutigen, jetzt nicht direkt zu sagen: Och, das ist ja nur so klein. – Nein, das ist sehr groß, was wir hier im Steuerfortentwicklungsgesetz beschließen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nee, das ist sehr, sehr klein!)

Blockieren Sie das nicht, sondern nehmen Sie es ernst, damit wir hier wirklich etwas hinbekommen, was allen Koalitionspartnern etwas abverlangt und was diesem Land und seinen Unternehmen und Menschen guttun wird!

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Dann sollte man mit den Ländern aber auch mal reden vorher!)

– Das mache ich dauernd: mit den Ländern reden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Für die Unionsfraktion hat Olav Gutting das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7615560
Wahlperiode 20
Sitzung 188
Tagesordnungspunkt Fortentwicklung des Steuerrechts, Existenzminimum
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