26.09.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 188 / Zusatzpunkt 6

Katja Keul - Aktuelle Stunde: Ergebnisse des Zukunftsgipfels der Vereinten Nationen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Wir sind hier, um den Multilateralismus vom Abgrund zurückzuholen“, waren die mahnenden Worte von UN-Generalsekretär Guterres bei der Eröffnung des VN-Zukunftsgipfels am vergangenen Sonntag. Einen Multilateralismus, der mit der Agenda 2030 angetreten ist, Hunger und Armut ein für alle Mal zu besiegen. Einen Multilateralismus, der ein menschenwürdiges Leben für alle Menschen auf diesem Planeten ermöglichen will, unter Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Einen Multilateralismus, auf dem hohe Erwartungen zur Lösung weltweiter Krisen und systemischer Schocks liegen und der zunehmend in die Defensive gerät. Einen Multilateralismus, der die Herausforderungen unserer Zeit dabei bislang institutionell weiter mit den Mitteln bestreitet, die ihm bei seiner Errichtung vor fast 80 Jahren an die Hand gegeben wurden: Diesen Multilateralismus fit für die Zukunft zu machen und ihm neue Instrumente an die Hand zu geben, war das erklärte Ziel der Staats- und Regierungschefs beim VN-Zukunftsgipfel am 22. und 23. September 2024.

Wichtigste Errungenschaft des Gipfels ist der Zukunftspakt, Pact for the Future. Dieser wurde am 22. September im Konsens angenommen, gemeinsam mit den beiden Annexen, dem Globalen Digitalpakt und der Erklärung für künftige Generationen. An seinem Zustandekommen hatte Deutschland entscheidenden Anteil. Darauf können wir stolz sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Knut Abraham [CDU/CSU] – Beatrix von Storch [AfD]: Nee, das ist eine Schande!)

Gemeinsam mit Namibia haben wir in der Rolle der Verhandlungsführer der Welt gezeigt, dass wir offen sind für Reformen. Wir wollen nicht nur den Status quo verteidigen, sondern globalen Verwerfungen und Systemkrisen mit einem konstruktiven Ansatz begegnen. Wir haben bewiesen, dass wir anpacken, wenn es darauf ankommt. Mir ist es an dieser Stelle ganz wichtig, noch einmal ganz ausdrücklich unserem Partner Namibia für die großen gemeinsamen Anstrengungen zu danken, aber natürlich auch den Diplomatinnen und Diplomaten unserer Länder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Knut Abraham [CDU/CSU])

Wie der Bundeskanzler es in seiner Rede am Sonntag betont hat: Wir kommen aus verschiedenen Kontinenten. Unsere politische und sozioökonomische Situation ist unterschiedlich. Und doch haben wir es geschafft, als Freunde zusammenzuarbeiten.

In Zeiten, in denen von „Fragmentierung“ und „Erosion der globalen Ordnung“ die Rede ist, geht vom Zukunftspakt ein Zeichen der Hoffnung aus. Hoffnung, dass gemeinsame Interessen, aber auch gemeinsame Werte uns global zusammenbringen. Hoffnung, dass diese Werte und die gemeinsame Sorge um die Zukunft unserer Kinder stärker sind als die Spaltungsversuche von Staaten, die unsere Werte nicht teilen. Diesen Zukunftspakt zusammen mit Partnerstaaten zu schmieden, ist ein klarer Erfolg der Nord-Süd-Kooperation.

In diesen gemeinsamen Verhandlungen haben wir viel voneinander gelernt. Die wichtigste Feststellung des Prozesses hin zum Zukunftsgipfel war: Wir brauchen keine neue Agenda 2030, und wir brauchen auch keine neue UNO. Was wir brauchen, ist eine bessere UNO – wenn man so will, eine Sanierung im Bestand. Um dies zu erreichen, dreht der Zukunftspakt einige Stellschrauben des bestehenden Systems weiter. Er setzt damit wichtige Impulse für Multilateralismus und die Vereinten Nationen über die gesamte Bandbreite der UN-Arbeit.

Was heißt das genau? In 56 Aktionspunkten verpflichten sich die Staaten zu mehr Kooperation in nahezu allen Bereichen globaler Fragen. Das ist für sich genommen in Zeiten von Krieg und globaler Verwerfungen schon ein großer Erfolg. 193 Staaten vereinbaren für die Zukunft, gemeinsame multilaterale Lösungen zu finden für globale Herausforderungen bei der Entwicklungs- und Klimafinanzierung über Frieden und Sicherheit bis hin zu Weltraumfragen.

Um einige konkrete Beispiele zu nennen: Der Pakt setzt ein klares Signal zur Abrüstung. Er enthält die erste gemeinsame Formulierung zur nuklearen Abrüstung seit 2010.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Rainer Semet [FDP])

Auch enthält er ein Bekenntnis zu verstärkten Anstrengungen bei Abrüstung und Rüstungskontrolle, Streumunition, biologischen und chemischen Waffen sowie Kleinwaffen, und er adressiert den Einsatz neuer Technologien, wie zum Beispiel Cyberangriffe, letale autonome Waffensysteme und die militärische Nutzung von KI. In Zeiten zahlreicher Kriege und Konflikte kann man den Erfolg einer Einigung zu Abrüstungsthemen gar nicht hoch genug bewerten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wegweisend sind auch die Aktionspunkte zur internationalen Finanzarchitektur. Denn klar ist: Wir brauchen mehr Anstrengungen, um die Entwicklungsziele der Agenda 2030 zu erreichen. Ein wichtiger Hebel hierfür sind die Entwicklungsfinanzierung und eine stärkere Abstimmung zwischen den Institutionen der VN in New York und den internationalen Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank. Der Pakt erkennt bestehende Reformprozesse an; gleichzeitig macht er konkrete Vorgaben für weitere Schritte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Und ganz wichtig: Der Pakt fordert eine Sicherheitsratsreform und insgesamt ein gerechteres, repräsentativeres und effektiveres VN-System, vor allem auch mit mehr Frauen an der Spitze, idealerweise demnächst auch einer Generalsekretärin als Nachfolgerin des jetzigen Amtsinhabers ab 2026.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Rainer Semet [FDP])

Der Digitalpakt formuliert erstmalig auf globalem Niveau Leitplanken für eine internationale Digitalpolitik. Er legt den Grundstein für Strukturen zur Behandlung künstlicher Intelligenz als politischer Frage in den Vereinten Nationen. Hier geht es um Potenziale der KI, aber auch um eine Eindämmung ihrer Risiken.

Der Pakt ist vor allem auch ein Blick in die Zukunft. Er fordert Investitionen in die soziale und wirtschaftliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Sozialschutz und Jugendunternehmertum.

Es würde zu weit führen, auf alle Aktionspunkte und Empfehlungen des mehr als 40-seitigen Textes einzugehen. Jetzt geht es um die Umsetzung der Beschlüsse. Hierzu haben wir in den kommenden Monaten viele ganz konkrete Gelegenheiten, unter anderem beim Hamburg Sustainability Forum am 7. und 8. Oktober 2024, während unseres Vorsitzes über die Peacebuilding Commission 2025 oder beim Peacekeeping Ministerial in Berlin im Mai 2025. Der jeweilige Präsident bzw. die Präsidentin der Generalversammlung wird die Aufgabe haben, die Aktivitäten zu bündeln. In einem Jahr übernimmt Helga Schmid als deutsche Kandidatin der Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten die Präsidentschaft und damit auch diese Aufgabe.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. In Zeiten extremer globaler Polarisierung war ein solcher Prozess wahrlich kein Selbstläufer. Im Gegenteil: Die Geltung der Charta und elementarer Grundsätze des Völkerrechts werden zunehmend infrage gestellt, nicht zuletzt durch den Angriffskrieg Russlands, eines ständigen Mitglieds des Sicherheitsrates, gegen die Ukraine. Der Sicherheitsrat ist dadurch immer weniger handlungsfähig. Unser Interesse als Deutschland ist es, dieser um sich greifenden Polarisierung eine konstruktive Gegenvision entgegenzusetzen, in Gestalt einer Positivagenda, auf die sich alle VN-Mitgliedstaaten auf höchster Ebene einigen. Dass dies gelungen ist, war alles andere als selbstverständlich. Als Initiatoren haben wir uns gemeinsam mit Namibia demonstrativ vor die UN gestellt; denn wir bauen auf eine starke UN und eine multilaterale Ordnung, in der das Völkerrecht und die Menschenrechte etwas gelten und in der wir globale Fragen multilateral angehen.

Russland hat bis zum Ende versucht, eine Einigung zum Pakt zu verhindern. Es verweigert sich unter anderem einer finanziell besseren Förderung des Menschenrechtsschutzes und will einen vernetzten und inklusiven Multilateralismus verhindern. Aber: Am Ende konnten sich die Staaten, die wie wir an einer zukunftsgerichteten, effektiven Weiterentwicklung der UN interessiert sind, sehr deutlich durchsetzen. Russland war weitestgehend isoliert, und dies wurde vor aller Augen präsent.

Wir sind überzeugt: Nur global können wir die großen Herausforderungen angehen – nicht im Rahmen unserer nationalen Grenzen und auch nicht innerhalb der EU-Grenzen. Hierfür brauchen wir die UN als institutionelles Rückgrat der multilateralen Ordnung, die wir bewahren und stärken wollen. Mit dem Zukunftsgipfel haben wir uns daher selbst den größten Dienst erwiesen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Kathrin Vogler von der Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7615656
Wahlperiode 20
Sitzung 188
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Ergebnisse des Zukunftsgipfels der Vereinten Nationen
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