26.09.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 188 / Tagesordnungspunkt 15

Martin PlumCDU/CSU - Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Wenn’s mal wieder länger dauert“, das ist ein bekannter Werbeslogan, der auch als Motto der Ampelkoalition taugt. Das zeigt auch das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahren beim Bundesgerichtshof. Über 13 Monate ist es her, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf beschlossen hat. Über 10 Monate ist es her, dass wir ihn hier erstmals beraten haben. Über 9 Monate ist es her, dass wir zu diesem Entwurf Sachverständige im Rechtsausschuss angehört haben. Das ist Gesetzgebung im Schneckentempo, obwohl – wir haben es gerade gehört – dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sonja Eichwede [SPD]: Dann stimmen Sie zu!)

Warum besteht Handlungsbedarf? Weil Massenverfahren für viele Gerichte ein immer größeres Problem darstellen. Regelmäßig werden sie mit Hunderten oder gar Tausenden Klagen geflutet, die oft denselben Sachverhalt oder dieselben Rechtsfragen betreffen. Klagewellen von Dieselfahrern, von Flugpassagieren oder Wirecard-Aktionären sind nur einige Beispiele. Bis die oft hochumstrittenen und hochkomplexen Rechtsfragen geklärt werden, dauert es lange, zu lange. Die Verfahrensflut muss dafür durch zwei Instanzen bis zum Bundesgerichtshof gespült werden. Richter an Amts-, Land- und Oberlandesgerichten bringt das immer öfter – die Kollegin Willkomm hat zu Recht darauf hingewiesen – an ihre Belastungsgrenzen. Auch für Bürger und Rechtsanwälte ist die Situation immer unbefriedigender. Aufgrund ihrer schieren Anzahl und vieler komplexer Rechtsfragen dauern die Massenverfahren länger. Die Verhandlungen und Entscheidungen anderer Verfahren müssen dadurch hintenanstehen. Bürger, Richter und Rechtsanwälte in ganz Deutschland warten daher seit Jahren zu Recht darauf, dass Gerichte in Massenverfahren endlich schneller und effizienter entscheiden können.

Das Leitentscheidungsverfahren war dazu von vornherein nicht geeignet und war zudem auch nicht durchdacht. Massenhafte Klagen müssen auch nach seiner Einführung weiter zwei Instanzen durchlaufen. Sind sie dann nach vielen Monaten oder gar Jahren beim Bundesgerichtshof angekommen, kann auch dort erst nach mehreren Monaten ein Leitentscheidungsverfahren bestimmt werden. Bis dahin müssen Tausende Parallelverfahren an den Amts-, Land- und Oberlandesgerichten weiterbetrieben werden; sie dürfen erst nach diesem denkbar späten Zeitpunkt ausgesetzt werden. Diese Untauglichkeit des Leitentscheidungsverfahrens war und ist offensichtlich; die Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss hat das eindrucksvoll bestätigt.

(Zuruf der Abg. Sonja Eichwede [SPD])

Die Alternativen sind auch aus einer weiteren Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss längst bekannt: ein Vorlage- oder Vorabentscheidungsverfahren beim Bundesgerichtshof oder eine Ausweitung der Sprungrevision. Beides sind überzeugende Lösungen; denn dadurch könnten Massenverfahren schneller aus den unteren Instanzen zum Bundesgerichtshof gelangen und streitige Rechtsfragen dort früher geklärt werden. Wir als Union sind deshalb zu beiden Lösungen bereit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Um diese besseren Lösungen umzusetzen, hätte man die vielen Monate seit der ersten Lesung einfach mal nutzen können. Aber statt beim Massenverfahren endlich den Turbo zu zünden, tritt die Ampel lieber weiter kräftig auf die Bremse und hält am Leitentscheidungsverfahren mit all seinen Mängeln fest. Das ist eine schlechte Nachricht für Bürger, für Richter und für Rechtsanwälte in ganz Deutschland. Massenverfahren werden dadurch auch in Zukunft nicht schneller und effizienter entschieden, sondern bleiben eine große Belastung für die deutsche Justiz und eine Gefahr für ihre Funktionsfähigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Letztlich fällt der Ampelkoalition nach den vielen Monaten nur eine einzige dürre Änderung ein. Die Aussetzung von Parallelverfahren soll jetzt zwar nicht mehr die Zustimmung beider Parteien voraussetzen. Sie soll aber erstens immer dann unterbleiben, wenn eine Partei widerspricht und dafür gewichtige Gründe glaubhaft macht. Sie soll zweitens zeitlich auf ein Jahr begrenzt werden, und sie soll drittens nach diesem Jahr nur dann verlängert werden dürfen, wenn gewichtige Gründe dafürsprechen.

Das ist alles schon beim ersten Lesen und Hören unnötig kompliziert. Es ist aber vor allem einmal mehr ein Ausdruck des tiefen Misstrauens der Ampel gegenüber den Richtern in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Warum trauen Sie unseren Richtern nicht zu, Parallelverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen auszusetzen?

(Sonja Eichwede [SPD]: Das ist genau das, was die Richter gefordert haben!)

Warum vertrauen Sie nicht darauf, dass unsere Richter das Für und Wider einer Aussetzung sorgfältig gegeneinander abwägen können? Warum misstrauen Sie der Fähigkeit unserer Richter, eine angemessene Aussetzungsentscheidung zu treffen? Dieses Misstrauen ist nicht nur unangebracht, sondern führt auch wieder einmal zu unnötigen Rechtfertigungserfordernissen und damit erneut zu einer überflüssigen Mehrbelastung der Justiz.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof hat – typisch Ampel – mal wieder länger gedauert. Mit Blick auf das heutige Ergebnis wünscht man sich, es hätte noch länger gedauert; denn dieses Gesetz wäre allemal besser im Rechtsausschuss aufgehoben gewesen als im Bundesgesetzblatt. Die Entscheidungen bei Massenverfahren werden damit auch weiterhin länger dauern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für die SPD-Fraktion hat Sonja Eichwede jetzt das Wort.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7615735
Wahlperiode 20
Sitzung 188
Tagesordnungspunkt Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH
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