Till SteffenDIE GRÜNEN - Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Jacobi, ich war kurz in Sorge, dass es Ihnen so ergeht wie gestern im Ausschuss, als während Ihrer Ausführungen tatsächlich Zuschauer/-innen auf der Tribüne eingeschlafen sind.
(Stephan Brandner [AfD]: Das waren Ihre Mitarbeiter, die eingeschlafen sind, Herr Steffen! Die haben wahrscheinlich zu lange gefeiert!)
Heute zum Glück nicht; es sind alle gerade noch wach geblieben. Sie haben auch mal wieder en passant offenbart, dass Sie Schwierigkeiten mit dem wichtigen rechtsstaatlichen Grundsatz, der Bindung an Recht und Gesetz, haben. Das machen Sie hier deutlich.
Worum geht es? Es geht um das sogenannte Leitentscheidungsverfahren. Meine beiden Vorrednerinnen aus den Koalitionsfraktionen haben das schon dargestellt. Es ist ein sinnvolles Gesetz, das von vielen Richterinnen und Richtern gewünscht wird. Sie haben gesagt: Führt das jetzt endlich ein! Das kann uns als kurzfristige Erleichterung bei den Massenverfahren helfen. – Es hat in der Tat den Vorteil – Sonja Eichwede hat darauf Bezug genommen –, dass unsere Zivilprozessordnung ohne große Schwierigkeiten entsprechend geändert werden kann. Die Änderung wird also zu keinen großen Folgeproblemen führen.
Ich habe im parlamentarischen Verfahren deutlich gemacht – und das ist auch in den Beiträgen der Berichterstatterinnen der Koalitionsfraktionen deutlich geworden –: Natürlich machen wir uns Gedanken über weiter gehende Regelungen.
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Ja, über Monate!)
Das muss auch so sein, weil sich dieses Verfahren nur für eine Erleichterung bei den aktuellen Massenverfahren anbietet. Es besteht auch das Problem, dass es nach wie vor vergleichsweise lange dauert, weil ein erstes Verfahren überhaupt erst mal zum Bundesgerichtshof gekommen sein muss. Das Phänomen, das wir bei den Dieselverfahren erlebt haben, bleibt erhalten.
Wie war es denn bei den Dieselverfahren? Tausende Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Auto gekauft und gedacht: Da habe ich mir etwas Vernünftiges angeschafft. – Aber dann haben sie festgestellt: Das Auto stößt viel mehr Dreck aus und verbraucht viel mehr, als es mir beim Verkauf vermittelt wurde. Das ist natürlich ausgesprochen ärgerlich. Dann haben einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher, für die der Kaufpreis des Autos eine große Summe war, gegen einen großen Automobilkonzern geklagt, also eine David-gegen-Goliath-Situation. Das hat der Automobilkonzern dann geschickt genutzt: Immer, wenn ein Verfahren zum BGH zu kommen drohte, wurde dem Kläger oder der Klägerin ein Vergleich angeboten, der ausgesprochen attraktiv war, um eine Präzedenzrechtsprechung zu verhindern. Damit waren alle Instanzen und Verfahren weiterhin ohne eine entsprechende Orientierungsentscheidung. Das kann auch weiterhin passieren, weil, wie gesagt, ein Verfahren erst einmal zum Bundesgerichtshof gelangen muss.
Wir brauchen in der Tat Verfahren, die dazu geeignet sind, schneller zum Bundesgerichtshof zu kommen. Deswegen brauchen wir Verfahren, wie wir sie hier diskutiert haben, insbesondere ein Vorlageverfahren, also dass ein unteres Gericht sagen kann: Dieses Verfahren – ich sehe es doch – ist bei vielen anderen Kolleginnen und Kollegen auch auf dem Tisch.
(Fabian Jacobi [AfD]: Warum steht das dann nicht in Ihrem Gesetzentwurf? Machen Sie es doch einfach! Reden Sie doch mal vom heutigen Gesetzentwurf! Da steht das nicht drin!)
Wir müssen das angehen, damit wir einen entsprechenden Gesetzentwurf bekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Sie sind in der Regierung! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Dann machen Sie es doch!)
Das ist es, was wir brauchen und was auch von der gerichtlichen Praxis eingefordert worden ist,
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sie machen das, was wir nicht brauchen! Und das, was wir brauchen, machen Sie nicht!)
nämlich dass wir „vor die Lage“ kommen und es schaffen, einer Vielzahl von Verfahren gerecht zu werden. Deswegen brauchen wir neben den bereits eingeführten Instrumenten weitere Instrumente.
Ein wichtiger Bestandteil, den wir bereits eingeführt haben, ist die Verbraucherverbandsklage, also dass zum Beispiel die Verbraucherzentrale die Verfahren für viele Verbraucherinnen und Verbraucher bündeln und so mit einer entsprechenden Schlagkraft vorgehen kann. Das adressiert ja das Problem, das ohnehin besteht, nämlich dass ein einzelner Käufer zum Beispiel eines Autos nicht die Ressourcen hat, Gutachten erstellen zu lassen, die es braucht, um nachzuweisen, dass ein Fehler in dem Auto eingebaut worden ist. Da ist es sinnvoll, wenn die Kräfte gebündelt werden. Das erreichen wir bereits durch die Verbraucherverbandsklage. Die haben wir gemeinsam eingeführt. Damit haben wir schon einen wichtigen Schritt unternommen, um solchen Massenverfahren gerecht zu werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Das würden wir – es sollte und muss das Ziel sein, dass wir diesen Schritt auch noch gehen – durch ein Vorlageverfahren ergänzen.
Das heute zu beschließende Leitentscheidungsverfahren ist ein Schritt; wir sollten weitere Schritte gehen. Der Erfolg wird in der Tat davon abhängen, ob die Richterinnen und Richter, die am Bundesgerichtshof darüber entscheiden, ein Verfahren zum Leitentscheidungsverfahren zu machen, davon auch beherzt Gebrauch machen. Nur dann kann es eine entlastende Wirkung entfalten. Da es ein ausdrücklicher Wunsch aus dem Bundesgerichtshof war,
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Von der Präsidentin!)
diese Verfahrensart einzuführen, wäre es sinnvoll, wenn es von der Praxis entsprechend aufgegriffen würde. Da sehe ich die Richterinnen und Richter am Bundesgerichtshof in der Pflicht.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 188 |
Tagesordnungspunkt | Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH |