Volker UllrichCDU/CSU - Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 93 Prozent – das ist der Anteil der Klagen vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen, die Fluggastrechte betreffen. Warum Königs Wusterhausen? Weil dieses Gericht für den Flughafen Berlin-Brandenburg zuständig ist. Das zeigt, dass die Dimension der Massenverfahren zu einer erheblichen Belastung und Überlastung der Justiz führt.
Wir haben auf der einen Seite Massenverfahren mit einfach gelagertem Sachverhalt, mit einfachen Rechtsfragen und auf der anderen Seite komplexe Sachverhalte und möglicherweise auch komplexe Rechtsfragen. Wir müssen für beides eine Lösung finden. Mit Verlaub: Was Sie vorgelegt haben, löst weder das eine noch das andere. In Anlehnung an die Rede vom Kollegen Dr. Steffen: Sie machen das, was wir nicht brauchen, und verweigern die Lösung, die jetzt notwendig wäre. Das ist keine kluge Rechtspolitik.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Problem beim Leitentscheidungsverfahren ist doch schlichtweg die zeitliche Abfolge: Sie müssen erst zum Bundesgerichtshof kommen. Das heißt, Sie müssen den Instanzenzug durchlaufen, dann eine Revision einreichen, die Revisionserwiderung abwarten, dann müssen mehrere Fälle beim Bundesgerichtshof auftauchen, und erst dann entscheidet der Bundesgerichtshof, welches Verfahren er zum Leitentscheidungsverfahren macht. Das dauert viel zu lange. Das ist einem schnellen Ablauf nicht zuträglich. Und was Sie vollkommen übersehen haben: Die Verbraucher tragen ein erhebliches Kostenrisiko, bis sie überhaupt zum Bundesgerichtshof kommen. Das ist in keinster Weise verbraucherfreundlich. Es ginge wesentlich besser.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wie ginge es besser? Indem wir ein Vorabentscheidungsverfahren oder ein Vorlageverfahren einführen. Unsere Rechtsordnung kennt das bereits, und zwar sowohl durch den Europäischen Gerichtshof bei der Frage der Auslegung von europäischem Recht als auch durch Artikel 100 Grundgesetz bei der Frage der Vereinbarkeit von Normen mit unserem Grundgesetz durch das sogenannte Vorlageverfahren zum Bundesverfassungsgericht. Etwas Ähnliches wäre auch für die Ziviljustiz klug gewesen, um dem Bundesgerichtshof, der die Rechtsfrage ohnehin letztlich bestimmend auslegen wird, die Möglichkeit zu geben, schon frühzeitig in dieses Verfahren eingreifen zu können. Ein solches Vorlageverfahren wäre auch nach der Sachverständigenanhörung die beste Lösung gewesen. Aber diese Lösung steht eben nicht in Ihrem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es gibt einen zweiten Punkt, den wir hier seit einiger Zeit anmahnen, den Sie auch nicht angehen. Das ist die Frage, ob wir – wenn ich zu den Fluggastrechten zurückkommen darf – bei den einfach gelagerten Sachverhalten mit Streitwerten unter 1 000 Euro nicht im Zuge von Smart Contracts zu einer automatischen Entschädigung kommen können, um dieses Thema von vornherein durch intelligente Abwicklung vom Tisch zu bekommen. Das wäre eine erhebliche Entlastung für die Justiz.
Sie handeln bei dem Thema nicht im Großen und nicht im Kleinen. Bei allem Respekt für Ihr Bemühen: Wir können Ihrem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Wort hat für die SPD-Fraktion Luiza Licina-Bode.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 20 |
Session | 188 |
Agenda Item | Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH |