Thorsten LiebFDP - Reform im Beschlussmängelrecht
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen die Hauptversammlung zu einem Ort des intensiven und lebendigen Dialogs zwischen Eigentümerinnen und Eigentümern machen – zu einem Festtag für das Unternehmen. Denn die Hauptversammlung ist das Herzstück des Unternehmens. Hier schlägt der Puls. Die Hauptversammlung ist die zentrale Kommunikationsplattform, auf der sich Unternehmer und Eigentümer treffen und in den Austausch treten. So weit die Theorie und das Idealbild. Grundlegende Entscheidungen für die Struktur einer Aktiengesellschaft werden auf den Hauptversammlungen getroffen: Kapitalmaßnahmen wie die Erhöhung des Grundkapitals, Restrukturierung usw. usf. Die entscheidenden Weichenstellungen für die Zukunft eines Unternehmens werden dort vorgenommen.
Und es sind – das ist wichtig zu betonen – die Aktionärinnen und Aktionäre, die maßgeblich diese wesentlichen Entscheidungen treffen und auch treffen müssen; denn es geht um ihr Eigentum, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und das muss in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt werden. Dazu braucht es Formate, die eine lebendige Debatte ermöglichen, in der kritische Nachfragen gestellt werden können, ehrliche Antworten gegeben und neue Ideen und Gedanken ausgetauscht werden können. Bevor Entscheidungen getroffen werden, müssen die Eigentümer mit entsprechenden Informationen versorgt werden. Tatsächlich findet diese lebendige Debatte auf deutschen Hauptversammlungen jedoch nahezu nicht statt. Über die Gründe wird intensiv diskutiert. Ist es fehlender Mut? Gibt es rechtliche Gründe?
Seit mehr als 150 Jahren wird ein Thema besonders stark diskutiert, das Beschlussmängelrecht. Und genau darum geht es heute Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen. So sagte der deutsche Politiker und Jurist Isaac Wolffson – ein bisschen Rechtsgeschichte darf am frühen Abend auch sein – auf dem 11. Deutschen Juristentag im Jahr 1873, das Beschlussmängelrecht sei – ich zitiere – „ein Gebiet, auf dem namentlich das Actienrecht … außerordentliche Dunkelheit hervorgebracht“ habe und auf dem – ich zitiere weiter – „nichts wünschenswerther wäre, als die Sache ins Klare und Bestimmte zu stellen“. Bis heute hat diese Analyse nichts von ihrer Gültigkeit verloren.
Das Beschlussmängelrecht ist äußerst komplex, und die Sichtweisen darauf sind extrem unterschiedlich. Und das ist das Problem, das sich in diesem Antrag im Kern widerspiegelt. Für Aktionärinnen und Aktionäre ist das Beschlussmängelrecht nämlich ein wichtiges Instrument zur Beschlusskontrolle. Daher braucht es einen angemessenen Interessenausgleich zwischen der Verwaltung des Unternehmens und den Eigentümerinnen und Eigentümern. Und das leistet dieser Antrag nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Er schadet nämlich mehr, als dass er nützt.
Er betrachtet nicht das komplexe Thema der effektiven Kontrolle von Beschlüssen auch im Freigabeverfahren; das ist nicht wirklich beleuchtet. Er hat nicht im Blick, dass eine lebendige Aktienkultur weit mehr Facetten hat als das Beschlussmängelrecht. Die Flexibilisierung der Rechtsfolgen – das ist eine kluge und richtige Idee – wird angesprochen, aber nicht weiter konkretisiert. Dabei ist genau das der Punkt, an dem die Praxis noch gar nicht am Ende mit ihrer Diskussion ist.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Praxis hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren in vielen Gesprächen und auf vielen Konferenzen mit unterschiedlichen Sichtweisen angenähert. Ganz besonders konnte man das in der vergangenen Woche bei mir in meinem Wahlkreis in Frankfurt am Main auf der 21. Jahrestagung „Die Hauptversammlung“ des Deutschen Aktieninstituts nachvollziehen. Dort war das nämlich das zentrale Thema. Diesen Prozess sollten wir, ja, müssen wir als Politik begleiten und dabei gemeinsam auf eine tragfähige Entwicklung hinwirken. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingt. Dieser Antrag trägt dazu aber nicht bei. Er wäre vielmehr ein Rückschritt in der aktuellen Diskussion. Das konnte man letzte Woche ausgesprochen gut nachvollziehen.
Ich freue mich auf die weitere Diskussion. Mein Ziel ist klar – ich habe es eingangs formuliert –: Die Hauptversammlung muss wieder zu einem wirklichen Ort des lebendigen und offenen Austauschs werden. Die von mir zitierten Worte von Isaac Wolffson müssen endlich der Vergangenheit angehören – nach mehr als 150 Jahren! Es wird höchste Zeit, aber nicht mit diesem Antrag.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Lieb. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Stephan Mayer.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7615798 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 188 |
Tagesordnungspunkt | Reform im Beschlussmängelrecht |