Thomas RöwekampCDU/CSU - 3. Jahrestag der Evakuierungsmission in Afghanistan
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als am 22. Dezember 2001 unsere Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag den ersten Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan beschlossen haben, war das eine mutige Entscheidung. Die Mehrheit in der Öffentlichkeit stand einem Auslandsengagement der Bundeswehr kritisch gegenüber. Der damalige Bundeskanzler musste mit dem Stellen der Vertrauensfrage erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass seine eigene Koalition einer solchen Mandatierung zustimmt.
Als am 8. Januar 2002 die ersten Soldatinnen und Soldaten sich auf den Weg nach Afghanistan machten, war das eine ungewisse Mission. Seitdem hat der Deutsche Bundestag in unterschiedlichen Regierungsmehrheiten, aber immer mit der breiten Unterstützung der Mehrheit in der Mitte dieses Parlamentes die Fortsetzung des Einsatzes beschlossen und hat sich dadurch auch von Anfang an ganz klar abgegrenzt von den linken und den rechten Populisten, die nur vor dem Hintergrund der schnellen populistischen Erfolge diesen Einsatz abgelehnt haben.
Donald Trump hat im Jahr 2019 ohne Absprache mit seinen Verbündeten in der NATO und auch ohne Absprache mit Deutschland das Ende des amerikanischen Engagements in dieser Mission angekündigt. Und trotz aller Versuche, ihn und seinen Nachfolger zu einer veränderten Auffassung mit Blick auf eine Fortsetzung des Mandates zu bewegen, war die Beendigung des Einsatzes damit unumstößlich. Das Abkommen von Doha, der Beginn unseres Untersuchungszeitraums im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, war am Ende eine einseitige amerikanische Erklärung und Vereinbarung mit den Taliban – unabgestimmt nicht nur mit der damaligen afghanischen Regierung, sondern insbesondere auch unabgestimmt mit den NATO-Partnern.
Und es enthielt einen ganz entscheidenden inhaltlichen Fehler, nämlich dass der Abzug der internationalen Kräfte aus Afghanistan bedingungslos erfolgen sollte. Der Erhalt all der in 20 Jahren mühsam aufgebauten Erfolge in der Demokratisierung der Gesellschaft, in der Gleichberechtigung von Frauen, in den Zukunftschancen der Kinder, in der Stabilisierung der Sicherheit und nicht zuletzt auch in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der Keimzelle dieses Auftrags, war damit nicht Bedingung für den Abzug.
Deutschland hat versucht, diesen Fehler nachträglich zu korrigieren. Und es ist leider trotz erheblicher Anstrengungen, wie wir im Untersuchungsausschuss feststellen konnten, bis zum Schluss nicht gelungen, die Amerikaner dazu zu bewegen, ihre Haltung zu überdenken.
Trotzdem bleiben die Erfolge dieser Mission. Wir alle haben die Bilder von der Evakuierungsmission vor Augen. Aber wir sollten uns auch wieder vor Augen führen, welche wertvolle Unterstützung auch die deutschen Soldatinnen und Soldaten in diesem Einsatz für das afghanische Volk geleistet haben. Über 160 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten haben sich in diesem Einsatz engagiert. Wir haben einen hohen Preis bezahlt: 59 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind im Rahmen dieses Einsatzes gestorben; Hunderte sind seelisch und körperlich verletzt und leiden noch heute an den Folgen dieses Einsatzes.
Aber ihr Einsatz war eben nicht umsonst. Er war wichtig für unsere sicherheitspolitischen Interessen. Er war wichtig für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Er war wichtig für die Menschen in Afghanistan. Und deswegen kann man sagen: Der deutsche Einsatz in diesem Engagement hat sich gelohnt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Bundeswehr hat ihren Einsatz im Rahmen des Mandats plangemäß und zuverlässig beendet. Am 30. April 2021 wurde der Auftrag in dem Mandat eingestellt. Am 29. Juni 2021 verließen die letzten deutschen Soldatinnen und Soldaten den Flughafen von Kabul. Damit war das militärische Engagement beendet.
Dennoch war der Einsatz der Bundeswehr nicht beendet; denn es zeigte sich sehr schnell in der Folgezeit und dann mit einer überraschenden Dynamik, dass die Bundeswehr noch einmal gebraucht werden würde – im Rahmen einer Evakuierungsmission. Zunächst für die deutschen Staatsangehörigen, die noch in Afghanistan waren, aber später eben auch für die von deutschen Stellen beschäftigten Ortskräfte und ihre Familien und andere bedrohte Menschen in Afghanistan musste die Bundeswehr noch einmal ausrücken. Und auch diese Bilanz kann sich sehen lassen: Mit insgesamt 37 Flügen in zehn Tagen ist es gelungen, 5 347 Menschen aus 45 Ländern aus Afghanistan zu evakuieren, unter ihnen übrigens auch 4 100 Afghaninnen und Afghanen.
Aber trotzdem: Der Einsatz war kein Erfolg. Am Ende ist es nicht gelungen, allen Menschen, die Afghanistan aus guten Gründen verlassen wollten, weil sie sich in ihrer Sicherheit, in ihrer Freiheit und ihrem Leben bedroht fühlten, eine Evakuierung zu ermöglichen.
Die Umstände, die dazu geführt haben, untersuchen wir noch; sie sind vielfältig. Aber eines kann man heute schon sagen: Deutschland war auf diese Evakuierungsmission nicht gut vorbereitet. Deutschland hat zu lange darauf gesetzt, dass es noch gelingt, im Land mit den humanitären Angeboten und der Hilfe, die wir geleistet haben, zu bleiben.
Ich sage für die CDU/CSU-Fraktion zu, dass wir in den kommenden Beweisaufnahmen – ich hoffe, auch in einem gemeinsamen Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses – die damals gemachten Fehler gründlich aufklären und benennen wollen. Unabhängig von Schuldzuweisungen sollten wir auch dazu kommen, dem Parlament Vorschläge zu machen und Empfehlungen zu geben, wie die gemachten Fehler in Zukunft vermieden werden können.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Dr. Ralf Stegner.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 189 |
Tagesordnungspunkt | 3. Jahrestag der Evakuierungsmission in Afghanistan |