27.09.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 189 / Tagesordnungspunkt 34

Ralf StegnerSPD - 3. Jahrestag der Evakuierungsmission in Afghanistan

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Frau Präsidentin! Liebe Wehrbeauftragte! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei Jahre nach dem Abzug aus Afghanistan, dem längsten, teuersten, größten Einsatz der Bundeswehr und ziviler Helfer – Tausende von Afghanen sind ums Leben gekommen, Menschen sind verwundet worden, Deutsche sind verwundet worden; am Ende dieser Bilanz stehen eine furchtbare Regierung, die dort Verantwortung trägt, und ein Land, das zerstört und verwüstet worden ist –, könnte man wie Margot Käßmann auf die Idee kommen und sagen: Nichts ist gut in Afghanistan. Und doch würde ich sagen: Es gibt vieles, was auch gut gewesen ist in Afghanistan. Gut ist zum Beispiel, dass unsere Demokratie die Stärke hat, mit einer Enquete-Kommission und einem Untersuchungsausschuss den Fehlern nachzugehen. Das unterscheidet nämlich eine Demokratie von anderen Regierungsformen: dass wir uns angucken, was falsch gelaufen ist und was wir daraus lernen können. Gut ist gewesen, dass sich Polizistinnen und Polizisten und Soldatinnen und Soldaten, die wir dahin geschickt haben, für diesen Auftrag eingesetzt haben. Sie haben ihr Leben riskiert, sich in Gefahr begeben. Sie verdienen unseren Dank und unseren Respekt, und die an Leib und Seele Verletzten verdienen unsere Unterstützung, ihre Angehörigen auch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die vielen zivilen Einsatzkräfte, die dort zum Beispiel etwas für Frauen- und Mädchenbildung getan und investiert haben, die sich ferngehalten haben von Korruption, die unserem Land hohes Ansehen gebracht haben, verdienen unseren Dank, dass sie diese schwierige Arbeit in Afghanistan getan haben, genauso wie in vielen anderen Ländern dieser Welt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die vielen afghanischen Ortskräfte, die für uns, für Deutschland lange Jahre gearbeitet haben, denen gegenüber wir nicht jedes Versprechen, das wir ihnen gegeben haben, eingehalten haben, verdienen unseren Dank und unsere Unterstützung. Ohne Ortskräfte könnten wir diese Arbeit gar nicht leisten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die Ministeriumsmitarbeiter, die in der Schlussphase teilweise rund um die Uhr gearbeitet haben, um zu helfen, um Menschen rauszukriegen, die nicht Dienst nach Vorschrift gemacht haben, wie man das manchmal hört, sondern sich sehr angestrengt, sich eingesetzt und freiwillig gemeldet haben, verdienen unseren Dank und unsere Anerkennung für das, was sie getan haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Alle verdienen Respekt. Wir haben die Gedenkstätte am Schwielowsee besucht. Es war sehr ergreifend, zu sehen, wie Menschen damit umgehen müssen. Afghanistan war der erste richtige Kampfeinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Bodeneinsatz, der ja auch Folgen hatte. Das in einer Demokratie nicht zu vergessen und zu bedenken, auch das ist eine gute Sache.

Und wir haben auch schon aus Fehlern gelernt. Wir haben bei der Evakuierung in Mali schon manches besser gemacht. Manche Berichte an den Bundestag waren nicht mehr ganz so euphemistisch wie früher, sondern realistischer. Auch das ist vernünftig.

Und ja, es stellen sich Fragen – wir sind noch nicht am Ende –: War die Zuständigkeit manchmal ein bisschen zu starr, das Silodenken der Ministerien? War da zu wenig Führung und zu wenig Koordination? War es wirklich richtig, in der NATO so zu verfahren wie Donald Trump und die Verbündeten gar nicht mitzunehmen? Ist es gut gewesen, dass die Nachrichtendienste in Teilen doch mit alten Methoden gearbeitet haben und das eine oder andere viel zu spät erfahren haben, statt neue Erkenntnisse zu gewinnen? Ist die Frage von Zuständigkeit und Engagement wirklich ein Gegensatz? Wir haben Diplomaten getroffen, die sich nicht für die Ortskräfte interessiert haben, und wir haben einen fabelhaften Oberstleutnant getroffen, der gezeigt hat, dass man auch jenseits von Zuständigkeiten etwas tun kann für seine Leute, menschliche Größe haben und sich einsetzen kann, damit Humanität auch in solchen Situationen eine Chance hat.

Etwas hat mich bekümmert. Wir haben festgestellt, dass es die deutsche Tradition gibt, wenn es um die Entscheidung zwischen Bürokratie und Humanität geht, sich für die Bürokratie zu entscheiden. Darüber sollten wir nachdenken. Das müssen wir, glaube ich, ändern. Das gilt auch für andere Bereiche.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Aber lassen Sie mich noch Dank sagen an den Untersuchungsausschuss, an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen, das Ausschusssekretariat, die fabelhafte Bundestagsverwaltung, all diejenigen, die mitgeholfen haben – ein Ausschuss, der bisher 340 Stunden getagt, 92 Zeugen befragt, 2 Millionen Seiten Beweismaterial gesichtet hat, dessen Mitglieder der demokratischen Fraktionen sehr sachorientiert zusammengearbeitet haben. Wir werden am Ende, glaube ich, zu einem Ergebnis kommen können, das Ausdruck einer gemeinsamen Lernerfahrung sein wird. Das ist gut für unsere Demokratie.

Das zeigt übrigens, dass wir in Zeiten, wo wir von Extremisten angegriffen werden, in der Demokratie die Stärke haben, bei wichtigen Dingen zusammenzuhalten. Wir zeigen so der Öffentlichkeit: Wir machen unseren Job. Und das wollen wir auch bis Ende nächsten Jahres tun. Ich finde, die Legislaturperiode sollte ordentlich zu Ende gehen, sodass auch unsere Arbeit im Untersuchungsausschuss zu einem ordentlichen Abschluss kommt. Es wird eine Empfehlung geben an diejenigen, die nach uns kommen, damit sie aus den Fehlern lernen können, auf dass wir es in der Zukunft besser machen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7615939
Wahlperiode 20
Sitzung 189
Tagesordnungspunkt 3. Jahrestag der Evakuierungsmission in Afghanistan
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