Jörg NürnbergerSPD - 3. Jahrestag der Evakuierungsmission in Afghanistan
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Wehrbeauftragte Dr. Eva Högl! Verehrte Gäste auf den Tribünen! Heute blicken wir auf den dritten Jahrestag der Evakuierungsmission in Afghanistan zurück. Es ist für mich ein Tag des Gedenkens, ein Tag des Innehaltens, aber auch ein Tag, um die Frage nach der politischen Verantwortung zu stellen.
Im August 2021 endete die bisher größte militärische Evakuierungsaktion der Bundeswehr. Es war eine der gefährlichsten Missionen überhaupt. Ich möchte deshalb insbesondere die Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten würdigen, die während dieser Mission unter widrigsten Umständen und stets an der Belastungsgrenze und manchmal auch weit darüber hinaus gearbeitet haben. Rund 600 Einsatzkräfte aus allen Teilen der Bundeswehr agierten unter der Leitung von Brigadegeneral Jens Arlt als wirkliche Einheit. Ich bin froh, dass dabei niemand zu Schaden gekommen ist. Es ist dabei festzuhalten, dass die eingesetzten Kräfte vorher nie in dieser Zusammensetzung im Einsatz waren, sich teilweise auch gar nicht persönlich kannten und auch aus dem Sommerurlaub zurückgeholt werden mussten. Während der elftägigen Mission wurden deutsche Staatsangehörige und ihre Familien, aber auch viele andere Schutzsuchende – die Zahl wurde bereits erwähnt; es waren 5 347 Männer, Frauen und Kinder aus 45 Nationen – in Sicherheit gebracht. An vorderster Front – wenn Sie diesen Begriff in diesem Zusammenhang gestatten –, vor den Toren des Kabuler Flughafens identifizierten und retteten die Soldatinnen und Soldaten diese Menschen aus lebensbedrohlichen Situationen – im Angesicht der Taliban und des Chaos einer zerfallenden Staatsordnung mit Tausenden aufgebrachter und verzweifelter Menschen vor dem Nordtor. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit verdienen deshalb unser höchstes Lob und unsere uneingeschränkte Anerkennung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Thomas Erndl [CDU/CSU])
Besonders tief bewegt haben mich die Schilderungen von Brigadegeneral Arlt, aber auch die von einem jungen Oberleutnant, 28 Jahre alt, dem stellvertretenden Leiter der Feldjäger, der am Tor eigenverantwortlich, auf sich gestellt, die Entscheidung treffen musste: „Wer darf rein, und wer muss zurück?“, wie auch die des KSK-Kommandeurs vor Ort. Wir haben von den extremen physischen und psychischen Belastungen erfahren, aber auch von der Frustration und teilweise von der Wut über die chaotischen Umstände dieser Mission, von Problemen bei der Übermittlung der Evakuierungslisten, von teilweise unzureichender Ausstattung und besonders von einem: dem ständig währenden Zeitdruck.
Da stellt sich automatisch die Frage: Wo wurden Fehler gemacht? Wer trägt hierfür politische Verantwortung? Der Untersuchungsausschuss ist genau das richtige Mittel, um diese Fragen zu erforschen. Wir nehmen unsere Aufgabe daher sehr sorgfältig wahr, zumindest die demokratischen Fraktionen in diesem Gremium, und arbeiten in aller Regel fraktionsübergreifend unter den Demokraten gut zusammen. Es ist nämlich unsere Verantwortung als Parlament, diese Erfahrungen ernst zu nehmen und die notwendigen Lehren daraus zu ziehen. Nur so können wir sicherstellen, dass zukünftige Einsätze besser vorbereitet und noch effektiver koordiniert und durchgeführt werden können. Wir werden im Untersuchungsausschuss in den kommenden Wochen das Handeln der Bundesregierung in dieser kritischen Phase ganz genau durchleuchten. Wir dürfen eben nicht zulassen, dass Ressortstreitigkeiten und bürokratische Hürden künftige Einsätze belasten und dadurch unter Umständen unsere Soldatinnen und Soldaten gefährdet werden.
Abschließend möchte ich selbstverständlich auch die vielen afghanischen Ortskräfte nicht vergessen zu erwähnen – das ist auch eine Frage der Menschlichkeit –, die über Jahre hinweg uns und der Bundeswehr und den zivilen Organisationen in Afghanistan geholfen haben, ihren Auftrag durchzuführen. Ohne deren Unterstützung wäre unser Engagement in Afghanistan nämlich gar nicht möglich gewesen. Viele von ihnen – da widerspreche ich ausdrücklich der AfD – setzen sich persönlichen Gefahren aus, um unseren dort eingesetzten Kräften zu helfen. Auch ihnen gegenüber sind wir heute verpflichtet, unsere Zusagen einzuhalten. Ich werbe sehr dafür.
Sehr geehrte Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich der inzwischen 60 Soldatinnen und Soldaten gedenken, die in Afghanistan oder in der Folge ihr Leben ließen. Wir stehen als Gesellschaft tief in ihrer Schuld und sind verpflichtet, ihnen ein ehrendes Andenken zu wahren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die Gruppe BSW hat das Wort Sevim Dağdelen.
(Beifall beim BSW)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7615946 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 189 |
Tagesordnungspunkt | 3. Jahrestag der Evakuierungsmission in Afghanistan |