27.09.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 189 / Tagesordnungspunkt 35

Michael MüllerSPD - Afghanistan- und Syrienpolitik

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gut, dass wir heute wieder über Afghanistan und Syrien reden können. Die Anträge der AfD sind dafür allerdings keine seriöse Grundlage. Es wird scheinbar über Diplomatie gesprochen. Gemeint ist aber, wenn man die Anträge liest, dass es um Abschieben, um Hilfeeinstellen geht

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das will der Kanzler doch auch! – Tino Chrupalla [AfD]: Da müssen Sie noch mal richtig lesen!)

und natürlich um das Einstellen der ganzen dringend benötigten Projekte, um die Situation für die Menschen in Afghanistan zu verbessern. Das ist keine Grundlage.

(Beatrix von Storch [AfD]: Mensch, Müller!)

Aber der Deutsche Bundestag hat gesagt: Wir wollen uns seriös mit Afghanistan auseinandersetzen, durch die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses und einer Enquete-Kommission. Tatsächlich ist es auch dringend nötig, weiter hinzugucken.

1996 haben die Taliban das erste Mal Kabul erobert. Es ist in den 20 Jahren unseres internationalen Einsatzes nicht gelungen, die Strukturen der Taliban zu zerschlagen. Seit drei Jahren sind sie wieder an der Macht. Sie sitzen wahrscheinlich fester im Sattel als je zuvor. Es ist nicht zu erkennen, dass sich an der Situation in nächster Zeit etwas verändern wird.

Die Situation für die Menschen vor Ort ist dramatisch, insbesondere natürlich für die Frauen und Mädchen. Dieses Tugendgesetz der Taliban ist der reinste Hohn, schon im Begriff. Es geht um nichts anderes als darum, die Frauen und Mädchen aus der Öffentlichkeit zu verbannen, ihnen jede Chance, ihr Leben zu gestalten, zu nehmen. Darum geht es den Taliban mit diesem Tugendgesetz.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Gleichzeitig hungern 23 Millionen Menschen in diesem Land. Es gibt eine bittere Hungernot. Viele erfrieren im Winter. Wir haben noch die zusätzlich schlimme Situation der nach Pakistan Geflüchteten, die nun von Pakistan wieder nach Afghanistan zurück abgeschoben werden, in einer direkten Verfolgungssituation sind und um ihr Leben bangen müssen.

Meine Damen und Herren, all das führt dazu, dass es richtig ist, hinzugucken. Richtig ist, glaube ich, auch, nicht nur aus der Ferne mit erhobenem Zeigefinger zu drohen und die Taliban zu isolieren. Richtig, wir wollen uns mit denen nicht gemeinmachen. Aber ich glaube, es ist auch an der Zeit, darüber nachzudenken, ob wir uns nicht jenseits einer Botschaft und eines Botschafters im Rahmen einer eigenen Struktur, einer eigenen Vertretung vor Ort ein Bild über die Lage machen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP] – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Aha! – Stefan Keuter [AfD]: Hört! Hört! Sich selbst in einer Rede zu widersprechen, da gehört schon was zu!)

Ich glaube, dass es dringend notwendig ist, vor Ort handeln zu können. Zum Glück haben die Taliban es nicht geschafft, überall ihren Machtanspruch durchzusetzen. Es gibt Regionen, in denen Frauen und Mädchen noch kleine Chancen haben, in denen ihnen Möglichkeiten eröffnet werden. Wir müssen vor Ort sein, um auch denjenigen zu helfen, die sich diese Freiräume geschaffen und erhalten haben.

Meine Damen und Herren, ich will an der Stelle ganz klar sagen: Auch wenn es um das Thema Abschieben geht, glaube ich, ist es nötig, über eigene Strukturen vor Ort zu reden,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist ja unser Antrag! – Beatrix von Storch [AfD]: Das ist ja unerhört!)

um nicht mehr von Ländern wie Katar abhängig zu sein, sondern unsere deutsche Politik, das, was wir wollen, vor Ort auch selbst in die Hand nehmen und umsetzen zu können.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Bringen Sie doch einen Antrag ein!)

Meine Damen und Herren, ich will noch einen Punkt nennen, der mir in dem Zusammenhang sehr wichtig ist. Ralf Stegner und viele andere Rednerinnen und Redner haben deutlich gemacht, wie wichtig die Unterstützung durch die Ortskräfte für unsere Soldatinnen und Soldaten war. Wir haben ihnen gedankt und geklatscht für ihre Unterstützung und Hilfe. Ich glaube, vor diesem Hintergrund müssen wir sagen: Wir müssen verlässlich bleiben mit unseren Zusagen und den Leuten konkret helfen. Es kann nicht sein, dass ausschließlich durch eine Haushaltsentscheidung möglicherweise ein Aufnahmeprogramm sofort eingestellt wird, sondern wir haben Zusagen gemacht, wir haben Dinge versprochen, wir haben Menschen eine Perspektive bieten wollen, die uns geholfen haben, diesem Land zu helfen. Und nun müssen wir auch im Namen des Bundesaufnahmeprogramms dafür eine Perspektive finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Schahina Gambir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, abschließend: Ja, es ist keine einfache Situation. Nichts darf passieren, um sich mit diesem Regime gemeinzumachen. Aber wir sind es den Menschen gerade nach den 20 Jahren unseres Engagements schuldig, weiter hinzugucken, dem Land zu helfen und den Menschen vor Ort vor allen Dingen humanitär zu helfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Thomas Silberhorn für die Unionsfraktion ist der nächste Redner.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7615953
Wahlperiode 20
Sitzung 189
Tagesordnungspunkt Afghanistan- und Syrienpolitik
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