Michael Kellner - Aktuelle Stunde: Deutsche Wirtschaft in der Rezession - Wirtschaftswende
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute wurde die Herbstprognose der Bundesregierung vorgestellt. Nach einer Erholung zu Beginn des Jahres ist die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zum Stillstand gekommen,
(Dr. Carsten Linnemann [CDU/CSU]: Wie die Ampel! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wegen der Ampel!)
trotz deutlich sinkender Inflationsrate, trotz fallender Energiepreise, trotz steigender Kaufkraft für Verbraucherinnen und Verbraucher. Diese Punkte haben wir in den Griff bekommen; aber es reicht offensichtlich nicht aus.
Die vorgestellten Zahlen sind ein lauter Aufruf, deutliche Impulse für mehr Wachstum zu setzen. Dafür ist das Wachstumspaket der Bundesregierung entscheidend. Mit 120 Einzelmaßnahmen verbessern wir die Angebotsbedingungen für den Standort Deutschland. Dazu gehören: bessere Abschreibungsbedingungen, mehr Investitionsanreize durch gezielte Abschreibung. Wir verlängern die degressive AfA und heben den Satz von 20 auf 25 Prozent an. Angewandter Bürokratieabbau: Wir im BMWK waren Vorreiter mit den Praxischecks. Jetzt machen das alle Ressorts in der Bundesregierung, alle Ministerien. Ich finde, das ist ein wichtiges und gutes Signal; denn wir müssen schneller werden als Land.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir vereinfachen das Vergaberecht. Wir weiten das Arbeitsangebot aus und schaffen insbesondere für Ältere mehr Anreize, zu arbeiten, und wir erleichtern die Fachkräftegewinnung aus dem Ausland. Wir entlasten bei den Strompreisen durch die dauerhafte Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe und die Verlängerung der Strompreiskompensation für energieintensive Unternehmen.
Wenn die Wachstumsinitiative umgesetzt ist, kann sie bis zu 0,5 Prozent BIP-Wachstum auslösen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das glaubt ihr doch selber nicht!)
Die Resonanz aus Wissenschaft und Wirtschaft auf dieses Wachstumspaket ist positiv. Es wird positive Impulse setzen. Und wir sind selbstverständlich offen für Vorschläge, dieses Paket größer zu machen. Beim letzten Mal war es allerdings so, dass die Union im Bundesrat alles dafür getan hat, dass das Paket kleiner geworden ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Ich habe heute keine Vorschläge von Ihnen gehört. Ich mache Ihnen ein Angebot und lade Sie dazu ein: Setzen Sie mit uns gemeinsam im Bundesrat – da kommt es auch auf die unionsgeführten Länder an – diese Wachstumsinitiative um! Unser Land braucht es.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Und ja, die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes ist nicht ausreichend. Viele der konjunkturellen Probleme – ich habe sie gerade benannt – wie beispielsweise Inflation oder mangelnde Kaufkraft haben wir in den Griff bekommen. Wir sehen aber auch, dass wir an den strukturellen Problemen unseres Landes arbeiten müssen. Das Land wurde in den 2010er-Jahren strukturell vernachlässigt. In gewisser Weise war es ein Jahrzehnt des Wunschdenkens, es waren Jahre des fragwürdigen Vertrauens in die Verlässlichkeit Russlands als Rohstoff- und Energielieferant, Jahre eines zu zögerlichen Infrastrukturausbaus, Jahre verpasster Digitalisierung, Jahre, in denen die Abhängigkeit gegenüber Drittstaaten gewachsen ist und der bevorstehende demografische Umbruch einfach ausgeblendet wurde.
(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Albern!)
Diese Jahre des Wunschdenkens endeten spätestens im Februar 2022 mit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Seither geht es unter extrem herausfordernden Umständen darum, die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes nachhaltig zu stärken. Schocks wie die Coronapandemie oder explodierende Energiepreise infolge des russischen Angriffskrieges und eine über Jahre vernachlässigte Standortpolitik lassen sich nicht innerhalb weniger Monate einfach auflösen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Ganz entscheidend ist: Wir müssen gemeinsam mehr Wege finden, Investitionen in diesem Land zu ermöglichen. Hier geht die Bundesregierung voran. Während die investiven Ausgaben des Bundes 2021 im Soll bei rund 60 Milliarden Euro lagen, sind für das Jahr 2024 70 Milliarden Euro eingestellt, also eine große Steigerung. Das reicht aber nicht aus. Eine Reform der Schuldenbremse oder die Schaffung weiterer Sondervermögen, wie auch der BDI vorschlägt, sind notwendig, um mehr Investitionen für unser Land möglich zu machen.
Wir hatten in den letzten drei Jahren die schwerste Energiekrise seit Jahrzehnten. Wir haben als Land gemeinsam in einem immensen Tempo und Kraftakt auf diese Situation reagiert. Die Preise sind wieder runtergegangen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Die Preise sind nicht runtergegangen! Die Inflation sinkt, aber die Preise steigen immer noch!)
Aber wir befinden uns mitten im Umbau eines Stromsystems; auch das ist eine strukturelle Aufgabe. Ein entscheidender Faktor für den Erhalt unseres Wohlstandes ist der Ausbau der erneuerbaren Energien.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Er hat rasant Fahrt aufgenommen. Beim Solarausbau sind für 2024 bereits 11 Gigawatt der geplanten 13 Gigawatt erreicht. Der Ausbau führt natürlich zu zusätzlichen Kosten im Netzausbau. Ich werbe dafür, die Kosten so zu verteilen, dass wir Verbraucher und Wirtschaft nicht überfordern. Wir müssen Wege finden, die Netzentgelte deutlich und verlässlich zu senken.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Dann machen Sie halt mal!)
Lassen Sie uns gemeinsam auf weitere Herausforderungen reagieren, zum Beispiel im Umgang mit China. Wir wollen ein Level Playing Field, aber keine Handelskriege. Deshalb sollten wir die Entscheidung der EU-Kommission zu Ausgleichszöllen auf E-Autos nutzen, um schnell zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Endlich verhandeln die Chinesen ernsthaft. Wir sind stark, wenn wir uns als Europa nicht spalten lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ihre Regierung ist doch gespalten!)
Auch die Beschleunigung des Hochlaufs der Wasserstoffwirtschaft ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland von enormer Bedeutung. Dafür braucht es eine entsprechende Infrastruktur. Das Kernnetz soll rund 9 700 Kilometer umfassen. Wir werden zentrale Wasserstoffstandorte anbinden und hierbei alle Regionen Deutschlands berücksichtigen. Ein entsprechendes Beschleunigungsgesetz liegt zur Beratung im Bundestag vor.
Abschließend will ich einen Punkt ansprechen, den ich von den Unternehmen sehr häufig höre: Sie fordern Planungssicherheit und Technologieklarheit. Sie wollen mit einem verlässlichen Rahmen arbeiten, der stabil bleibt und nicht andauernd wieder infrage gestellt wird. Das sehen wir bei Wärmepumpen und E-Autos. Die Unsicherheiten, die immer wieder vonseiten der Politik ausgestrahlt werden, schaden den Märkten. Sie schaden den Unternehmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP] – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Willkommen in der Realität! Das ist ja schon mal nicht schlecht!)
Weltweit steigt die Beschäftigung im Bereich erneuerbarer Energien, grüne Jobs boomen. Deshalb müssen wir diesen Pfad weitergehen. Er ist der richtige Weg.
Und mit unserer Wirtschafts- und Energiepolitik haben wir auch strukturelle Fortschritte erzielt. Während der Anteil russischer Erdgasimporte im Jahr 2021 über 50 Prozent betrug, beziehen wir heute kein Gas mehr aus Russland. Während erneuerbare Energien 2021 rund 40 Prozent des Stromverbrauches deckten, decken sie heute rund 60 Prozent ab. Während in Deutschland im Jahr 2021 noch rund 640 Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen wurden, betrugen die Emissionen im letzten Jahr rund 570 Millionen Tonnen. Und – das ist vielleicht am beeindruckendsten – wir haben von 2021 bis 2023 die genehmigten Trassenkilometer für den Stromnetzausbau vervierfacht. Wir werden sie dieses Jahr noch mal verdoppeln. Das ist eine Verachtfachung des Tempos. Das haben wir gemeinsam in der Ampel erreicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Das ist der Turbo gegen die Trägheit der Vergangenheit, die wir gemeinsam überwunden haben.
Der Standort Deutschland hat weiterhin viele Stärken: einen starken Mittelstand mit vielen Hidden Champions, eine breit aufgestellte Industrie, eine intakte soziale Marktwirtschaft, eingebettet in den europäischen Binnenmarkt, viele sehr gut ausgebildete Arbeits- und Fachkräfte. Wer Stärken hat, hat auch Kraft. Darauf setzen wir. Lassen Sie uns weiterhin an der Erneuerung unseres Wirtschaftsstandortes arbeiten.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616248 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Deutsche Wirtschaft in der Rezession - Wirtschaftswende |