Friedrich MerzCDU/CSU - Jahrestag des terroristischen Überfalls auf Israel
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenige Tage nach dem 7. Oktober des letzten Jahres haben wir hier im Deutschen Bundestag in großer Einmütigkeit die abscheulichen terroristischen Gräueltaten der Hamas in Israel verurteilt und die deutsche Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israels noch einmal bekräftigt. An dieser Einschätzung, an unserer damals und seither immer wieder bekundeten Solidarität mit Israel darf sich auch heute, ein Jahr später, nichts ändern, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Immer noch befinden sich über hundert Geiseln, darunter viele Frauen, in den Tunneln der Hamas im Gazastreifen. Beinahe täglich läuten die Sirenen in fast allen Teilen Israels, und Menschen fliehen in die Schutzbunker. Immer noch werden Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert. Und täglich beschießt die Hisbollah nun schon seit Monaten den Norden Israels mit Raketen. Über 60 000 Bewohner des Nordens Israels leben seit einem guten Jahr in Hotels und provisorischen Unterkünften weiter im Süden des Landes, weil der islamistische Terror sie in ihren Heimatstädten und -dörfern täglich bedroht.
Ja, es sterben viele unschuldige Menschen auch in Gaza und seit einigen Wochen auch im Libanon. Aber in Israel gibt es keine versteckten Waffendepots unter Krankenhäusern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der AfD und des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos])
Und in Israel gibt es keine Raketenabschussvorrichtungen neben Altenheimen und Kindergärten. Die Terroristen der Hamas und der Hisbollah missbrauchen unschuldige Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, als menschliche Schutzschilde für ihre grauenhaften Taten. Das Hauptquartier der Führung der Hisbollah-Terroristen lag unter einem dichtbesiedelten Wohngebiet mitten in Beirut. Ich will deswegen hier sehr klar sagen: Der Tod der engsten Führungsmannschaft der Hisbollah um Hassan Nasrallah ist ein großer Sicherheitsgewinn für Israel.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der AfD und des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos])
Er gibt zugleich allen Verantwortlichen in der Region und darüber hinaus das klare Signal, dass Israel und seine Armee entschlossen und in der Lage sind, das Land wirksam zu verteidigen.
Wir begrüßen diese Fähigkeiten des Staates Israel.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der AfD)
Wir richten aber auch die dringende Bitte an die Regierung in Jerusalem, mehr zu tun, um die Zivilbevölkerung in Gaza und im Süden des Libanon zu schützen. Israel hat ein berechtigtes Sicherheitsinteresse. Israel hat aber auch eine humanitäre Verantwortung gegenüber den vielen unschuldigen Menschen in seiner Nachbarschaft, die von diesem schrecklichen Krieg ebenfalls betroffen sind.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Barbara Benkstein [AfD] und Robert Farle [fraktionslos])
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere heutige Debatte gibt nicht nur Gelegenheit zur Rückschau auf das Jahr nach dem 7. Oktober 2023. Wir sollten auch eine erste Bilanz ziehen, wie es angesichts dieses Krieges im Nahen Osten um die Frage bestellt ist, ob denn Jüdinnen und Juden in unserem Land frei und unbeschwert leben können.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Dank Merkel nicht!)
Seit dem 7. Oktober 2023 registrierte die Polizei in Deutschland mehr als 8 500 antisemitische Straftaten, allein in diesem Jahr eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Aber es sind nicht nur die bloßen Zahlen einer Polizeistatistik,
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Die Zahlen von Merkel!)
sondern die persönlichen Geschichten, die uns die ganze Dramatik der Lage in unserem Land vor Augen führen.
Alle jüdischen Einrichtungen in Deutschland, ausnahmslos alle, Schulen, Synagogen, jüdische Gemeindehäuser, die Arbeitsplätze und die privaten Wohnhäuser und Wohnungen von Repräsentanten des jüdischen Lebens in Deutschland und die Repräsentanten selbst stehen in Deutschland seit dem letzten Jahr mehr denn je rund um die Uhr unter Polizeischutz. Und ein interkonfessioneller Gottesdienst am Montag dieser Woche zum Gedenken an die Terroranschläge konnte nur unter einem Großaufgebot an Polizei und mit weiträumigen Straßenabsperrungen rund um die Gedächtniskirche mitten in Berlin stattfinden. Meine Damen und Herren, damit dürfen wir uns nicht abfinden.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der Abg. Robert Farle [fraktionslos] und Thomas Seitz [fraktionslos])
In einer wachsenden Anzahl von Städten in unserem Land gibt es faktisch No-go-Areas für Jüdinnen und Juden. Wer mit einer Kippa durch die Turmstraße in Berlin-Moabit läuft, der begibt sich in ernsthafte Gefahr für Leib und Leben. Der Raum für jüdisches Leben in unserem Land wird enger, an den Universitäten, auf den Straßen, im gesamten öffentlichen Raum. Universitäten dulden über Tage und Wochen gewaltsame Besetzungen von palästinensischen Aktivisten und berufen sich dabei gegenüber dem Staat auf Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit. Die Freiheit der Kunst muss herhalten, um offenen und verdeckten Antisemitismus in Kunst und Kultur zu rechtfertigen.
(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])
Meine Damen und Herren, auch das dürfen wir nicht hinnehmen in Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der AfD und fraktionslosen Abgeordneten)
Jüdinnen und Juden sind Staatsbürger unseres Landes. Es ist genauso ihr Land, wie es das Land von katholischen und evangelischen Christen ist, von Muslimen und solchen, die keiner Religion angehören. Alle unsere Bürger, ausnahmslos alle, haben Anspruch auf die Durchsetzung des Schutzversprechens unseres Staates, und zwar ohne Kompromisse gegen den Rassismus von ganz rechts und ohne Kompromisse gegen die ideologische Verblendung von ganz links.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, Antisemitismus ist nicht allein ein rechtsradikales Phänomen.
(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])
Der Antisemitismus in Deutschland wird zunehmend bestimmt auch vom Denken einer globalen Linken auf der einen Seite und einer in ihren Herkunftsstaaten antisemitisch ausgerichteten Gesellschaft auf der anderen Seite.
(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])
Lassen Sie mich deshalb bei dieser Gelegenheit heute Morgen noch einmal sagen: Ein wesentlicher Beitrag zur Begrenzung des Antisemitismus in Deutschland ist und bleibt deshalb der Stopp der ungehinderten, massenhaften Zuwanderung, vor allem von nicht schutzbedürftigen jungen Männern aus dem arabischen Raum.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der AfD – Lachen bei Abgeordneten der AfD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Merkel sei Dank! CDU! – Weiterer Zuruf von der AfD: Das war die CDU! – Gegenruf der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Ja, ich kann verstehen, dass es an dieser Stelle bei Ihnen ziemlich große Unruhe gibt; das kann ich gut verstehen. – Aber, meine Damen und Herren, in diesen Herkunftsländern ist nicht der Schutz Israels, sondern die Vernichtung Israels Teil der politischen Sozialisation.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der AfD und des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos] – Dr. Nils Schmid [SPD]: Großes Unbehagen in den Reihen der Union!)
Ich will an dieser Stelle wiederholen, was ich vor gut einem Jahr in meiner Rede von dieser Stelle aus gesagt habe: Unsere Solidarität darf keine Risse bekommen, wenn Israel das Notwendige tut, um seine Sicherheit wiederherzustellen.
(Zuruf des Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Doch diese Risse in der Solidarität gibt es mittlerweile, und sie werden zahlreicher. Diese Risse entstehen durch politische Unklarheit, durch Enthaltungen etwa bei den Vereinten Nationen und die schlichte Verweigerung von Entscheidungen.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Genau! Und durch offene Grenzen!)
Lassen Sie mich dazu ein sehr konkretes Beispiel nennen. Seit Wochen und Monaten verweigert die Bundesregierung die Erteilung der Exportgenehmigung für zum Beispiel Munition und sogar für die Lieferung von Ersatzteilen für Panzer nach Israel. Herr Bundeskanzler, wir wissen von einer ganzen Reihe von sehr konkreten Fällen, in denen die Bundesregierung die notwendige Zustimmung für die Lieferung von Gerät und Material nach Israel verweigert, Gerät und Ausrüstung, die Israel zur Ausübung seines Rechts auf Selbstverteidigung jetzt dringend braucht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der AfD und des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos] – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)
Ich will Sie deshalb sehr ernsthaft fragen: Was sind Ihre Solidaritätsbekundungen für den Staat Israel und die Menschen in Israel eigentlich wert? Wie müssen Ihre ständigen Beteuerungen der Sicherheit des Staates Israel als Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland in den Ohren der Menschen in Israel klingen, wenn Sie dem Land zugleich wesentliche Teile der Hilfe in einer so prekären Situation verweigern?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Friedhelm Boginski [FDP])
Nun fragen sich viele Menschen in unserem Land und auch wir alle uns: Soll dieser Konflikt, soll dieser Krieg in Israel und um Israel herum eigentlich immer so weitergehen? Gibt es denn gar keine Hoffnung auf Frieden im Nahen und Mittleren Osten? Nun, meine Damen und Herren, ein solches Zeichen der Hoffnung gibt es. Ehud Olmert, der frühere israelische Ministerpräsident, und Nasser Al-Qudwa, der frühere palästinensische Außenminister, haben vor einigen Tagen in einem gemeinsamen Beitrag, der zeitgleich in mehreren Ländern in großen Tageszeitungen erschienen ist, einen Vorschlag unterbreitet, der, so schreiben sie, unsere tägliche Realität infrage stellt und das Potenzial hat, unsere Nationen, unsere Region, ja, die Welt zu verändern. Sie schlagen verständlicherweise eine Zweistaatenlösung vor, dazu einen kleineren Gebietsaustausch zwischen Israel und dem zukünftigen Staat Palästina, um das Problem mit den bestehenden israelischen Siedlungen in den umstrittenen Gebieten zu lösen.
(Dr. Petra Sitte [Die Linke]: Die sind nicht umstritten! Die sind besetzt!)
Vor allem aber wollen sie die Verwaltung der Altstadt von Jerusalem unter die Verwaltung von fünf Staaten, darunter Israel und Palästina, stellen.
Dieser Vorschlag stößt natürlich auf ebenso große Zustimmung wie Ablehnung, in Israel und darüber hinaus. Aber, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Beitrag aus der Region heraus sollten wir aufnehmen. Und wir sollten unsere deutsche Unterstützung anbieten, jedenfalls soweit dies von Israel aus gewünscht wird. Denn auch das sollte doch Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf Israel sein: neben der politischen und militärischen Unterstützung alles zu tun, was einen Friedensprozess ermöglicht, auch wenn mitten in den dunkelsten Tagen und Wochen für das Land und für die Menschen in der gesamten Region ein Frieden heute in scheinbar aussichtsloser Ferne zu liegen scheint.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Barbara Benkstein [AfD] und Robert Farle [fraktionslos])
Als Nächste hat das Wort für die SPD-Fraktion Gabriela Heinrich.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616343 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 191 |
Tagesordnungspunkt | Jahrestag des terroristischen Überfalls auf Israel |