Lamya KaddorDIE GRÜNEN - Migrationspolitik
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Die Unionsfraktion möchte heute in Reaktion auf den Anschlag in Solingen erneut einen migrationspolitischen Antrag debattieren, diesmal zum Staatsangehörigkeitsrecht. Menschen mit subsidiärem Schutz, also Menschen, die zu uns fliehen, weil in ihrem Land zum Beispiel ein Bürgerkrieg herrscht, sollen nicht mehr unmittelbar die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben können.
Zudem soll der Aufenthalt in Deutschland unter solch einem vorübergehenden Schutz nicht mehr als gewöhnlicher Aufenthalt im Inland angerechnet werden, etwa mit Blick auf die Einbürgerung. Sie begründen dies unter anderem mit den von uns eingeführten kürzeren Einbürgerungsfristen. Wie das unser aller Sicherheit allerdings verbessern soll, ist mir persönlich schleierhaft.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Das ist das Problem, dass Ihnen das schleierhaft ist!)
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Rede eines klarstellen: Nicht alles ist Ordnungspolitik.
(Zuruf des Abg. Alexander Throm [CDU/CSU])
Staatsangehörigkeitsrecht, Herr Throm, ist auch ein gesellschaftliches Thema und betrifft Identitätsfragen. Es waren wir, die Ampelfraktionen, die gemäß unserem Selbstverständnis als modernes Einwanderungsland in diesem Jahr, also 2024, gesetzlich reformiert haben. Das Staatsangehörigkeitsrecht, eingeführt durch die letzte rot-grüne Bundesregierung, bildet durch unsere Reform endlich die Realität in unserem Land ab und nicht die irrationalen Wunschträumereien der „Früher war alles besser“-Fraktion.
(Detlef Seif [CDU/CSU]: Machen Sie weiter so!)
Mit uns geht der gestalterische Blick nach vorne, nicht zurück. Wir erkennen Integration und Engagement für unser Gemeinwohl an. Wir ethnisieren keine Probleme.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal „Fortschrittskoalition“!)
Für uns ist jeder Mensch gleich, Herr Throm, übrigens ganz nach dem christlichen Menschenbild.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, bevor Sie sich jetzt wieder beschweren, wir würden nichts für die Sicherheit in diesem Land tun, sage ich: Wir verhandeln aktuell das Sicherheitspaket der Bundesregierung.
(Josef Oster [CDU/CSU]: Ja, wie lange denn noch?)
– Nicht mehr ganz so lange. – Denn der Ausgangspunkt dieser Debatte war doch: Wie bekämpfen wir Islamismus, und wie schaffen wir wieder mehr Sicherheit für alle?
In der letzten Woche ist zum Beispiel die angekündigte Taskforce Islamismusprävention zusammengekommen. Sie beschäftigt sich mit der Onlineradikalisierung von Jugendlichen und den Strategien dagegen. Das ist eine nachhaltige Maßnahme, eine, die auch auf lange Sicht hin mehr Sicherheit verspricht. Wir gehen also das Problem politisch zielgerichtet an. Sie hier im Deutschen Bundestag sollten uns darin unterstützen, so wie es teilweise in einigen Bundesländern auch geschieht.
Was wir im Gegensatz zu Ihnen aber nicht machen wollen, sind Schnellschüsse. Anders als Sie haben wir den Anspruch, innenpolitische Gesetze zu schreiben, die nicht wie Ihr BKA-Gesetz vom Bundesverfassungsgericht oder vom Europäischen Gerichtshof direkt wieder gekippt werden. Wir haben den Anspruch, rechtssichere und tatsächlich wirksame Pakete zu schnüren. Und das braucht dann vielleicht auch etwas mehr Zeit und nicht nur drei Tage.
(Beifall des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Da bringt es nichts, der AfD nachzueifern und Schnellschüsse zu machen, die unsere europäischen Nachbarn verprellen.
Sehr geehrte Damen und Herren, jetzt wollen Sie also auch noch an das Staatsangehörigkeitsrecht ran. Es ist das Recht, das Menschen volle Teilhabe gewährt, die sich einbringen, die Teil dieses Landes sein wollen und dafür hart arbeiten. Schauen wir uns doch mal an, wen Sie mit Ihren Ideen eigentlich treffen und welche Potenziale unseres Einwanderungs- und Einbürgerungsrechts Sie damit verhindern.
(Zuruf von der CDU/CSU)
– Mache ich gerne.
Da ist die ukrainische Mathematiklehrerin – –
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Da greift es gar nicht!)
– Doch, hören Sie gut zu!
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Nein, Frau Kaddor!)
– Doch, dann sollten Sie Ihren Antrag sehr genau lesen, Herr Throm; tun Sie aber offensichtlich nicht.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Sie kennen nicht mal die Grundlagen!)
– Kriegen Sie sich mal wieder ein!
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Bar jeglicher Kenntnis!)
– Kriegen Sie sich wieder ein, Herr Throm!
(Zuruf des Abg. Alexander Throm [CDU/CSU])
Da ist die ukrainische Mathematiklehrerin, die mit ihren Kindern nach dem Angriff Russlands aus ihrem Heimatland nach Deutschland gekommen ist. Sie lebt hier in vorübergehendem Schutz und hat jetzt Deutsch gelernt und kann als Nachhilfelehrerin hier arbeiten. Sie engagiert sich weiter bei der Integration anderer ukrainischer Geflüchteter. Ihre Kinder haben sich ebenfalls bestens integriert. Und die Familie hat für sich entschieden, hier in Deutschland zu bleiben, eine neue Heimat anzunehmen und Deutschland etwas zurückzugeben.
Nachdem sie über ihren Job jetzt einen anderen Aufenthaltstitel erhalten hat
(Abg. Alexander Throm [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– nein, nehme ich nicht an; denn Sie kriegen jetzt die Antwort, die Sie haben wollen –,
(Zurufe von der CDU/CSU)
möchte sie nach den fünf Jahren Aufenthalt die deutsche Staatsbürgerschaft nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht erhalten. Sie wollen ihr jetzt ernsthaft die drei Jahre unter vorübergehendem Schutz für ihre Einbürgerung nicht anrechnen lassen.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Das ist Gesetzeslage, Frau Kaddor!)
– Ja, aber in Ihrem Antrag steht was anderes.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Ist das peinlich!)
Oder der Geflüchtete aus Afghanistan: ein ausgebildeter Programmierer, der 2022 nach Deutschland gekommen ist.
(Zuruf von der CDU/CSU)
Er lebt hier als subsidiär Geschützter, findet einen Job, zahlt Steuern, hat Deutsch gelernt und trainiert im Sportverein eine Fußballmannschaft. Auch ihm möchten Sie verwehren, den Antrag zum Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft zu stellen. Mit welcher sachlichen Begründung eigentlich? Also entweder haben Sie wieder mal nicht zu Ende gelesen – wundert mich nicht –, oder es liegen andere Beweggründe vor.
Würden wir Ihrem Antrag folgen, würden wir Integration hemmen, wertvolle Potenziale verschwenden und noch vor die Rechtslage aus Ihrer Regierungszeit zurückfallen, ja, wir wären damit sogar noch vor dem Zuwanderungsbericht der Süssmuth-Kommission, meine Damen und Herren.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, diese rechten Überbietungswettbewerbe machen etwas mit uns allen: Sie vergiften das Klima in unserem Land, schüren Ressentiments und Ängste. Nach der Brandenburg-Wahl machten Sie sogar Migrantinnen und Migranten für schlechte Krankenhäuser und Schulen verantwortlich.
(Josef Oster [CDU/CSU]: Quatsch!)
Ich finde das schlimm.
(Beifall des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Sie treiben einen Keil in unsere Gesellschaft.
(Josef Oster [CDU/CSU]: Nee, das machen gerade Sie! Das ist Ihre Politik!)
Kommen Sie also zurück zu einem Diskurs, der mit Augenmaß geführt wird.
(Steffen Janich [AfD]: Aber doch nicht mit euch!)
Denn das ist es, was das Land und die Menschen brauchen – ohne Ausgrenzung und ohne Schaum vor dem Mund und vielleicht auch mit ein bisschen mehr Geduld, wenn es darum geht, Menschen zuzuhören, die hier vorne reden.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616475 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 191 |
Tagesordnungspunkt | Migrationspolitik |