Michael RothSPD - Europäische Zukunft Georgiens, Südkaukasuspolitik
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Bundeskanzler wenige Tage nach dem 24. Februar 2022 kraftvoll die Zeitenwende einleitete, wussten ganz viele von uns, dass diese Zeitenwende viele Jahre zu spät kommt, und dafür tragen viele von uns die Verantwortung. Eigentlich hätte diese Zeitenwende im Jahr 2008 eingeleitet werden müssen, als der russische Imperialismus gegenüber der freien Republik Georgien zuschlug
(Anikó Glogowski-Merten [FDP]: Ja!)
und mit den Provinzen Abchasien und Südossetien rund 20 Prozent des georgischen Territoriums von Russland okkupiert wurden. Dieser sogenannte eingefrorene Konflikt ist noch heute nicht aufgetaut und macht deutlich, wie schmerzhaft und unerbittlich der russische Imperialismus und Kolonialismus auf unserem Kontinent wütet.
Wie viele andere von Ihnen hatte auch ich in den vergangenen Monaten und Jahren das Privileg, oft nach Georgien zu reisen. Der Kollege Knut Abraham hat die Schönheit des Landes gepriesen, und auch Merle Spellerberg hat das gemacht. Wir alle zweifeln manchmal an Europa,
(Beatrix von Storch [AfD]: An der EU!)
weil zu viele Menschen mit Europa nur Bürokratie, den Binnenmarkt und ökonomische Details verbinden. Wenn man wirklich erleben will, was Europa, die EU, im Kern ausmacht, dann kann ich Sie alle nur einladen, nach Georgien zu reisen. Dort wird das gelebt, was für uns bisweilen selbstverständlich geworden ist:
(Beifall der Abg. Angelika Glöckner [SPD] und Knut Abraham [CDU/CSU])
Freiheit, ohne Angst verschieden sein, Demokratie und eben auch, für die Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Medien und die freie Meinungsäußerung einen Preis zu bezahlen. Deshalb habe ich immer wieder gesagt: „Tbilissi ist die wahre Hauptstadt Europas“, vor allem in den Tagen und Wochen, als vor allem die junge Generation auf die Straße gegangen ist, um deutlich zu machen: Wir lassen uns unsere Vorstellung von Europa von niemandem rauben, auch nicht von einem stinkreichen Oligarchen, der mit unlauteren Mitteln viel Geld erwirtschaftet hat; denn die Oligarchisierung dieses Landes kann nicht die Zukunft sein.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich lade uns alle auch ein, zwischen der Bevölkerung einerseits und den politisch Verantwortlichen andererseits zu differenzieren. Ja, ich gebe zu: Der Georgische Traum gehörte mal zur sozialdemokratischen Familie. Aber jetzt ist aus dem Georgischen Traum ein georgischer Albtraum geworden. Ich meine damit nicht, dass aus unserer Sicht vielleicht falsche Entscheidungen getroffen werden. Es ist vielmehr schlicht und ergreifend mit europäischen Werten nicht zu vereinbaren, dass die kritischen Geister der Zivilgesellschaft kriminalisiert, ausgegrenzt, eingeschüchtert, bedroht werden. Wer das tut, hat Europa im Kern und im Herzen nicht verstanden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich möchte mich bei allen bedanken, die in den vergangenen Monaten Stellung bezogen haben, und da beziehe ich nicht nur die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, sondern ausdrücklich auch die geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Union ein. Wir stimmen da im Wesentlichen in allen Punkten überein. Deswegen würde ich die Freundinnen und Freunde der Union bitten, noch mal darüber nachzudenken, ob man diesem guten Antrag nicht doch seine Zustimmung erteilen könnte; denn das Signal der Geschlossenheit wird bei den Herrschenden in Tbilissi sehr wohl verstanden.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Diese Wahl ist die wichtigste Wahl seit der Unabhängigkeit Georgiens. Am 26. Oktober haben die Georgierinnen und Georgier die Wahl zwischen einem Platz im vereinten Europa, im Herzen Europas, und der Isolation. Sie haben die Wahl zwischen Demokratie und Autoritarismus. Sie haben die Wahl zwischen Freiheit und Russifizierung.
Und wenn in Ihrem Antrag vom „Regime Change“ gesprochen wird, aus dem wir uns tunlichst herauszuhalten hätten, ist meine Botschaft klar: Wenn es jemanden gibt, der in Georgien einen Regime Change betreibt, dann ist es die herrschende Partei, die sich von dem entfernt, was die Bürgerinnen und Bürger immer wieder deutlich erklärt haben: Sie wollen ein Teil des vereinten Europas sein.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffen Kotré [AfD]: Die SPD hat sich entfernt von den Bürgern!)
Weil ich weiß, dass ein paar georgische Freundinnen und Freunde dieser Debatte heute beiwohnen und diese Debatte auch in Georgien sehr aufmerksam verfolgt wird, versuche ich jetzt etwas, was mir nicht ganz leichtfällt: Ich möchte ein paar Worte auf Georgisch sagen. Sakartvelos momavali demokratiuli, tavisupali da evropulia!
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank, Herr Kollege Roth. Normalerweise müssten Sie das anmelden; aber da das so kurz war, kann keine Beleidigung enthalten gewesen sein.
(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Nein! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Nächster Redner ist der Kollege Steffen Kotré, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616487 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 191 |
Tagesordnungspunkt | Europäische Zukunft Georgiens, Südkaukasuspolitik |