10.10.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 191 / Zusatzpunkt 8

Johannes SchrapsSPD - Europäische Zukunft Georgiens, Südkaukasuspolitik

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ungewöhnlich, dass sich der Deutsche Bundestag so kurz vor einem Wahltermin in einem anderen Land zu dessen politischer Entwicklung äußert.

(Zuruf von der AfD: Allerdings!)

Mit dem vorliegenden Koalitionsantrag machen wir jedoch bewusst und, wie ich finde, sehr berechtigt eine Ausnahme, und zwar nicht, weil wir uns in irgendwelche internen politischen Prozesse und Entscheidungen in Georgien einmischen wollen, sondern weil wir als Europäer fest an die Kraft des EU-Erweiterungsprozesses glauben; denn genau den kann man in Georgien ganz genau erkennen.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau Vogler? Sie haben zwar noch nichts gesagt, aber sie hat schon eine Zwischenfrage.

Bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen; ich wollte sie eigentlich der Staatsministerin stellen, aber die wollte ja nicht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Knut Abraham [CDU/CSU]: Macht Johannes!)

Vielleicht kann ich sie auch beantworten.

Aber nichtsdestotrotz: Zu Ihnen passt sie auch sehr gut.

Ich war am 27. September 2024 auf der 2. Queerpolitischen Menschenrechtskonferenz Ihrer Bundestagsfraktion, die im Übrigen ganz großartig war und von sehr inspirierenden Beiträgen geleitet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da hat Bundeskanzler Olaf Scholz ein Grußwort gehalten, in dem er sehr deutlich gesagt hat, dass das am 17. September 2024 in Georgien verabschiedete „Gesetz zum Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“, also dieses LGBTQ-Hassgesetz – so kann man es, glaube ich, nennen –, menschenrechtswidrig ist und dass die Bundesregierung diesbezüglich sehr besorgt ist.

Nichtsdestotrotz antwortete mir das Bundesministerium des Innern, also ein von Ihrer Partei besetztes Ministerium, auf meine Frage, ob die Bundesregierung angesichts dieses Gesetzes und angesichts des Mordes an einer bekannten Transpersönlichkeit in Georgien einen Tag nach der Verabschiedung dieses Gesetzes erwägt, die Einstufung Georgiens als sicheren Herkunftsstaat für Geflüchtete zu überdenken und zurückzuziehen, dass Georgien immer noch als sicheres Herkunftsland eingestuft werde.

Frau Kollegin, kommen Sie zur Frage! Sie haben bereits 1 Minute 45 Sekunden gebraucht.

Ja. – Auch angesichts des in der letzten Woche ergangenen EuGH-Urteils: Würden Sie sich persönlich und würde sich die SPD-Fraktion dafür einsetzen, dass das SPD-geführte Bundesministerium diesen Status Georgiens überprüft und Georgien nicht mehr als sicheren Herkunftsstaat für Geflüchtete betrachtet?

(Beifall bei der Linken)

Sehr geehrte Frau Kollegin, das ist in der Tat erst mal eine Frage, die der Bundesregierung gestellt werden muss. Ich kann Ihnen insofern antworten, dass Sie vollkommen recht haben, dass das Gesetz, das viele Vorrednerinnen und Vorredner in der Debatte schon sehr klar benannt haben, dieses sogenannte Transparenzgesetz, das Antiagentengesetz, eines der großen Probleme ist, die im Moment auf dem Tisch liegen.

Aber es ist nicht das einzige. Aktuell geben viele queerfeindliche Vorschläge zu Verfassungsänderungen in Georgien großen Anlass zur Sorge. Sie hätten zum Beispiel das Verbot von Pride-Veranstaltungen in Georgien zur Folge. Sie hätten aber auch zur Folge, dass beispielsweise Kinos in Georgien Filme an ganz vielen Stellen zensieren müssten. Insofern ist das ganz klar etwas, was uns Grund zur Sorge gibt.

Sorge haben wir aber auch, was zum Beispiel die Repräsentanz von Frauen in Parlamenten angeht. An dieser Stelle ist nämlich die Wahlgesetzgebung, die geplant wird und eine angemessene Repräsentanz von Frauen einschränken würde, sehr problematisch.

Insofern gibt es eine ganze Menge von Punkten, die Anlass zur Sorge geben und die uns Anlass geben müssen, darüber nachzudenken, wie wir mit Georgien umgehen. Das ist ja auch ein Grund, warum wir heute hier diese Debatte führen und warum wir eine Ausnahme machen und nicht kurz vor einer Wahl darauf verzichten, eine Debatte zu diesen politischen Themen zu führen. Von daher danke ich Ihnen herzlich für die Frage und für die Möglichkeit, das noch mal ausführen zu können. Ich bin sicher: Die Bundesregierung wird auf die Frage, die Sie zum Schluss gestellt haben, auch noch detaillierter eingehen. – Vielen herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [Die Linke])

Ich will fortfahren. Ich habe davon gesprochen, dass man diese proeuropäische Haltung in Georgien sehr schön sehen kann. Das ist auch etwas, was Michael Roth in seinen beeindruckenden und bewegenden Erfahrungsberichten immer sehr schön beschrieben hat. Diese stark proeuropäische Haltung, die man in Tbilissi und an vielen anderen Orten in Georgien miterleben kann, ist bewundernswert. Georgien hat ja schon viel früher, schon bevor dem Land im Dezember letzten Jahres der offizielle Kandidatenstatus verliehen wurde, das Ziel der EU-Mitgliedschaft und übrigens auch das Ziel der NATO-Mitgliedschaft in der eigenen Verfassung verankert. Beides genießt in der Bevölkerung – das haben wir schon gehört – breite Unterstützung; laut Umfragen unterstützen über 80 Prozent der Georgier diesen Weg.

Genau diesen Weg hat bis vor Kurzem ja auch die Regierungspartei Georgischer Traum verfolgt, diesen klar proeuropäischen Kurs mit Reformen in den Bereichen „Unabhängigkeit der Justiz“, „Deoligarchisierung“. Das hat sich aber leider vor Kurzem verändert.

(Knut Abraham [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Neben diesem „Transparenzgesetz“, das eben schon angeführt wurde, gibt es noch einige andere Dinge, die Probleme machen. Insbesondere mit der gewaltsamen Unterdrückung der Zivilgesellschaft, mit der Unterdrückung unabhängiger Medien, mit der Unterdrückung friedlich demonstrierender Menschen in Georgien hat die Regierungselite das Land mittlerweile auf einen völlig konträren Kurs gebracht, der es in die Arme Russlands treibt – ausgerechnet Russlands, es ist gesagt worden, das mit Abchasien und Südossetien 20 Prozent des georgischen Territoriums besetzt hält! Denn wie die Ukraine ist auch Georgien ein Opfer der expansiven, militaristischen, imperialistischen russischen Politik, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Knut Abraham [CDU/CSU])

Deshalb will ich um dieses Dilemma in Georgien auch gar nicht groß drumherum reden. Geografisch und auch strategisch ist das ein Problem, insbesondere nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, aber auch nach dem militärischen Vorgehen Aserbaidschans gegen Armenien in Bergkarabach. Denn Georgien steht vor schwierigen Fragen: Wie zeige ich mich solidarisch mit der Ukraine, ohne den großen Nachbarn zu reizen? Wie gestalte ich meine Beziehungen zu Armenien, das ja seinen proeuropäischen Kurs verstärkt hat? Übrigens ist auch der Umgang mit den Plänen Russlands, südlich der ehemaligen Olympiastadt Sotschi in der besetzten Region Abchasien, also in Georgien, einen Marinestützpunkt errichten zu wollen, schwierig.

Lassen Sie mich hier deshalb laut und deutlich Richtung Georgien sagen: Wir sehen diese strategischen Dilemmata, in denen Sie stecken, und wir sind als Europa bereit, Georgien in vielfältiger Weise zu unterstützen. Aber das wird kaum möglich sein, wenn das Land den im Moment eingeschlagenen Kurs fortsetzt, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es bleibt abzuwarten, wie die Bevölkerung auf die Wahlergebnisse Ende Oktober reagiert. Unsere Botschaft ist völlig klar: Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft demokratischer Staaten. Da haben Opposition und abweichende Meinungen eine Funktion und ihren Platz – in den Medien, bei friedlichen Protesten und auf den Wahllisten. Europa ist ein Ort, an dem Minderheiten und eine politisch aktive Zivilgesellschaft geschätzt und geschützt werden, nicht verfolgt und geschlagen, wie wir das leider in den letzten Monaten auf den Straßen georgischer Städte sehen mussten.

Statt also mit einem Gesetz sogenannte Agenten zu bekämpfen, sollte sich Oligarch Iwanischwili als Vorsitzender der Partei Georgischer Traum an den Träumen der leidenschaftlich proeuropäischen georgischen Bevölkerung orientieren. Ich glaube, eigentlich ahnt er schon, dass beides nicht zusammenpasst. Das zeigt das Verbot von inländischen Wahlbeobachtern durch das Transparenzgesetz. Das zeigt seine Ankündigung, nach den Wahlen im Oktober die Opposition verbieten zu wollen. Das alles würde Repressionen Tür und Tor öffnen und wäre eine Reise zurück in die Vergangenheit.

Vor über 30 Jahren erlebten die Menschen in Georgien mit dem Zerfall der Sowjetunion schon einmal das Ende eines Einparteienstaates. Seitdem hat sich das Land gesellschaftlich und demokratisch weiterentwickelt, und die Menschen haben auf vielfältige Weise davon profitiert. Es wäre unangebracht, den Wählerinnen und Wählern in Georgien an dieser Stelle Ratschläge zu erteilen, wie sie bei der Wahl abstimmen sollten.

Für mich und, ich glaube, auch für viele andere, die an diesem Antrag mitgearbeitet haben, steht eines fest: In meinem georgischen Traum geht dieses Land seinen Weg in Richtung Europäische Union. Deshalb sagen wir: Liebe Georgierinnen und Georgier, wir würden uns freuen, euch mit dabeizuhaben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7616493
Wahlperiode 20
Sitzung 191
Tagesordnungspunkt Europäische Zukunft Georgiens, Südkaukasuspolitik
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