10.10.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 191 / Zusatzpunkt 3

Falko DroßmannSPD - Stationierung von US-Mittelstreckenraketen

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren einen Antrag der Gruppe Die Linke und zwei Zusatzanträge des sogenannten „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Oberflächlich könnte man meinen: Alle drei hätten dasselbe Ziel, dies umso mehr, als dass Sie hier in Ihren Vorbemerkungen und Begründungen durch Weglassen historischer Kontexte ein falsches Bild der Wahrheit zeichnen. Deshalb möchte ich Sie kurz korrigieren, und zwar beide.

Zu Recht schreiben Sie, dass es die USA waren, die 2019 den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme gekündigt haben; das stimmt. Was Sie aber verschweigen, ist die Tatsache, dass es Russland war, das durch die Entwicklung, Testung und Einführung von Waffensystemen, zum Beispiel des Waffensystems Iskander, also nuklearen Kurz- und Mittelstreckenraketen, den INF-Vertrag seit Jahren gebrochen hat und sich seit Jahren nicht mehr daran gehalten hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Russland wollte, dass dieser Vertrag beendet wird. Selbst als die USA anboten, den Vertrag in Kraft zu halten, wenn Russland diese neuen Atomraketen wieder abschafft – übrigens in Absprache mit der Bundesrepublik –, wurde dies von Russland bewusst ignoriert. Es rüstete weiter auf, und es rüstete nuklear auf. Ob im Privaten oder Politischen: Wenn ein Vertragspartner über Jahre vertragsbrüchig ist, dann ist es meiner Ansicht nach rechtens, legitim und ehrlich, diesen Vertrag zu kündigen. Punkt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, schon diese selektive Form der historischen Einordnung oder Halbwahrheiten zur Grundlage eines Antrages zu machen, ist fatal in einer Demokratie. Und eine bewusst eingesetzte halbe Wahrheit ist auch mindestens eine halbe Lüge.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Das ist schon ein Handlungsmuster!)

An diesem Punkt aber enden die Gemeinsamkeiten zwischen dem Antrag der Linken und den Anträgen der Wagenknecht-Bewegung. Der Antrag der Gruppe Die Linke ist nämlich glaubwürdig, und er markiert exemplarisch auch die historische Differenz zwischen der SPD und dem, was sich heute „Die Linke“ nennt. Uns beide eint das Wissen, dass Kriege nie von denen gefochten werden, die sie auslösen. Uns eint mit der Linken das Wissen, dass es gerade die sogenannten einfachen Menschen sind, die unter Kriegen leiden,

(Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [Die Linke])

und nur selten jene, die sich an ihnen eine goldene Nase verdienen. Was uns eint, ist der Wunsch nach Frieden, nach Freiheit in einer solidarischen Gesellschaft.

Was uns aber unterscheidet, ist, dass die SPD historisch gesehen keine bedingungslos pazifistische Partei war und ist. Wir sind und wir waren nicht naiv. In der Geschichte haben wir gelernt – dazu stehen wir auch heute –, dass Freiheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat es wert sind, verteidigt zu werden,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

und dass sie verteidigt werden müssen gegen jene, die Demokratie durch Totalitarismus ersetzen wollen, und genau das ist auch die Aufgabe eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir werden dem Antrag der Linken deshalb nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Die Zusatzanträge der Gruppe BSW allerdings lassen mich ein wenig ratlos zurück. Sie wollen in diesem Fall eine Volksbefragung. Bonmot am Rande und an die abwesende Frau Dr. Wagenknecht gerichtet: Sie sitzen seit mehr als 20 Jahren in Parlamenten. Wenn Sie doch der repräsentativen Demokratie so wenig zutrauen, was machen Sie denn dann hier?

(Konstantin Kuhle [FDP]: Sie ist doch nicht da! Sie ist doch nie da!)

Liegt es vielleicht daran, dass es sich als Berufspolitikerin und Einkommensmillionärin vielleicht doch ganz gut lebt?

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ja!)

Ist diese Forderung, die Sie hier aufstellen, reiner Populismus?

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sind Sie vielleicht doch – Herr Präsident, ich zitiere – eine „Murxistin“, als die Wolf Biermann Sie bezeichnet?

Noch etwas: Schon in Ihrem Antrag zeigen Sie auf, was Sie vorhaben. Sie nutzen Halbwahrheiten, um Menschen auf Ihre Seite zu bringen, und auf Grundlage dieser Halbwahrheiten wollen Sie Volksentscheide durchführen. Wenn Ihnen das Thema aber doch so wichtig ist, warum nehmen Sie dann nicht an den Diskussionen hier in diesem Hause teil? Man muss nicht einer Meinung sein, aber man kann ja diskutieren. Warum bleibt der Stuhl der Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht im Verteidigungsausschuss regelmäßig leer? Sie nehmen an den Debatten nicht teil.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein Letztes. Das eigentlich Perfide an diesen Zusatzanträgen ist doch, dass Sie eine grobe Umkehr der Wahrheit vollziehen. An diesem Punkt wird aus Halbwahrheit – das gilt nur für die Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht – schlicht Lüge. Für Sie sind die Amerikaner das Übel. Kein Wort über die betankten russischen Atomwaffen Iskander-K und übrigens auch nicht über Kalibr. Es gibt mehrere verschiedene Systeme, die in diesem Moment schussbereit in Kaliningrad stehen, mit einer Reichweite von 500 Kilometer, 1 300 Kilometer und bis zu 2 600 Kilometer.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Genau!)

Diese Waffen erreichen Berlin in wenigen Minuten.

Kein Wort über die brutalen Angriffe Russlands auf die Ukraine unter Bruch jeden internationalen Rechts. Kein Wort darüber, dass die Stationierung der amerikanischen Raketen temporär ist, bis wir in der Lage sind, diesen Schutz mit europäischen Systemen sicherzustellen. Eigentlich – und das sage ich sehr vorsichtig – können wir auch ein wenig dankbar sein, dass die Amerikaner uns das zur Verfügung stellen, was wir Jahrzehnte nicht gemacht haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kein Wort darüber, dass auch unser Volk, die Menschen unseres Landes, unsere europäischen Freunde das Recht haben, sich zu verteidigen. Herr Präsident, erlauben Sie mir, noch einmal Wolf Biermann zu zitieren: Frau Wagenknecht, Sie sind keine zweite Rosa Luxemburg. Sie sind eine Karikatur auf Rosa Luxemburg, die sich als Linke hat wählen lassen, um sich dann um 180 Grad zu wenden und unter dem Vorwand von Frieden nichts tut, als unsere Freiheit, unser Land und unsere Menschen für eigene Zwecke zu missbrauchen. Sie vergiften den politischen Diskurs an jeder Stelle, indem Sie Menschen Angst machen und indem sie Täter zu Opfern stilisieren. Sie kritisieren unseren Bundeskanzler, wenn er vermeintlich zu wenig Diplomatie zeigt, und noch mehr kritisieren Sie ihn, wenn er Diplomatie anbietet. Ja, was denn nun?

Es geht Ihnen doch an keiner Stelle um die Sache. Sie lachen über die SPD. Sie lachen über uns, wenn wir über Fragen wie Krieg und Frieden diskutieren. Hier geht es um Leben und um Tod. Wir sagen ja nicht: „Hurra, im Gleichschritt marsch!“, wie das vielleicht andere Gruppen hier in diesem Hause tun. Wir wollen über diese Fragen diskutieren,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

wir wollen die richtigen Lösungen finden, und das macht uns auch aus.

Ich sage Ihnen sehr klar: Unser Land, unser Europa und unser Bündnis sind es wert, verteidigt zu werden, und wir werden es Ihnen nicht überlassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Droßmann. – Ich weise jetzt noch einmal darauf hin: Der Präsident muss nichts genehmigen, was Bestandteil Ihrer Rede ist. Ich muss auch Ihre Rede nicht genehmigen. Insofern brauche ich auch Zitate, die in der Rede verwandt werden, nicht zu genehmigen.

(Falko Droßmann [SPD]: Aber es hörte sich gut an!)

– Es hörte sich gut an. Es ist eine gute Einleitung.

Nächster Redner ist der Kollege Florian Hahn, der es berücksichtigen wird, dass ich nichts genehmigen muss.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Konstantin Kuhle [FDP]: Er muss jetzt aber auch mal ein bisschen austeilen!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7616551
Wahlperiode 20
Sitzung 191
Tagesordnungspunkt Stationierung von US-Mittelstreckenraketen
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