Helge LindhSPD - Bürokratie in der Ehrenamts- u. Vereinsarbeit
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte die Union gerade für den Antrag loben und würdigen,
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Mach doch! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Dann machen Sie es doch!)
und dann kam diese letzte Rede. Jetzt fällt es mir schwerer, aber ich sehe darüber hinweg.
Ich wollte mich aber erst mal ganz anderem zuwenden. Herr Brandner von der AfD hat ja nach seiner eigenen Rede die Flucht ergriffen, was die richtige Reaktion ist.
(Enrico Komning [AfD]: Herr Brandner hat einen auswärtigen Termin! – Gegenruf des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD]: Was denn? Beim Anwalt?)
– Er hat einen auswärtigen Termin. Schade, da kann er sich jetzt vernünftige Ausführungen nicht anhören, weil ich das – auch vor dem Publikum auf den Tribünen – doch mal hier wiederholen muss. Herr Brandner hat ja ernsthaft behauptet, unsere Förderungen für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement wären so gebaut, dass damit Posten für ehemalige Abgeordnete geschaffen würden, die dann in einer Form von linksliberaler Verschwörung gegen rechts außen diese Republik unterwandern würden.
(Enrico Komning [AfD]: Da hat er recht!)
Das hat pathologische Züge, habe ich im ersten Moment gedacht. Im zweiten Moment dachte ich aber: Nein, Herr Brandner hat da offenbart, wie Sie offensichtlich denken, nämlich in solchen verschwörerischen Kategorien. – Und im Übrigen: Ich habe auch Sympathien für eine Verschwörung gegen rechts. Tatsächlich ist rechts außen das, gegen das wir uns sehr demokratisch verschwören müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Punkt ist aber – das ist das grandiose Eigentor, weil er ja da eine Denkweise offenbar gemacht hat –: Mir berichten viele Leute aus freiwilligen Feuerwehren, aus Fördervereinen für Feuerwehren und andere Institutionen, wie dort die AfD versucht, mit Techniken der Unterwanderung das Ehrenamt, das bürgerschaftliche Engagement zu instrumentalisieren für ihre bürgerschaftlichen Zwecke.
(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
Das ist eine Missachtung und das ist eine Verhöhnung des bürgerschaftlichen Engagements. Das ist gerade nicht das, wofür die Ampel, aber im Übrigen auch gewiss nicht die Union, steht. Das muss hier entlarvt werden.
Zutiefst scheinheilig ist es, dann hier so aufzutreten. Die einzigen Verschwörer in diesem Land sitzen rechts außen, und die arbeiten systematisch konspirativ. Das werden wir so lange entlarven, bis das ein Ende hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Reichardt [AfD]: Sie haben noch Herrn Putin vergessen!)
– Ja, stimmt, ich muss Putin erwähnen. Sie haben da ja eine Standleitung und auch Arbeitsverhältnisse von Personen, die mit Russland in engstem Kontakt stehen.
(Martin Reichardt [AfD]: Ja! Ja! Genau! Und China! China fehlt noch! China!)
Also, der verlängerte Arm Putins ins deutsche Parlament hat wieder gesprochen, und er benutzt auch das bürgerschaftliche Engagement. Deshalb sind wir umso dankbarer für diejenigen, die sich anders als Sie in vielen Formen, zum Beispiel in Schützenvereinen, in Flüchtlingsinitiativen, in Stadtverschönerungsvereinen – ein wunderschöner Titel –, engagieren und damit um das Gemeinwesen in diesem Land verdient gemacht haben. Daher – und deshalb bin ich der Union auch dankbar – ist es gut, möglichst viel über das Ehrenamt zu sprechen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Martin Reichardt [AfD]: Sprechen tut ja die SPD über ganz viel, nur tun tut sie nichts!)
Wir streiten ja hier – das haben wir gestern auch gemacht – über das Lieblingsthema der AfD, die Migration. Es ist auch gut, dass wir darüber streiten, aber manchmal wird der Streit so unversöhnlich, dass wir vergessen, was uns eint. Das Thema des Ehrenamtes ist ein gutes Beispiel, an dem man bei allen Differenzen deutlich machen kann, was die demokratische Mehrheit dieses Hauses eint.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es eint uns, dass viele von uns selbst ehrenamtlich tätig sind und dass wir ein Ehrenamt unterstützen, das darauf beruht, dass Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen von links bis ganz konservativ zusammen an etwas arbeiten und sich nicht gegenseitig ausschließen, dass sie Gemeinschaft üben und nicht das Prinzip der AfD praktizieren: Jeder ist sich selbst der Nächste, und der andere ist mein Feind und eine Gefahr. Im Ehrenamt erkennen wir, dass die Gemeinschaft sinnvoll ist, und übernehmen Verantwortung.
(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
Wir kennen dort so etwas wie Uneigennützigkeit.
Das ist es, was in diesem Land jeden Tag in freiwilligen Feuerwehren, in Initiativen oder in Vereinen wie Kleingartenvereinen oder Schützenvereinen passiert, und darauf können wir stolz sein. Das muss gefeiert werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Deshalb ist es auch absolut sinnvoll, über Themen wie Änderungen beim doppelten Satzungserfordernis, die Haftungsbefreiung und anderes zu sprechen und für bürokratische Entlastung zu sorgen. Dass dies geschehen soll, auch im Kontext der nationalen Engagementstrategie, ward ja bereits erwähnt.
Wir müssen also das ehrenamtliche Engagement jeden Tag feiern, und ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Ich komme aus einer Stadt, in der es – und das ist eine Gnade; das ist nicht meine Leistung – ein besonders ausgeprägtes ehrenamtliches Engagement gibt. Das ist aus der bürgerschaftlichen pietistischen Bewegung in der Unternehmerschaft entstanden, aber auch aus der Arbeiterbewegung und hat sich über Jahrhunderte gehalten. Das ist etwas Besonderes und ein Wunder.
(Martin Reichardt [AfD]: Früher haben die Arbeiterbewegungen sogar noch gearbeitet! Das ist der Unterschied zu Ihnen, Herr Lindh! Sie haben noch nie gearbeitet!)
Aber das Ehrenamt ist nicht nur ein tagtägliches Wunder, es gibt auch ein doppeltes Wunder, über das wir zu wenig gesprochen haben; das ist wahrscheinlich ein gemeinsames Versagen. Ich denke an die Flüchtlingsbewegungen in den Jahren 2014 bis 2016 und die Flucht aus der Ukraine; Situationen, über die wir momentan immer nur im Modus der Abwehr und des Schreckens sprechen. Dabei sind das zwei grandiose Erfolgsgeschichten des Ehrenamtes. Was haben Ehrenamtliche da jeden Tag geleistet!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Fabian Jacobi [AfD]: Was sagen die Leute heute darüber?)
Wenn wir darüber sprechen, wie die Stimmung gekippt ist, dann wird viel zu wenig erwähnt, dass bis zum heutigen Tage Menschen andere unterstützen und dass damals Menschen unterschiedlicher Anschauungen – vom konservativen Richter bis zum fast linksautonomen Flüchtlingsaktivisten – die Türen geöffnet haben. All die haben zusammengehalten, haben Menschen empfangen und unterstützt. Das sind riesige Erfolgsgeschichten. Dass wir das nicht genug betont haben und damit auch diejenigen, die damals ehrenamtlich so viel geleistet haben und teils bis zum heutigen Tage leisten, nicht genug gewürdigt haben, ist ein Versagen, über das wir sprechen müssen.
Aber es ist ja nicht zu spät. Wir können das noch betonen. Wir müssen es feiern. Und wir werden daran arbeiten, dass diese Form von Gemeinschaft gewinnt und nicht die Verschwörung von rechts.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Martin Reichardt [AfD]: Comedypreis!)
Stephan Mayer für die Unionsfraktion ist der nächste Redner.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616659 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 192 |
Tagesordnungspunkt | Bürokratie in der Ehrenamts- u. Vereinsarbeit |