Bettina WiesmannCDU/CSU - Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sexueller Missbrauch von Kindern ist eines der traurigsten Kapitel menschlichen Zusammenlebens unserer Zeit, das mich fortgesetzt beschämt und für das ich hier und heute alle, die wir nicht davor bewahren konnten, um Verzeihung bitten möchte.
Als ich im März 2010 eine meiner ersten Reden im Hessischen Landtag zu den damals ganz frischen Enthüllungen von sexuellem Missbrauch von Kindern in Reformschulen, Domchören etc. hielt, hätte ich nicht gedacht, dass die damals durch die Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen – der runde Tisch, der Betroffenenrat, die Aufarbeitungskommission und der Unabhängige Beauftragte sind erwähnt worden – erst anderthalb Jahrzehnte später gesetzlich verankert werden würden. Die damaligen Enthüllungen an der Odenwaldschule in Hessen, wo ich herkomme, am Canisius-Kolleg in Berlin, in den Kirchen, Kinderheimen und schließlich im Sport hatten auf einen Schlag gezeigt: Kinder waren übergriffigen Erwachsenen nahezu schutzlos ausgeliefert. Und bis heute sind sie gefährdet.
Vor einer Woche konnten Ermittler aus Nordrhein-Westfalen eine Darknet-Plattform ausheben, auf der Hunderttausende Täter schwersten Missbrauch konsumierten – ein großer Erfolg. Und erst jetzt – immerhin – besteht eine Bereitschaft in Teilen der Ampelregierung, die anlasslose Speicherung von IP-Adressen für wenigstens einen Monat zu erlauben, um verbrecherische Aktivitäten im Internet endlich wirksamer bekämpfen zu können. Danke an die Länder, insbesondere an Hessen, für diese Initiative!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Durch das nun vorliegende Gesetzesvorhaben erhalten die Unabhängige Beauftragte, der Betroffenenrat und die Aufarbeitungskommission eine dauerhafte Rechtsgrundlage. Betroffene sollen beraten werden, Aufarbeitung und Prävention sollen gestärkt und auch fachlicher gestaltet werden, und es soll dem Bundestag berichtet werden. Das unterstützen wir ausdrücklich. Allerdings bleibt der Entwurf in vielen Aspekten vage und unscharf. Dazu will ich jetzt ausführen.
Erstens. Der Entwurf gibt den drei Institutionen Verbindlichkeit, eine Aufgabenstellung und Arbeitsregeln. Er enthält eine Verwaltungsregelung für die Träger öffentlicher Jugendhilfe, und er gibt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Arbeitsaufträge. So weit, so gut. Das reicht aber nicht, sagen uns Verbände. Denn wäre es nicht im Sinne der Schutzziele, die in § 1 des Gesetzes sämtliche Einrichtungen in Verantwortung für Kinder adressieren, dass diese Ziele dann auch mit Vorgaben für alle Kinder verbunden würden?
Nun ist es so, dass die Länder schon vieles geregelt haben, etwa in den Schulen. Die Kirchen haben einiges in eigener Regie unternommen, und auch die Deutsche Sportjugend hat sich schon lange mit den Gefahren von Missbrauch im Sport befasst und Schutzkonzepte entwickelt – all das auch in engem Zusammenwirken mit den Unabhängigen Beauftragten. Das sind wichtige Fortschritte. Aber viele tun sich auch schwer und fordern Orientierung ein, etwa durch Leitlinien für die Aufarbeitung oder für Schutzkonzepte. Gerade die Kirchen möchte ich nennen, die einen riesigen Vertrauensverlust wettmachen müssen und wettmachen wollen; sie wünschen sich dies. Dies könnte, ja, es müsste doch gerade der Mehrwert einer bundesgesetzlichen Regelung sein.
Zweitens. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung soll sensibilisieren, sowohl Eltern als auch Kinder. Das ist notwendig und sinnvoll. Sie soll aber jetzt auch die Entwicklung und Anwendung von Schutzkonzepten für die Einrichtungen unterstützen. Das ist eine Aufgabe, die bisher von den Unabhängigen Beauftragten wahrgenommen wurde. Ist diese Verlagerung sinnvoll? Kann die Bundeszentrale das leisten? Wie verträgt sich das mit der Zuständigkeit der überörtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe? Und wie können private Anbieter zur Erstellung von Schutzkonzepten angehalten werden? Wir finden, dies muss unbedingt noch geklärt werden.
Drittens. Fatal ist, dass Aufarbeitungsprozesse jenseits des 50. Lebensjahres durch die Begrenzung der Akteneinsicht auf 20 Jahre ab dem 30. Geburtstag massiv erschwert werden. Hier muss unbedingt nachgebessert werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Warum lassen Sie die älteren Opfer mit ihren schweren Folgen allein, obwohl wir wissen, dass es oft ein Leben dauert, bis Betroffene den Mut zur Aufarbeitung fassen?
Viertens. Die Medizinische Kinderschutzhotline soll weiterhin finanziert werden. Ja, gut so! Aber es bleibt offen, wann das Telefon erreichbar sein soll. Wir raten dringend, im Gesetz zu verankern, dass das Telefon rund um die Uhr erreichbar sein muss. Notfälle richten sich nicht nach einem Achtstundentag.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Letzter Punkt. Die Umsetzung dieses Gesetzes soll im kommenden Jahr etwa 4,5 Millionen Euro zusätzlich kosten – in Ordnung. Im Haushaltsentwurf konnten wir diese Mittel jedoch nicht finden, sondern nur eine Fortschreibung der bisherigen Kosten. Hier muss gegebenenfalls nachgelegt werden.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen dieses Gesetz. Den vorgeschlagenen Regelungen stimmen wir auch überwiegend zu. Aber es bedarf einer genauen Überarbeitung, damit seine Ziele erreicht werden können. Daran werden wir sehr gerne mitwirken.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Lars Castellucci [SPD])
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Daniel Baldy.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616668 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 192 |
Tagesordnungspunkt | Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen |