Katja AdlerFDP - Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste hier im Saal und draußen an den Bildschirmen! Die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs ist nicht nur ein entscheidender, sie ist auch ein wichtiger Schritt, um den 2011 mit der Benennung der ersten UBSKM eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Denn es geht dabei nicht nur um ein Gesetz. Es geht dabei um den wichtigen und essenziellen Schutz der Kinder. Es geht um Gerechtigkeit für die Betroffenen und um die notwendige Aufarbeitung eines der schlimmsten Verbrechen, die in unserer Gesellschaft geschehen können, des Verbrechens des sexuellen Kindesmissbrauchs.
Tausende Kinder und Jugendliche erleiden jedes Jahr in Deutschland sexuellen Missbrauch. Das Hellfeld ist aufgedeckt und bekannt. Das Dunkelfeld, die Zahl der nicht aufgedeckten Fälle, der verborgenen Verbrechen, ist erschreckend hoch. Laut Schätzungen sind rund 1 Million Menschen in unserem Land in ihrer Kindheit oder Jugend Betroffene sexueller Gewalt geworden: 1 Million Menschen, deren Kindheit brutal zerstört wurde; 1 Million Menschen, die oft ein Leben lang unter den Folgen leiden – psychisch, physisch und sozial –; 1 Million Menschen, deren Geschichten gehört werden müssen, wollen wir als Gesellschaft Verantwortung übernehmen; 1 Million Menschen, die dafür stehen, alles zu tun, um zukünftige Missbrauchsfälle zu verhindern.
Die Betroffenen dürfen nicht alleine bleiben oder übersehen werden, so unangenehm ein Hinsehen, ein Ansprechen und Aufarbeiten auch zu sein scheint.
(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es ist die unbedingte Pflicht unserer Gesellschaft. Dafür braucht es eine starke Stimme, die sich gezielt für die Belange einsetzt, unabhängig und unbeeinflusst von politischen und institutionellen Interessen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs ist seit Jahren diese Stimme und gibt den Betroffenen zuallererst eine Plattform, schafft Bewusstsein für dieses wichtige Thema in der Öffentlichkeit, unterstützt Präventionsarbeit und Projekte und ist maßgeblich an der Aufarbeitung der furchtbaren Missbrauchsskandale in Institutionen wie Kirchen, Schulen und Vereinen beteiligt.
Bisher geschieht dies ohne eine solide rechtliche Grundlage, die zum Beispiel auch einen regelmäßigen Bericht einmal pro Legislatur an den Bundestag einschließen kann. Wichtig ist es, dass diese Aufgabe gesichert fortgesetzt werden kann und damit gesellschaftlich und politisch gestärkt wird. Denn die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch ist keine Aufgabe, die sich nach ein paar Jahren erledigt oder auflöst. Aufarbeitung ist ein andauernder Prozess.
Vieles wurde in der Vergangenheit verschwiegen, und viele Betroffene haben jahrzehntelang nicht über ihre Erlebnisse gesprochen und nicht sprechen können. Diesen Menschen müssen wir zuhören, nicht nur heute, sondern immer. Und wir müssen gewährleisten, dass zukünftige Generationen besser geschützt werden, Generationen, die mit einer teilweise bedrohlichen digitalen Welt aufwachsen. Die Zahl der Missbrauchsdarstellungen von Kindern und von Jugendpornografie im Internet hat sich von 2020 auf 2022 mit nun fast 50 000 Fällen verdoppelt.
Sexueller Missbrauch geschieht am häufigsten im Verborgenen, im engsten familiären Umfeld. Sexueller Missbrauch geschieht aber auch in Schulen, Sportvereinen oder Kirchen als Institutionen, die eigentlich Schutz und Geborgenheit bieten sollten, jedoch zum Ort des Grauens wurden und noch immer werden. All diese Institutionen müssen sich ihrer Verantwortung stellen, Schutz bieten und Aufarbeitung unterstützen.
Ein Verhaltenskodex oder Schutzkonzepte liegen in Sportverbänden oder anderen Institutionen bereits vor. Präventionsbemühungen allein reichen aber nicht, bleiben die Strukturen, die Missbrauch ermöglichen, unverändert. Es braucht einen Kulturwandel und die oder den Unabhängigen Beauftragten, die oder der mit Mut und Entschlossenheit weiter aufklärt, nachdrücklicher drängt und echte Konsequenzen fordert. Die Betroffenen sexuellen Missbrauchs haben dabei nicht nur ein Recht auf Aufarbeitung; sie haben auch ein Recht auf Wiedergutmachung, so gut es eben möglich ist. Die Betroffenen haben ein Recht darauf, dass sie gehört werden und dass man ihnen glaubt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir heute auf den Weg bringen, ist mehr als nur eine gesetzliche Grundlage. Es ist ein Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen und ein klares Bekenntnis dazu, dass wir als Staat die Verantwortung übernehmen, wenn Kinder und Jugendliche missbraucht werden. Wir dürfen den Tätern und den Strukturen, die diesen Missbrauch ermöglichen, keinen Raum lassen. Es geht hier um Menschlichkeit, es geht um Gerechtigkeit und um die Verantwortung, die wir als Gesetzgeber tragen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616671 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 192 |
Tagesordnungspunkt | Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen |